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Deutsch-deutscher Paketverkehr
Auch westdeutsche Geheimdienste haben geschnüffelt

Trotz Mauer wollten sie einander nicht loslassen: Westdeutsche und Ostdeutsche. Sie zeigten sich einander verbunden mit Briefen und Päckchen, adressiert an Verwandte und Freunde. In der DDR, aber auch in der Bundesrepublik haben Geheimdienste in den Sendungen geschnüffelt. Darüber schweigt der bundesdeutsche Geheimdienst bis heute.

Von Christoph Richter | 06.02.2018
    Ein geöffnetes schwarz-rot-goldenes Paket mit den Symbolen der BRD und DDR.
    Ein besonderes Augenmerk hatten die BND-Agenten auf Bücher gelegt, die aus dem Osten in den Westen geschickt wurden. (Imago/bonn-sequenz)
    "Ein Westpaket war wie ein kleines Wunder. Wenn es auf dem Tisch eines Ostdeutschen, eines DDR-Bürgers, ankam, dann war es spannend", erzählt Jutta Voigt, Ostberliner Autorin und Journalistin.
    "Es war direkt ein erotischer Akt, ein Westpaket auszupacken. Ganz sorgfältig und ganz langsam wurde die Schnur abgemacht."
    Während der deutschen Teilung wurden etwa 40 Millionen Päckchen und Pakete von West nach Ost geschickt. In den begehrten Westpaketen: Kaffee, Kakao, Ananas-Konserven und Süßigkeiten. Bei manchen Produkten, zum Beispiel bei Damenstrümpfen, wurde ein Vielfaches dessen ins Land geschickt, was der DDR überhaupt möglich war herzustellen.
    Pakete wurden geröntgt und geöffnet
    Lebensmittel für den Kopf, wie Bücher, Schallplatten oder Zeitschriften waren jedoch nicht dabei. Die Staatssicherheit hatte in jedem Postamt Mitarbeiter, die penibel darauf achteten, dass auch nichts Subversives die Grenze überschritt, erzählt Petra Kabus, Herausgeberin des Standardwerkes DAS WESTPAKET.

    "Also man hat es schon daran gemerkt, dass sie sehr lange unterwegs waren. Manchmal hat man auch gesehen, es war ein bisschen zerfleddert oder es war offen. Es gab auch manchmal ganz offiziell ein Schreiben dazu, dass etwas entnommen wurde. Und man hat es auch gewusst, aber man hat wahrscheinlich nicht geahnt, dass es so ziemlich flächendeckend geschehen ist. Man hat pikanterweise aus dem Westen Röntgengeräte importiert, um wenigstens alle Pakete einmal zu röntgen."
    Kontrollen auch in der Bundesrepublik
    Doch nicht nur die Stasi hat geschnüffelt. Auch der Bundesnachrichtendienst und Militärische Abschirmdienst auf westlicher Seite haben massenhaft Päckchen kontrolliert. So das Ergebnis aktueller Recherchen der Magdeburger Historikerin Konstanze Soch. Sie arbeitet im Stasiunterlagenarchiv in Berlin-Mitte und hat ihre Doktorarbeit, die im Sommer als Buch erscheinen wird, den Paketkontrollen westdeutscher Geheimdienste gewidmet.
    "In der Bundesrepublik war vor allem von Interesse, dass man mögliche Spione und Agenten enttarnen wollte," weshalb es ab 1965 in der Bundesrepublik sogenannte Aussonderungsstellen für Postsendungen in Hamburg, Hannover, Bad Hersfeld und Hof gab.
    "Die Mitarbeiter sind zu Postämtern gefahren, haben sich Briefe, aber vor allem Päckchen abgeholt, sind zu den Aussonderungsstellen gefahren und haben die Päckchen dann geöffnet und kontrolliert."
    Ein besonderes Augenmerk hatten die BND-Agenten auf Bücher gelegt, die aus dem Osten in den Westen geschickt wurden.
    "Dann haben die ganz minutiös aufgeschrieben: Das ist das Buch, mit der und der Auflage und der und der Seitenzahl. Warum? Es gibt eine ganz bestimmte Verschlüsselungsmethode, One-Time-Pad heißt die. Und da kann man auf die bestimmten Seiten auf bestimmte Buchstaben verweisen, das ergibt dann Nachrichten."
    Mindestens zwei DDR-Spione wurden so in Westdeutschland enttarnt, erzählt Historikerin Konstanze Soch. Bis heute werde das Thema vom BND allerdings verschwiegen.
    "Nicht an die große Glocke gehängt"
    "Denn die Bundesrepublik hat ja Jahr und Tag aufgerufen: 'Vergesst die Brüder und Schwestern in der Zone nicht'. Und das wäre natürlich kontraproduktiv gewesen, wenn man gesagt hätte: 'Wir kontrollieren auch'. Es wurden ja nicht nur die Pakete bestimmter Leute kontrolliert, sondern flächendeckend. Und deshalb wurde es auch nicht an die große Glocke gehängt. Obwohl man es auf höchster Regierungsebene wusste. Doch auch da hat man sehr gerungen, ob man es machen sollte oder nicht."
    Trotz aller Schnüffelei: Der innerdeutsche Päckchenverkehr hat die Mauer auch etwas durchlässiger gemacht. Mehr noch: Aus der Perspektive der Historikerin Soch ist der Päckchenverkehr ein wichtiger Aspekt deutscher Teilungsgeschichte, die aus mannigfaltigen Missverständnissen besteht, die bis heute nachwirken. Wenn beispielsweise Ostdeutsche nach der Wiedervereinigung darüber enttäuscht waren, dass sie von den Westverwandten nur billige Geschenke bekamen, von denen sie glaubten, dass sie viel wert waren. Westdeutsche dagegen, nehmen diese Form der Aufrechnung der Ostdeutschen bis heute als Undankbarkeit war, so Soch weiter.
    Wichtiger Aspekt deutscher Teilungsgeschichte
    "Diese Bilder, die die Menschen im Kopf haben, vom jeweils anderen Teil Deutschlands, die kommen ganz stark aus dem Brief– und Päckchenverkehr. Weil das war die Möglichkeit in Kontakt zu bleiben. Und dann hat sich darüber die Vorstellung herausgebildet, wie das Leben auf der anderen Seite aussehen sollte. Und das ist denke ich heute noch, wenn man über Ost West spricht, eigentlich ganz wichtig: Das zu wissen, woher diese Bilder eigentlich herkommen und wie man die aufbrechen kann."
    Viele der Rituale leben bis heute weiter: Der Ostdeutsche als der "Nehmende", der Westdeutsche als der "Gebende". Wer diese Bilder, die Mauer in den Köpfen und Herzen der Menschen aufbrechen wolle, müsse wissen, was die Ursachen sind, unterstreicht Historikerin Konstanze Soch. Und fordert eine tiefgründige Aufarbeitung des innerdeutschen Paketverkehrs.
    "Ich kenne eine Zeitzeugin aus Stendal. Wenn die zu ihrer Schwester in den Westen fährt, bekommt sie bei ihren Besuchen immer noch eine kleine Tüte hingestellt. Mit Kaffee, Strumpfhose und Schokolade. Das sind so die Kontinuitäten, die es heute immer noch gibt."