Dienstag, 19. März 2024

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Deutsch-französisches Spitzentreffen
"Merkel ist unter Druck und braucht Macron"

Das deutsch-französische Spitzentreffen auf Schloss Meseberg bei Berlin werde keinen großen Schritt für die europäische Integration bringen, erklärte die Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay im Dlf. Ein Minimalkompromiss sei allerdings wahrscheinlich, da beide Seiten unter Druck stünden.

Claire Demesmay im Gespräch mit Peter Sawicki | 19.06.2018
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht neben Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, bei der Ankunft zum Deutsch-Französischen Ministerrat vor Schloss Meseberg.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) steht neben Emmanuel Macron beim Minsterrat-Treffen vor Schloss Meseberg (dpa /Michael Kappeler)
    Angela Merkel brauche den französischen Präsidenten, um zu zeigen, dass sie einen europäischen Partner in der Asyl- und Flüchtlingspolitik habe. Emmanuel Macron brauche umgekehrt die deutsche Kanzlerin für seine Strategie zur Reform der Eurozone. Diese Ausgangslage ist nach Auffassung der DGAP-Expertin Demesmay "nicht die schlechteste Voraussetzung für einen Kompromiss in beiden Fragen".
    Bilaterales Abkommen möglich
    In der Asyl- und Flüchtlingspolitik sei ein bilaterales Abkommen zwischen Deutschland und Frankreich "denkbar und möglich". Hier seien die Fronten in der EU stark verhärtet. Ein mögliches bilaterales Abkommen sei deshalb ein gutes Zeichen für eine Zusammenarbeit ohne nationale Egoismen und könne den "Beginn einer positiven Dynamik markieren."

    Das vollständige Interview zum Nachlesen:
    Peter Sawicki: Die Fronten bleiben verhärtet in der Union. Von einer "anderen Migrationspolitik für Deutschland" spricht Innenminister Horst Seehofer, die er einführen will in möglichst baldiger Zeit. Angela Merkel gewährt seine Partei, die CSU, jetzt zwei Wochen Zeit, um auf europäischer Ebene eine Lösung zu finden. Von einem Ultimatum will die Kanzlerin nichts wissen; trotzdem setzt sie auf Kompromisse in Brüssel beim Thema Asyl. Und da gewinnt auch das Treffen des deutsch-französischen Ministerrats in Meseberg eine umso größere Bedeutung.
    Was ist zu erwarten vom deutsch-französischen Gipfel dort, aus europäischer Sicht, aber auch aus Sicht der Kanzlerin und ihrer persönlichen Zukunft? Das fragen wir jetzt die Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay. Sie ist Programmleiterin der deutsch-französischen Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Schönen guten Tag!
    Claire Demesmay: Guten Tag, Herr Sawicki.
    "Rettung ist vielleicht zu viel erwartet"
    Sawicki: Wird Emmanuel Macron jetzt der Retter von Angela Merkel?
    Demesmay: Tja, das klingt sehr optimistisch, sehr positiv. Bis jetzt haben wir nur mit Krisen zu tun, mit Fliehkräften, mit Spaltungen und mit Blockaden. Rettung ist vielleicht zu viel erwartet. Aber jedenfalls braucht Angela Merkel Emmanuel Macron, genauso wie Emmanuel Macron Angela Merkel braucht. Insofern könnte die Krise auch was Gutes haben.
    Die Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay.
    Die Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay (Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V / Dirk Enters)
    Sawicki: Wer ist denn da auf wen stärker angewiesen?
    Demesmay: Die Frage stellt sich anders. Beide sind auf den anderen angewiesen, aber nicht ganz in unterschiedlichen Maßen. Angela Merkel braucht Macron, um zu zeigen, dass sie einen europäischen Partner hat, und vor allem jetzt mit dieser Krise, mit dieser Regierungskrise in Deutschland muss sie zeigen können, dass sie für gemeinsame Lösungen, für europäische Lösungen mit einem Land zusammenarbeiten kann. Und Frankreich ist da natürlich nicht schlecht als großes Land.
    Macron braucht unbedingt Deutschland, und zwar seit Monaten, weil seine ganze Strategie in der Europapolitik setzt auf die Zusammenarbeit mit Deutschland. Das heißt, ohne Antwort aus Deutschland kann er gar nichts machen. – Das ist eine Lage. Diese Bedürfnislage ist eigentlich nicht schlecht für Kompromisse oder wenigstens für eine Annäherung.
    "Angela Merkel ist auf jeden Fall stark unter Druck"
    Sawicki: Lassen wir uns auf die EU-Reformvorschläge von Macron gleich zu sprechen kommen. Aber jetzt in der Situation, da möglicherweise noch der Zusammenbruch der Bundesregierung droht, ist da nicht Angela Merkel stärker unter Druck und ist mehr auf Macron angewiesen?
    Demesmay: Jein. Angela Merkel ist auf jeden Fall stark unter Druck und sie braucht Macron. Das ist ganz klar. Aber dieser Druck heißt auch für Angela Merkel, dass sie nicht so viel Handlungsspielraum hat. Sie braucht vor allem Macron in dem Bereich der Asyl- und Migrationspolitik. Aber was Macron, was Paris von Berlin erwartet, ist auch ein Entgegenkommen im Bereich der Eurozone. Wir reden über gemeinsame Themen, aber die Prioritäten sind schon unterschiedlich, und da ist die Frage, ist Angela Merkel, ist die Bundesregierung wirklich jetzt in der Lage, diesen Schritt zu machen in Richtung Frankreich, zum Beispiel mit der Schaffung von einem Budget für die Eurozone. Das werden wir heute Nachmittag sehen, aber das ist bis jetzt ganz offen.
    "Deutschland und Frankreich werden sich auf einen Minimalkompromiss einigen"
    Sawicki: Was glauben Sie?
    Demesmay: Ich denke, dass Deutschland und Frankreich sich auf einen Minimalkompromiss einigen werden. Ich denke nicht, dass sie sich den Luxus leisten können, am Ende gar nichts zu haben. Ich erwarte eine Einigung im Bereich Migration und Asyl. Ich erwarte eine Minimaleinigung im Bereich Eurozone, zum Beispiel mit diesem Investivhaushalt, den Angela Merkel in diesem Interview vor ein paar Tagen in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" vorgeschlagen hat. Aber das wird nicht das sein, was sich Macron vorgestellt hat, und zwar den großen Schritt für die europäische Integration. Das finde ich in dieser Lage jetzt, in der Lage von Deutschland, in der Lage von der EU, extrem schwierig.
    Sawicki: Das heißt, verstehe ich Sie richtig? Sie sind pessimistisch, dass trotz dieser Drucksituation Berlin und Paris sich jetzt nicht zusammenraufen können?
    Demesmay: Nein, ich bin nicht pessimistisch. Ich denke, dass sogar ein Minimalkompromiss schon ganz gut wäre, ausgerechnet in dieser schwierigen Situation. Ich bin immer vorsichtig mit Symbolen, mit dieser ganzen Symbolik von der deutsch-französischen Freundschaft, aber in diesem Fall ist Symbolik wichtig. Da brauchen wir Symbole.
    "Beide Seiten möchten gemeinsame Standards"
    Sawicki: Konkret bei der Asylpolitik zum Beispiel, wie kann da Frankreich Deutschland entgegenkommen?
    Demesmay: Da ist es weniger die Frage um ein Entgegenkommen, weil beide Länder sind schon relativ nah aneinander. Beide Seiten möchten gemeinsame Standards. Macron hat auch eine gemeinsame europäische Asylbehörde vorgeschlagen, genauso wie Merkel in diesem Interview, und auch die Stärkung von Frontex, die Schaffung von einer Grenzpolizei für die EU. Insofern werden sie da einen Vorschlag machen.
    Die Frage ist aber: Sind sie wirklich in der Lage, mit diesem Vorschlag die anderen zu überzeugen? Das ist vielleicht der Unterschied jetzt von dieser Situation im Vergleich zu den vorigen Jahren. Die Fronten sind stark verhärtet in der EU, und wenn man sich das Thema Asyl- und Migrationspolitik anguckt, der Widerstand für Deutschlands Vorschläge kommt nicht aus Frankreich. Der Widerstand kommt aus osteuropäischen Ländern, Ungarn, Polen, die Visegrád-Staaten. Eine andere Form von Widerstand kommt auch aus dem Süden, weil Länder wie Italien oder Griechenland fühlen sich von der EU im Stich gelassen, und es sind konträre Erwartungen an die EU.
    "Ein bilaterales Abkommen ist denkbar"
    Sawicki: Ist ein bilaterales Abkommen zwischen Berlin und Paris denkbar beim Thema Asyl?
    Demesmay: Ja. Ein bilaterales Abkommen ist denkbar. Ein bilaterales Abkommen ist möglich und wäre in meinen Augen ein sehr gutes Zeichen, um zu zeigen, wir sind Länder in der EU, die nicht unbedingt für dieses jeder für sich sind, Länder, die in der Lage sind, ihre nationalen Egoismen zu überwinden, und die zusammenarbeiten wollen. Wenn wir so ein Abkommen haben, dann wird es auch nicht ausgeschlossen, dass andere Länder dazukommen. Ich denke zum Beispiel an Spanien. So hätte man wenigstens, auch wenn das nur ein erster Schritt wäre, den Beginn von einer positiven Dynamik.
    Sawicki: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk die Frankreich-Expertin und Politikwissenschaftlerin Claire Demesmay. Vielen Dank, dass Sie für uns Zeit gefunden haben.
    Demesmay: Vielen Dank.
    Sawicki: Ihnen noch einen schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.