Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Deutsch-deutsche Geschichte
Unausgewogener Blick auf Literaten und Politiker

Günther Rüther legt mit seinem neuen Buch eine Art doppeltes Doppelporträt vor: die Geschichte der deutschen Literatur und ihrer Auseinandersetzung mit der Macht im Doppelbild der Staaten DDR und BRD. Gleichzeitig porträtiert er Intellektuelle als Mit- oder Gegenspieler der jeweils Mächtigen. Leider ist das Buch politisch sehr gefärbt.

Von Martin Zähringer | 29.02.2016
    Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU), aufgenommen während des Europäischen Jugendkongresses der Konrad-Adenauer-Stiftung im Juni 2006 im Leipziger Gewandhaus.
    Altbundeskanzler Helmut Kohl (CDU) ist auch der Sicht Rüthers ein politischer Genie. (picture alliance / dpa / Peter Endig)
    "Die Unmächtigen" von Günther Rüther ist eine vergleichende Studie, die deutsch-deutsche Literatur- und Machtgeschichte in sechs Kapiteln diskutiert. Historisch umfasst sie die letzten 70 Jahre. Als methodischen Rahmen wählt der Autor die sukzessive, nicht immer chronologische Darstellung der Machtepochen mit ihren zentralen Ereignissen. Die Hauptdarsteller erscheinen im Doppelporträt - die Protagonisten des Geistes auf einer Seite, die der Macht auf der anderen. Man erwartet also eine objektive Geschichte der Machtbeziehungen zwischen Intellektuellen und Politikern seit 1945, das Ganze im Spiegel der Systemkonkurrenz von DDR und BRD.
    Doch ausgewogen ist es leider nicht: Brecht erscheint als feiger Opportunist, Ulbricht ist ohnehin der Großmeister der Lüge, Günther Grass womöglich nur machtgeil. Helmut Kohl dagegen ist nichts weniger als ein politisches Genie und Konrad Adenauer als Stratege der Westeinbindung das deutsche Schicksal in Person. Das hätten die westdeutschen Intellektuellen nur zu spät bemerkt, schreibt Rüther, und so den Adenauerstaat nur aus Ignoranz nicht würdigen können. Gewürdigt haben sie ihn wirklich nicht, im Gegenteil:
    "Wenn unsere Arbeit nicht mehr als Kritik verstanden werden kann, als Gegnerschaft und Widerstand, als unbequeme Frage und als Herausforderung der Macht, dann schreiben wir umsonst, dann sind wir positiv und schmücken das Schlachthaus mit Geranien."
    Rüther zitiert hier den Intellektuellen Günther Eich aus dessen Dankesrede zum Georg-Büchner-Preis 1959. Das "Schlachthaus mit Geranien" ist eine böse Metapher für den Adenauer-Staat. Und mit dieser frühen Opposition beginnt eine anhaltende Phase gegenseitiger Abneigung, die untergründig auch den Tenor dieses Buches bestimmt.
    Einseitigkeit Rüthers wird deutlich
    Zwar ist die Diktion nüchtern und das Konzept klar, aber die Einseitigkeit in Rüthers Haltung ist deutlich und das Buch voller Ressentiments, vor allem gegen jene Schriftsteller, die dem westdeutschen Establishment kritisch gegenüberstehen. Ein Beispiel dafür ist dieses Zitat:
    "Den nonkonformistischen Schriftstellern ging es nicht um eine Analyse des politisch Möglichen oder um eine Leistungsbilanz der Regierungen Konrad Adenauers. Sie frönten dem Reiz des Konjunktivs und hofften, mit ihren Beiträgen die SPD zu stärken und einen Regierungswechsel herbeizuführen. Denn der Regierungswechsel gehört zum Wesen der Demokratie. Gewiss, wer wollte das bestreiten. Ebenso sehr ging es ihnen aber darum, endlich aus dem Schatten der Macht herauszutreten und Einfluss auf politische Entscheidungen zu gewinnen."
    Gemeint ist damit zuallererst Günther Grass mit der sogenannten SPD-Wählervereinigung. Der rhetorische Umgang gerade mit Grass ist ein gutes Beispiel dafür, wo dieses Buch schlecht ist: in seiner parteipolitisch vorgeprägten, dafür etwas hinterlistig durchgeführten Argumentationsstrategie.
    Denn wie uns ja allen bekannt ist, holt den engagierten Schriftsteller am Ende sein unrühmlicher Anfang bei der Waffen-SS ein. Über das fatale Schweigen von Grass muss Rüther gar nicht mehr viel verlauten lassen. Es schwingt von Anfang an mit und dekonstruiert die Rolle des großen Mahners von allein.
    Ganz ähnlich geht das beim anfangs zitierten Günther Eich mit seiner eindringlichen Schlachthaus-Metapher. Sie soll der Beleg für die Dringlichkeit des kritischen Literaten sein, wendet sich aber gegen Eich selbst, der im Dritten Reich als Verfasser zahlreicher Hörspiele selbst ein "Schlachthaus mit Geranien" verzierte. Das ist alles nicht wirklich neu, aber Rüther nutzt diese dunklen Punkte geschickt, um weitere Ikonen des CDU-kritischen Intellektuellen zu relativieren.
    Es versteht sich von selbst, dass die Verhältnisse in der DDR, so belesen sie auch vorgetragen werden, eine umgekehrt proportionierte Gewichtung haben. Sie kommt unverhohlen in einem Zitat jüngerer DDR-Historiker zum Ausdruck, deren Aussagen der Autor in einem Jahresbericht der Görres-Gesellschaft von 1995 entdeckte:
    "Auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften herrschte eine erschreckende Situation. Jahrzehntelang erstickte ein ungenießbarer Brei aus Lüge und Halbwahrheit jede freie geistige Regung. Scholastische Albernheiten und abgestandene Gemeinplätze wurden als einzige wissenschaftliche Weltanschauung ausgegeben. Pseudowissenschaftler schwangen sich auf den Stuhl marxistischer Allwissenheit und diffamierten in dümmlicher Arroganz ganze Epochen der modernen Geistesgeschichte."
    Aufdringliche Rechthaberei im Buch
    Diese sogenannten Pseudowissenschaftler diffamierten nicht nur, sondern nahmen zum Beispiel den berühmten Schriftsteller Uwe Johnson gar nicht erst in ihre DDR-Literaturgeschichte auf, wie Rüther ausführt. Der Autor klopft immer wieder rhetorisch fest, dass sie ja von Anfang an jenseits demokratischer Legitimation agierten, eine aufdringliche Rechthaberei.
    Stephan Hermlin mit seinem Lied von der "Kleinen Friedenstaube" ist für ihn der lyrische Part einer "tobenden Friedensschlacht". Rüther nimmt den Nationalpreisträger als Apologeten Stalins auseinander. Johannes R. Becher dichtet zwar eine versöhnliche DDR-Hymne im Geiste der deutschen Einheit, Rüther aber reklamiert den fehlenden Freiheitsgedanken.
    So geht es weiter über die Formalismus-Debatten und den Stalin-Kult, den Konflikt zwischen Georg Lukacs und Bertold Brecht hin zum 17. Juni 1953, als Anna Seghers, Stephan Hermlin, sogar Robert Havemann und Bertold Brecht und gewissermaßen die gesamte Klasse der Schriftsteller sich auf die Seite der SED geschlagen hätten.
    Rüthers Darstellung führt bis in unsere Gegenwart, wo ein "Ende des Intellektuellen" konstatiert wird, der allenfalls als Visionär für das Projekt Europa dienstbar wäre.
    Das Buch weckt ein starkes Interesse für seinen höchst interessanten Gegenstand, schreckt aber durch seine parteiideologischen Interessen ab. Bei Günther Rüther läuft alles auf Siegergeschichte hinaus, die umschreibt, was sie schon immer besser wusste.
    Buchinfos:
    Günther Rüther: "Die Unmächtigen. Schriftsteller und Intellektuelle seit 1945", Wallstein 2016, 349 Seiten, Preis: 24,90 Euro