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Amtseinführung des US-Präsidenten
"Trump wird nicht mit offenen Armen empfangen"

Eigentlich sei die Amtseinführung eines US-Präsidenten ein "Hochamt der Demokratie", in diesem Jahr komme aber keine wirkliche Feierstimmung auf, sagte der Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung, Bastian Hermisson, im DLF. Die Hauptstadt sei eine progressive Blase, in der Trump nicht mit offenen Armen empfangen werde. Trump wiederum bekämpfe Kritik mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln.

Bastian Hermisson im Gespräch mit Christiane Kaess | 19.01.2017
    Der künftige US-Präsident Donald Trump.
    Widersprüche zwischen Trump und dessen Kabinett wiesen auf eine "erratische Regierungsführung" hin, sagte Bastian Hermisson von der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington, D.C. (imago / ZUMA Press)
    Bastian Hermisson berichtete, dass vor seinem Büro in Washington, D.C. den ganzen Tag über Anti-Trump-Demos stattgefunden hätten. Trump habe derzeit nur 40 Prozent Zustimmung, das seien katastrophale Werte vor der Amtseinführung, bei Obama seien es 83 Prozent gewesen.
    Hinsichtlich Trumps Politikstil sagte Hermisson, ein Blick in die Geschichte zeige, dass es sich lohne, autoritäre Personen beim Wort zu nehmen. Für Trump sei die Weltpolitik ein Nullsummenspiel und das Recht des Stärkeren habe Vorrang vor der Stärke des Rechts. Kritik bekämpfe Trump mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln. "Für Trump ist alles gut und wahr, was ihm nutzt und alles gelogen, was ihm schadet", sagte der Leiter der Böll-Stiftung in Washington.
    Hinweise auf "erratische Regierungsführung" Trumps
    Es gebe zentrale politische Widersprüche zwischen Trump und dessen Kabinettsmitgliedern. Positiv ausgedrückt könnte das eine Vielfalt von Meinungen in Trumps Umfeld bedeuten, negativ weise es auf eine "erratische Regierungsführung" Trumps hin und es bleibe offen, wer wirklich Befugnisse habe. Zudem sei Trumps Forderung nach einer Einreisebeschränkungen für Muslime offensichtlich mit der US-Verfassung nicht zu vereinigen.
    Ein möglicher positiver Ausblick sei, dass die Zivilgesellschaft wiederbelebt werden könnte durch eine Gegenbewegung zu Trump. Zudem sorge der Föderalismus dafür, dass einzelne Staaten wie New York am Progressiven festhalten würden. Hermisson äußerte die Hoffnung, dass Demokratie nicht nur in den USA von zivilgesellschaftlicher Seite wiederbelebt werde, sondern man sich auch in Europa klarer werde, welche Rolle man spielen wolle.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: "America First” - das dürfte er wohl bleiben, der kurze Leitsatz unter der kommenden US-Präsidentschaft von Donald Trump. Zumindest hat der designierte Präsident bis jetzt so kurz vor seiner Amtseinführung morgen keinen Zweifel daran gelassen, dass das offenbar auch gilt auf Kosten anderer, solange die Rechnung für ihn und sein Land stimmt. Das hat Trump eindrücklich in einem Interview mit der "Bild"-Zeitung Anfang der Woche noch einmal klargemacht. Kurz vor der Sendung habe ich mit Bastian Hermisson gesprochen. Er ist Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington. In Washington hat ein Großteil der Wähler für Clinton gestimmt. Ich habe Bastian Hermisson zuerst gefragt, wie die Stimmung in Washington vor der Amtseinführung von Trump ist.
    Bastian Hermisson: Die Stimmung ist angespannt. Vor unserem Büro hier waren gestern bereits den ganzen Tag Anti-Trump-Demonstrationen und zum Teil hitzige Auseinandersetzungen mit Trump-Unterstützern. Wie Sie sagen: Washington DC ist eine progressive demokratische Blase und eine hoch politische Stadt. Entsprechend wird Trump hier nicht gerade mit offenen Armen empfangen. Viele Leute werden die Stadt, die jetzt schon einer Hochsicherheitszone gleicht, über das Wochenende verlassen und viele, die hier bleiben, werden an Demonstrationen teilnehmen, vor allem an dem großen Marsch für Frauenrechte am Samstagvormittag. Die Amtseinführung amerikanischer Präsidenten ist ja eigentlich ein Hochamt der Demokratie, die Zelebrierung des friedlichen Machtwechsels, aber in diesem Jahr kommt da keine wirkliche Feierstimmung auf. Man muss sich das mal vorstellen: Trump hat derzeit 40 Prozent Zustimmungswerte. Das ist historisch einmalig niedrig für einen frischgewählten Präsidenten. Bei Obama waren das 2009 noch 83 Prozent. Begeisterung sieht anders aus.
    "Autoritäre Populisten machen meistens schon das, was sie sagen"
    Kaess: Herr Hermisson, Sie plädieren in einem Artikel in der "Süddeutschen Zeitung" dafür, Trump mit dem, was er sagt, wörtlich zu nehmen. Warum sollten wir das eigentlich tun, wenn er doch schon so oft bewiesen hat, dass er Dinge doch nicht so meint, wie er sie gesagt hat?
    Hermisson: Ich denke, ein Blick in die Geschichte zeigt, dass es sich lohnt, autoritäre Populisten beim Wort zu nehmen, denn die machen meistens schon das, was sie sagen. Trump ist ja auch nicht gerade ein Meister des Subtilen, sondern sagt sehr klar, was er denkt. Dazu gehört beispielsweise, dass Weltpolitik für ihn ein Nullsummenspiel souveräner Nationalstaaten ist. Das heißt, er kann mit Multilateralismus, mit den Vereinten Nationen, der EU, der NATO nichts anfangen. Das Recht des Stärkeren hat bei Trump Vorrang vor der Stärke des Rechts. Das zeigt sich auch in seinem Wirken der letzten Jahrzehnte. Seine große Wertschätzung für Wladimir Putin, das ist auch eine Konstante. Gut dokumentiert ist seine Missachtung demokratischer Institutionen und Gepflogenheiten, oder dass er Kritik grundsätzlich mit allen, ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft. Das sind alles wiederkehrende Aspekte seit langer Zeit. Ich denke, da sollten wir Trump in Wort und Tat ernst nehmen. Darauf sollten wir als Europäer uns auch einstellen und uns da nichts vormachen.
    "Für Trump ist grundsätzlich alles gut und wahr, was ihm nutzt"
    Kaess: Sie haben in der "Süddeutschen Zeitung" auch geschrieben, Trump wurde im Wahlkampf zu wenig mit den Widersprüchen seines Programms, mit der Verfassungsfeindlichkeit oder den wirtschaftlichen und außenpolitischen Folgen seiner Vorschläge konfrontiert. Wo liegen für Sie die größten Widersprüche?
    Hermisson: Für Trump ist grundsätzlich alles gut und wahr, was ihm nutzt, und alles gelogen oder schlecht, was ihm schadet. Das kann dann schnell zu Widersprüchen im Kleinen führen. Als er vor der Wahl schlecht dastand, meinte er beispielsweise, die Wahlen würden manipuliert, und als er sie gewann, meinte er, sie können nicht manipuliert gewesen sein, weil er ja gewonnen habe. Das ist im Prinzip eine selektive Wahrnehmung der Realität, die sich immer wieder zeigt und die natürlich für einen US-Präsidenten keine gute Eigenschaft ist. Zentrale politische Widersprüche sehe ich aber noch in einem anderen Punkt, nämlich zwischen Trump und seinen potenziellen Kabinettsmitgliedern. Diese werden gerade vom US-Senat angehört und die Aussagen in den Anhörungen der potenziellen Kabinettsmitglieder widersprechen Trump zum Teil diametral in wirklich zentralen Fragen.
    "Es gibt eine Vielfalt von Meinung und Widersprüchen in Trumps Umfeld"
    Kaess: Ist das eine gute Nachricht oder eine schlechte Nachricht?
    Hermisson: Positiv ausgedrückt ist das ein Zeichen, dass es eine Vielfalt von Meinung und Widersprüchen in Trumps Umfeld gibt und damit auch politischen Spielraum eröffnet. Negativ ausgedrückt ist es ein Zeichen einer potenziell intransparenten, erratischen und unberechenbaren Regierungsführung Trumps, wo niemand weiß, auf wessen Wort er sich denn verlassen kann, wer wirklich welche Befugnisse hat, Politik zu entscheiden.
    Kaess: Aber wo sehen Sie denn Verfassungsfeindlichkeit?
    Hermisson: Nur ein Beispiel: In den USA, ein Land, das ja auf die Religionsfreiheit wirklich begründet ist, was sich darauf bezieht, ist die Forderung Trumps, Einreisebeschränkungen für Muslime wirklich nach Religionszugehörigkeit vorzunehmen. Das ist offensichtlich mit der US-Verfassung nicht zu vereinen. Als das auch in Senatsanhörungen zur Sprache kam, hat der mögliche zukünftige zuständige Attorney General, ein Bundesanwalt gesagt, er würde das ablehnen. Wie das aber dann zusammengeht, dass Trump an denselben Tagen diese Forderung nochmals wiederholt, Muslime aus bestimmten Ländern als solche wegen ihrer Religionszugehörigkeit nicht einreisen zu lassen, ist kaum nachzuvollziehen.
    "Er hat einige wichtige sozioökonomische Fragen aufgeworfen"
    Kaess: Herr Hermisson, können Sie Trump eventuell auch etwas Positives abgewinnen? Kann es sein, dass er durch, ich nenne es mal, unkonventionelle Standpunkte letztendlich mehr verändern wird als andere vor ihm? Ich nehme mal das Beispiel der Kritik an der NATO. Die hatte er als obsolet bezeichnet, weil die den Kampf gegen den Terrorismus nicht effizient führen könnte, und es sei auch unfair, dass viele Mitglieder ihren finanziellen Anteil nicht leisten. Diese Kritik, die gab es ja vorher auch schon, aber noch nie so deutlich wie von Trump. Kann das eventuell einfach auch etwas verändern?
    Hermisson: Die NATO wurde ja zur kooperativen Verteidigung Europas gegründet und gerade dieser Aspekt der NATO scheint Trump aber nicht zu interessieren. Der Fokus auf Terrorismusbekämpfung, den er der NATO gerne zuschreiben würde, den gibt es ja bereits. Man kann natürlich darüber diskutieren, ob da mehr notwendig ist, aber eine NATO-Reform, die gemeinsame Verteidigung Europas nicht mehr in den Kern einer Aufgabe der NATO zu stellen, ist sicher nicht in Deutschlands Interesse.
    Ich sehe aber andere, ich will mal vorsichtig sagen, mögliche positive Aspekte einer Trump-Administration. Das eine ist: Er hat im letzten Jahr ja einige wirklich wichtige sozioökonomische Fragen aufgeworfen: Wie gehen wir mit ökonomisch Abgehängten oder sich als solchen Fühlenden in unserer Gesellschaft um? Wie können wir sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger ein gutes Auskommen haben in einer Zeit schnellen Wandels durch Globalisierung und Automatisierung? Er hat mit seinen nationalistischen und protektionistischen Antworten keine Lösungen auf diese Fragen anzubieten und im Gegenteil deutet alles im Moment auf ein Programm von mehr Umverteilung von unten nach oben hin. Aber die Fragen stehen doch deutlich prominenter als vorher im Raum, und zwar auf allen Seiten des politischen Spektrums. Das ist zunächst mal positiv.
    "Die Präsidentschaft von Trump kann die Demokratie revitalisieren"
    Das Zweite aus meiner Sicht ist, dass die Präsidentschaft von Trump im besten Fall durchaus auch die Demokratie in den USA revitalisieren könnte. 2009 bei Obama blickte quasi das weltoffene Amerika in die Zukunft und jetzt gibt es den Versuch, die historische Uhr zurückzudrehen, und ich bin zuversichtlich, dass das letztlich nicht gelingen wird, denn die Mehrheit der US-amerikanischen Gesellschaft ist doch progressiver, als es die Wahl von Trump erscheinen lässt, und zudem greift in den USA der starke Föderalismus. Schon jetzt machen mächtige Bundesstaaten wie Kalifornien und New York deutlich, dass sie an progressiven Politiken festhalten werden. Und vielleicht kann die Präsidentschaft von Trump ja den Beginn einer neuen breiten demokratischen zivilgesellschaftlichen Gegenbewegung in den USA auch markieren und die Demokratie in den USA damit neu beleben.
    Kaess: Dann zum Schluss eine kurze Prognose noch von Ihnen. Wo stehen wir am Ende der Amtszeit von Trump?
    Hermisson: Hoffentlich in einer Situation, in der die Demokratie von zivilgesellschaftlicher Seite aus nicht nur in den USA stärker wiederbelebt ist, sondern indem sich allmählich auch Europa darauf besonnen hat, worauf es ankommt, nämlich eine Stärkung eines gemeinsamen integrierten Europas voranzutreiben, die Demokratie in Europa zu stärken und sich klarer darüber zu sein, welche Rolle Europa in seiner Nachbarschaft und in der Welt spielen will. Das ist das beste Szenario. Es gibt etliche andere, über die ich jetzt nicht spekulieren möchte.
    Kaess: … sagt Bastian Hermisson. Er ist Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Washington. Danke für Ihre Zeit.
    Hermisson: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.