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Detektivarbeit

Geräucherter Fisch, danach reifer Käse garniert mit ein paar Nüssen. Dazu ein Glas Rotwein: das hört sich lecker an und recht gesund. Aber nicht jeder würde solch ein Mal gut vertragen. Denn all diese Nahrungsmittel haben eines gemeinsam: sie enthalten große Mengen Histamine. Nicht alle Menschen vertragen diese Histamine. Bis Ärzte erkennen, dass es sich um eine Histamin-Intoleranz handelt, vergeht oft viel Zeit.

Von William Vorsatz | 23.01.2007
    In ihrer Kindheit hatte Sophia Wegner überhaupt keine Beschwerden. Vor etwa sieben Jahren ging es dann ganz überraschend los:


    " Das fing spontan an, mit ca. 15, 16 Jahren, und ich hab starken Juckreiz bekommen, ständig, wusste natürlich nicht, woran es lag. Mir wurde übel, schlecht, ja mein Blutdruck ging runter. Früher war es so, als es ganz schlimm war, dass ich erbrechen musste, und man bekommt auch Durchfall. Das sind so die größten Symptome. "

    Die junge Frau ging zu verschiedenen Ärzten, die waren zunächst ratlos - haben etliche Laboruntersuchungen machen lassen und - nichts gefunden. Hilfe kam erst vom Allergiezentrum der Berliner Charité. Dort diagnostizierten die Experten eine Histamin-Unverträglichkeit. Histamin entsteht, wenn Mikroorganismen bestimmte Nahrungsbestandteile zersetzten. Das passiert vor allem, wenn die Lebensmittel vor dem Verzehr längere Zeit lagern. Beispielsweise reifer Käse, geräucherter Fisch, Rotwein, Salami und Sauerkraut. Auch Schokolade, Ketchup und Nüsse enthalten viel Histamin. Manche Menschen reagieren darauf empfindlich. Charité-Professor Marcus Maurer:

    " Die Histaminunverträglichkeit, -intoleranz, ist nie eine Allergie, sieht aber ganz häufig ganz genauso aus wie eine Allergie und wird zum Teil auch so behandelt wie eine Allergie. Allerdings ist es wichtig, zu wissen, dass es da Unterschiede gibt, um dann die Patienten richtig beraten zu können. Man muss auch verstehen, dass die Beschwerden, die bei einer Histaminintoleranz bestehen, ganz unterschiedliche Formen annehmen können. "

    Bis hin zu Bewusstlosigkeit. Anders als eine Allergie lässt sich die Histamin-Unverträglichkeit allerdings nicht durch Blut- und Hauttests nachweisen. Um sie zu diagnostizieren, muss Professor Maurer gemeinsam mit seinen Patienten regelrechte Detektivarbeit leisten. Wenn er eine Histamin-Unverträglichkeit vermutet, bittet der Arzt und Forscher die betreffenden Patienten, ihre Essgewohnheiten und den Gesundheitszustand genau zu dokumentieren. Mit Hilfe eines von der Charité entwickelten Tagebuchs:

    " Hier sehen Sie also auf der linken Seite des Tagebuchs immer, was wurde als Nahrungsmittel aufgenommen, und auf der rechten Seite des Tagebuchs haben die Patienten die Chance, ihre Beschwerden genau zu dokumentieren. Was ist an der Haut passiert, was ist am Darm passiert, gibt es andere Beschwerden, die aufgetreten sind, wie beurteilen die Patienten insgesamt ihre Reaktion auf die Nahrung, die sie an dem Tag gegessen haben. Und das zieht sich über mehrere Tage hin, es macht großen Sinn, das mal für mehrere Wochen zu machen, nur wenn sie einen gewissen Zeitpunkt überbrücken können, können Sie im Anschluss auch sagen, ja, hier gibt es einen Zusammenhang, oder nein, hier tritt kein Zusammenhang auf. "

    Noch mehr Klarheit bringt dann der so genannte Provokationstest. Dazu essen die Patienten in der Klinik verschiedene Breis. Mal mit und mal ohne Histaminzusatz. Weder Patient noch Arzt wissen zunächst, welchen Portionen Histamin beigemengt ist. So soll jede subjektive Beeinflussung ausgeschlossen werden. Wenn die Patienten lediglich auf den Histaminbrei mit Symptomen reagieren, ist der Fall klar: Histamin-Intoleranz.

    Dann sollten die Betroffenen alle histaminhaltigen Speisen und Getränke meiden. Zur Behandlung der Symptome gibt es außerdem Histamin abbauende Medikamente.

    " Aber ich nehme die nicht ständig ein, ich nehme die dann nur ein, wenn es mir halt schlecht geht oder wenn ich mal zum Beispiel ein Stück Käse essen möchte oder ein bisschen Fisch und ich merke, dass ich drauf reagiere. Also ich nehme die nach Bedarf. "

    Dank ihrer Diät ist Sophia Wegner heute weitgehend beschwerdefrei. Niemand sonst in ihrer Familie hat übrigens so eine Unverträglichkeit. Sie wird nicht ererbt. Frauen und Männer können gleichermaßen betroffen sein. Irgendwann kommt die Intoleranz, muss dann aber nicht bis zum Lebensende andauern. Nach einigen Jahren histaminarmer Diät wird sie oft schwächer oder verschwindet ganz.