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Detroit
Verwahrloste Stadt als Kulisse

Auf der US-Autoshow in Detroit dominieren momentan vor allem SUVs und Luxusautos das Bild. In der Stadt selbst stehen nach Jahrzehnten des Abschwungs noch immer viele Häuser leer, die Armutsquote ist hoch. Doch die Bewohner kämpfen um eine lebenswertere Stadt - mancherorts mit Erfolg.

Von Silke Hahne | 15.01.2018
    Verlassene Häuser in Detroit.
    Verlassene Häuser in Detroit. Die Autometropole hat in vielen Ecken der Stadt stark an Glanz eingebüßt. Aber es gibt einige Lichtblicke, beschreibt Silke Hahne. (Deutschlandradio / Sabrina Fritz)
    "If you don’t have a car in Detroit…man! See, that’s why they call it the Motor City. Because it’s really a city where you need a car."
    Dass sich in Detroit nicht nur zur Automesse alles ums Auto dreht, erfährt man schon auf der Taxifahrt vom Flughafen in die Stadt. In die Motor City kommt man auch nur mit Motor rein: Kein Schnellzug, keine S-Bahn-Linie fährt von hier ins Stadtzentrum, geschweige denn in die weitverzweigten Vororte.
    Das höchste der Gefühle an öffentlichen Verkehrsmitteln: Alte, eckige Busse, die zusammen mit den typisch amerikanischen Pickup-Trucks über die Straßen ruckeln. Die sind übersäht von Schlaglöchern, Jahrzehnte des wirtschaftlichen Niedergangs haben der Infrastruktur zugesetzt, genau wie der restlichen Stadt.
    Privatinvestoren renovieren im Stadtzentrum
    Dieser Tage wird deshalb vor allem im Zentrum viel gebaut und renoviert. Das Geld kommt häufig von Privatinvestoren, allen voran zwei milliardenschweren Detroiter Größen: Dan Gilbert, Gründer des Immobilienkredit-Unternehmens Quicken Loans, sowie der Familie Ilitch, die hinter der Pizzarestaurantkette Little Caesars steht. Diese Namen kennt jeder in Detroit. Was die Unternehmer für die Stadt tun, gefällt aber nicht jedem. Viele fühlten sich davon ausgeschlossen, beschreibt der lokale Künstler Olayami Dabls:
    "Es gibt ein Wort, das ich mein ganzes Leben lang nicht in Detroit gehört habe, das aber seit Neustem fällt: Gentrifizierung."
    Erinnerung an die Wurzeln
    Dabls hat nordwestlich der Innenstadt vor 20 Jahren ein Grundstück besetzt und ein einzigartiges Kunstprojekt geschaffen. Im Garten türmt sich vermeintlicher Schrott zu Skulpturen auf, vom Schnee bedeckte Klappstühle simulieren ein Theater. Die Zäune und das Haus sind wild bemalt und mit Spiegel-Fragmenten beklebt. Im Haus selbst hat Dabls die "Afrikanische Perlen Galerie" eröffnet: Ein kleiner Laden, dessen Wände von oben bis unten mit Perlenketten behangen sind. Damit will er die mehrheitlich schwarze Bevölkerung Detroits an ihre Wurzeln erinnern.
    Eine bunt bemalte Häuserwand
    Vor 20 Jahren besetzte Olayami Dabls ein Grundstück und schuf ein einzigartiges Kunstprojekt (Silke Hahne / Deutschlandradio)
    Dabls ist in dieser Community bekannt und geschätzt – er versteht ihre Nöte. Den Widerstand gegen die Investoren hingegen nicht: "Mir wäre es lieber, die Stadt würde die Entwicklung weiter vorantreiben – statt sich von Leuten aufhalten zu lassen, die unbedingt einbezogen werden wollen. Und das, obwohl sie nichts beigetragen haben – außer einfach hier zu sein und so die Stadt irgendwie am Leben zu halten. Und das war ja nicht mal ein richtiges Leben, denn die Stadt musste Insolvenz anmelden."
    Steigende Steuereinnahmen, wirtschaftliche Erholung
    Das war 2013 - erstaunlich spät, hatte der Abstieg Detroits doch schon vor Jahrzehnten begonnen. Die Autoindustrie zog sich zurück, und damit die Menschen. Von rund zwei Millionen blieben weit weniger als die Hälfte zurück. 2017 könnte das erste Jahr seit den 1950er Jahren gewesen sein, in dem die Bevölkerung nicht geschrumpft ist.
    Von mehr Menschen, steigenden Steuereinnahmen und einer wirtschaftlichen Erholung könnten alle profitieren. Für Olayami Dabls ist aber eines noch wichtiger: "Meine Lösung für den ganzen Stress zwischen Technologiebranche, einer sich erholenden Stadt und den Menschen die sich ausgeschlossen fühlen: Lasst Freiraum für die Kunst - und die Leute werden bleiben."
    Marktviertel "Eastern Market" als Besuchermagnet
    Einer dieser Freiräume ist das Marktviertel "Eastern Market". Seit sechs Jahren gibt es hier ein Street Art Festival. Als Konsequenz sind die Mauern der flachen Häuser und riesigen Lagerhallen des Viertels überzogen mit Wandgemälden - mal abstrakt, mal figürlich, aber immer knallbunt. An den Wochenenden füllen sich die Parkplätze vor den Wandmalereien, dann strömen die Marktbesucher in die Hallen.
    Hier decken sich die Detroiter mit frischem Gemüse, regional hergestelltem Käse oder Backwaren ein. Auch Kleidung, Schmuck und Hundekuchen sind zu haben. Geleitet wird der ehemals städtische Marktbetrieb seit 2006 von einer gemeinnützigen Organisation. Ihr Präsident ist Dan Carmody:
    "Dieses Viertel ist wie kein zweites in Nordamerika. Es ist ein wundervolles Chaos aus Menschen. Samstagsmorgens besuchen 30.000 bis 40.000 Leute aus allen Teilen der Stadt den Markt. Zwei Dinge kennzeichnen ihn: Erstens soll sich hier jeder willkommen fühlen, und zweitens soll das Viertel ein Ort bleiben, an dem Lebensmittel hergestellt und verkauft werden."
    Zehn-Jahres-Plan für Quartiersentwicklung
    Das ist nicht ganz einfach, auch hier steigt das Interesse privater Investoren an Grundstücken - Carmody vergleicht diese Entwicklung mit einem Tsunami. Um den aufzuhalten, hat seine Organisation einen Zehn-Jahres-Plan aufgesetzt:
    "Um die Authentizität von Eastern Market als Viertel zu erhalten, in dem tatsächlich Lebensmittel hergestellt werden, ist unser erstes Ziel, die Gegend auszuweiten - angrenzend gibt es noch viele leerstehende Flächen. Wenn wir damit auf einem guten Weg sind, können wir uns darauf konzentrieren, dass hier auch in Zukunft jeder willkommen ist. Nicht nur Investoren, die hier teure Wohnungen und schicke Restaurants hin bauen."
    Platz für Geringverdiener vorgesehen
    Dafür will die Organisation die städtischen Vorgaben für sozialen Wohnungsbau im Viertel verdoppeln - statt jedem fünften Neubau sollen 40 Prozent der entstehenden Wohneinheiten Geringverdienern vorbehalten bleiben.
    Street Art auf dem Eastern Market - ein Graffiti an einer Markthalle
    Street Art auf dem Eastern Market - am Wochenende decken sich hier die Bewohner mit Nahrungsmittel ein (Silke Hahne / Deutschlandradio)
    Am Wochenende vor der Automesse kann sich aber auch der Eastern Market dem Kommerz nicht entziehen: Die Marktstände, sonst in Halle 3 untergebracht, müssen in Nachbarhallen ausweichen. Der Autobauer Chevrolet hat sich in Nummer drei eingemietet, um hier seinen neusten Pickup-Truck der Weltöffentlichkeit vorzuführen. Die Industrie belegt die Stadt und ihre außergewöhnlichsten Orte.
    "Dieser Ort wird wieder auferstehen"
    So auch das Michigan Building im Stadtzentrum. Normalerweise ein Parkhaus, ist es vor allem für seine einst prunkvolle Decke im Renaissance-Stil bekannt, die mittlerweile ziemlich verwahrlost ist. Vor der Messe fahren hier aber plötzlich keine Autos mehr ein und aus, sondern Gabelstapler, beladen mit Event-Equipment. Der Ort, an dem Henry Ford einst sein erstes Auto entwarf, dient dem deutschen Autobauer Daimler für die Präsentation eines neuen Geländewagens. Ästhetischer Verfall als Werbefläche – das Michigan Building ist kein Geheimtipp mehr. Touristen pilgern hier her, aber auch die Filmindustrie hat den Bau als Kulisse entdeckt. Zum Beispiel Jim Jarmusch, der eine Szene des Films "Only Lovers Left Alive" hier drehte - und dessen Hauptfigur Eve der Stadt Detroit vorhersagt: "Dieser Ort wird wieder auferstehen."