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Deutsch-französische Beziehungen
Frankreich muss Ernst machen mit den Reformen

Frankreich habe viel Zeit vertan und müsse jetzt endlich Ernst machen mit den lange angekündigten Strukturreformen, sagte der Vizechef des Deutsch-Französischen Instituts, Henrik Uterwedde, im Deutschlandfunk. Nur so könne verloren gegangenes Vertrauen zurückgewonnen werden.

Henrik Uterwedde im Gespräch mit Sandra Schulz | 22.09.2014
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (r.) heißt Frankreichs Premierminister Manuel Valls zu Beginn seiner ersten offiziellen Reise nach Deutschland in Berlin willkommen.
    Premierminister Manuel Valls will die Reformpolitik fortsetzen. (afp / Tobias Schwarz)
    Sandra Schulz: In Frankreich steht in der Kritik für seinen Reform- und Sparkurs. Der französische Premier Manuel Valls gilt vor allem im linken Lager seiner Partei, den Sozialisten, als zu unternehmensfreundlich. Aber auch in Berlin und Brüssel steht er in der Kritik, sein Reform- und Sparkurs, denn vielen, vor allem Unions-Politikern, reichen die französischen Anstrengungen nicht aus. Das Haushaltsdefizit verfehlt die Maastricht-Kriterien noch immer und Valls hat auch schon klargestellt, er lasse sich aus Brüssel oder Berlin seine Politik nicht diktieren. Die Wirtschaftspolitik ist wohl das wichtigste Thema, das Manuel Valls heute bei seinem Treffen in Berlin haben wird.
    Am Telefon begrüße ich jetzt den stellvertretenden Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, Henrik Uterwedde. Guten Tag!
    Henrik Uterwedde: Guten Tag, Frau Schulz!
    Schulz: Der französische Premier Valls hat ja schon gesagt, dass Frankreich einfach nicht mehr sparen kann. Was gibt es da eigentlich noch zu besprechen?
    Uterwedde: Na ja, wir sind alle in einem Boot. Insofern muss man da schon aufeinander zugehen. Ich denke, ich habe ein bisschen Verständnis dafür, dass die 50 Milliarden reale Einsparung im Staatshaushalt in den nächsten drei Jahren für Frankreich angesichts der sehr, sehr schwierigen Konjunktur jetzt zunächst einmal das sind, woran sie sich halten wollen und nicht noch mal draufsatteln wollen. Wo ich sagen würde, was das entscheidende Thema ist, ist jetzt nicht, ob zu den 50 noch was dazukommt und ob die drei Prozent 2017 oder 2016 erreicht werden, sondern das Entscheidende ist, ob Frankreich wirklich Ernst macht mit den Strukturreformen, die lange Jahre angekündigt wurden, nie verwirklicht wurden und wo Valls jetzt einiges auf den Weg gebracht hat. Darauf sollten wir in Berlin stärkeres Augenmerk legen und weniger auf das Nominalziel drei Prozent.
    Valls hat Anspruch auf Sympathie
    Schulz: Aber ist es nicht gerade die Lehre aus der Krise, dass es hoch gefährlich sein kann, die Stabilitätskriterien aus dem Blick zu bekommen?
    Uterwedde: Ja, natürlich. Ich bin auch nicht der Meinung, dass man an dem Stabilitäts- und Wachstumspakt in irgendeiner Form rütteln sollte, und Vorstellungen, die da in Paris teilweise herumgeistern, man könne sozusagen Reformen mit Berlin verhandeln, wir machen Reformen und ihr flexibilisiert den Stabilitätspakt, das kann es nicht sein. Nur wir wissen auch, dass die Auslegung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, dass es da gewisse Margen gibt, und ich denke mal, in dem Moment, wo Paris tatsächlich Ernst machen würde mit den Reformen und tatsächlich Fakten schafft, die dann mittelfristig und dauerhaft den französischen Staatshaushalt entlasten, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass man in Berlin darüber hinwegschaut und nur wie die Schlange aufs Kaninchen oder das Kaninchen auf die Schlange, nur auf die drei Prozent schaut. Ich denke, zwischen Schwarz und Weiß gibt es auch noch ein paar Grautöne, ohne am Stabilitätspakt zu rütteln.
    Schulz: Aber wie soll die Kanzlerin Valls denn jetzt begegnen, um einerseits nicht als die Besserwisserin dazustehen, andererseits aber sich auch nicht dem Eindruck oder Verdacht auszusetzen, jetzt an der Aufweichung des Stabilitätspaktes wieder mitzuwirken oder das zumindest zu dulden?
    Uterwedde: Ich denke, dass im Grunde genommen die Marge sehr, sehr klein ist. Die Gratwanderung ist ja eben im Bericht sehr gut beschrieben worden. Ich denke, dass Valls Anspruch hat auf Sympathie. Er ist der erste Premierminister, der wirklich Klartext redet, der wirklich Ernst macht mit Reformen und der eigentlich eine Politik verficht, die doch näher ist an Berliner Vorstellungen, als dass die früheren, einschließlich Sarkozy, von dem jetzt wieder alle reden, das getan haben. Andererseits ist mehr als Sympathie und eine gewisse vielleicht informelle Bereitschaft zu etwas mehr Flexibilität, sehr viel mehr kann es eigentlich gar nicht geben. Wir haben ja auch gesehen, dass die europäische Investitionsagenda oder Wachstumsagenda auf der europäischen Ebene, dass da so furchtbar viel Spielräume nicht sind. Insofern wird es ein Meisterstück in der Diplomatie und vielleicht sensibler Verhandlungen sein, gleichzeitig Valls politisch den Rücken zu stärken, ohne ihm wirklich jetzt materiell sehr viel nachgeben zu können. Das ist gar nicht möglich.
    Wir erwarten keine Ankündigungen mehr
    Schulz: Was zeigt der Konflikt über das deutsch-französische Verhältnis im Jahr 2014?
    Uterwedde: Das zeigt, dass wir in einer zentralen Frage, nämlich der Wirtschaftspolitik, die in Europa zu führen ist, nach wie vor sehr fundamental unterschiedliche Meinungen haben. Ich meine damit weniger die Regierungen, die da oft näher aneinander sind, als man denkt. Aber in den öffentlichen Meinungen ist der Meinungsdruck, der auf französischen Politikern liegt und der auf deutschen liegt, meilenweit auseinander, und das heißt, dass in Fragen, die so innenpolitisch brisant sind, dass hier Annäherungen zwischen Deutschland und Frankreich immer schwieriger werden, weil es eben europäische Innenpolitik ist, die nicht mehr einfach nur in Kabinettshinterzimmern durch Kompromisse behoben werden kann. Und das macht die Schwierigkeit aus der deutsch-französischen Beziehungen in diesen Fragen, wo wir nun einfach mal wirklich sehr unterschiedlich denken und handeln, hier schrittweise aneinander zu kommen und das dann auch noch dem jeweiligen politischen Publikum als Erfolg zu verkaufen.
    Schulz: Aber steht Frankreich da gegenüber Deutschland nicht auch schlicht im Wort? Es gab ja die Aufweichung des Stabilitätspakts, damals gemeinsam von Chirac und Schröder. Schröder hat reformiert, Agenda 2010; Frankreich hinkt da bis heute hinterher. Kann man das nicht auch verstehen, dass die deutsche Seite fragt, wo bleibt jetzt eigentlich euer Teil?
    Uterwedde: Vollkommen richtig. Ich denke, der Diskurs gegenüber dem Premierminister muss sein, ihr habt oft Zeit bekommen, zusätzlich Zeit bekommen, wir erwarten jetzt Handeln, politisches Handeln, wir erwarten keine Ankündigungen mehr. Und den Franzosen, den französischen Medien, mit denen ich spreche, sage ich auch oft, Frankreich könnte seine Verhandlungsposition wesentlich verbessern, wenn es tatsächlich jetzt Ernst machen würde mit strukturellen Reformen, und dann wäre sein Standing auch auf der europäischen Bühne ein ganz anderes als jetzt, wo die Wirtschaftslage schwierig ist, wo die Reformen noch nicht wirklich ins Rollen gekommen sind, und man dann schon in der Rolle eines Bittstellers nach Berlin kommt. Das kann auch nicht im Interesse Frankreichs sein. Insofern müssen wir in Berlin, aber auch die Franzosen selbst hohes, großes Interesse haben, dass jetzt endlich Ernst gemacht wird mit den strukturellen Reformen, mit der Entlastung der Unternehmen, Reformen der Sozialversicherung, Reformen der verriegelten Märkte und so weiter.
    Ein bisschen Vertrauensvorschuss aus Berlin
    Schulz: Und ist das Problem da auch, dass die konservative Merkel und der Sozialist Hollande einfach nicht an einem Strang ziehen?
    Uterwedde: Ach, ich denke, wir haben in der Vergangenheit schon oft erlebt, dass unterschiedliche politische Konstellationen nicht wirklich ein Hindernis waren, und im Grunde genommen hat eine kluge Wirtschaftspolitik ja auch immer Elemente, linke und rechte Elemente oder liberale und soziale Elemente. Das ist nicht wirklich der Punkt. Ich denke, dass Francois Hollande wirklich zwei Jahre verschenkt hat durch einen sehr unsteten Kurs, durch eine sehr unbeholfene Art und Weise notwendige Reformen voranzutreiben. Er hat es nicht vermocht, wirklich den Franzosen auch Klartext, reinen Wein einzuschenken und Perspektiven zu geben. Hier ist Zeit vertan worden und auch Vertrauen verspielt worden. Manuel Valls - und das ist das Tragische an einem der besten Politiker, den Frankreich in den letzten Jahren hatte -, Manuel Valls sieht jetzt, dass verloren gegangenes Vertrauen sehr, sehr lange Zeit braucht, um wiedergewonnen zu werden, und ich wünsche mir, dass er trotzdem beharrlich an diesem Weg weitergeht und dass dann die Berliner ihm ein bisschen mehr Vertrauensvorschuss geben können, den er dann auch durch Taten einlösen kann.
    Schulz: Ganz zum Schluss noch kurz die Frage, wir haben nicht mehr viel Zeit. Aber der frühere Präsident Sarkozy, der hat jetzt sein Comeback angekündigt. Welche Chance geben Sie ihm?
    Uterwedde: Na gut, innenpolitisch ist das bei der jetzigen Gemengelage durchaus möglich, dass Sarkozy wieder dran kommt. Ich glaube, wir sollten uns aus deutscher Sicht nicht zu sehr darüber freuen wollen, weil Sarkozy ist mindestens genauso mitverantwortlich für die Misere der französischen Ökonomie wie Hollande, und er hat in seiner Regierungszeit auch vieles versprochen, wenig gehalten. Und ob jetzt ein Comeback von Sarkozy wirklich die große Lösung für unsere Nachbarn ist, wage ich zu bestreiten.
    Schulz: Henrik Uterwedde, stellvertretender Direktor des deutsch-französischen Instituts in Ludwigsburg, heute hier in den „Informationen am Mittag“. Haben Sie herzlichen Dank!
    Uterwedde: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.