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Deutsch-israelischer Handel
"Es gab sehr, sehr viele Empfindlichkeiten"

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden deutsche Waren in Israel jahrzehntelang verschmäht, erzählte Grisha Alroi-Arloser von der deutsch-israelischen Industrie- und Handelskammer im DLF. Deutsche Literatur sei für den israelischen Markt sogar umgeschrieben worden.

Grisha Alroi-Arloser im Gespräch mit Benjamin Hammer | 12.05.2015
    Die Fahnen von Deutschland und Israel
    Die Fahnen von Deutschland und Israel am 11.05.2015 in Berlin am Pariser Platz. (picture alliance / dpa / Foto: Jens Kalaene)
    Benjamin Hammer: Heute vor 50 Jahren nahmen Deutschland und Israel diplomatische Beziehungen auf. Für viele Israelis war das kein leichter Tag. Deutsch wurde nicht gerne gehört und gesprochen, obwohl so viele Israelis mit dieser Sprache aufgewachsen waren, und deutsche Produkte, die waren in vielen Haushalten verpönt. Der bekannte israelische Fotograph Micha Bar-Am, geboren in Berlin, hat es so gesagt: „Ich mache zwar Fotos mit einer Leica-Kamera, aber niemals im Leben würde ich einen Volkswagen fahren.
    Solche Aussagen kennt auch Grisha Alroi-Arloser. Er ist Geschäftsführer der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer. Er wuchs auf in Deutschland und lebt seit 1978 in Israel. Guten Tag, Herr Alroi-Arloser.
    Grisha Alroi-Arloser: Einen schönen guten Tag!
    Hammer: Ich habe das am Anfang der Sendung gesagt: Volkswagen traut sich in Israel nicht ganz mit seinem Werbespruch, auf Deutsch schon gar nicht, obwohl er es auf der ganzen Welt macht, der Konzern. Warum ist das so?
    Alroi-Arloser: Es gibt sicherlich immer noch Empfindlichkeiten in der israelischen Öffentlichkeit, wobei mittlerweile die Totalverweigerer deutscher Produkte und deutscher Sprache ohnehin im Aussterben begriffen sind und einer winzigen Minderheit angehören. Das war längst nicht immer so. Seit Johannes Rau als Bundespräsident zum ersten Mal in deutscher Sprache im israelischen Parlament sprach, haben das in der Zwischenzeit auch die Bundeskanzlerin getan und auch Herr Schulz vom Europäischen Parlament. Die deutsche Sprache wird auch im öffentlichen Raum gehört und wenn wir einfach am Strand entlang laufen, dann hören wir sehr, sehr viel Deutsch, weil viele deutsche Touristen im Land sind. Es ist längst nicht mehr so heiß, wie das mal der Fall war, obwohl Anfang der 60er-Jahre, sogar noch vor Aufnahme der diplomatischen Beziehungen, es eine interessante Geschichte gab. Da hat eine Nachrichtensprecherin, als sie die Werbung für einen Volkswagen Käfer verlesen sollte, gestockt und dann hat sie sich geweigert, die zu verlesen, obwohl sie persönlich biographisch nicht vom Holocaust in Mitleidenschaft gezogen war. Es gab einen großen Skandal, an dem sogar das Parlament beteiligt war. Die Knesset hat dann an den Tagen danach darüber diskutiert und im Endeffekt entschieden, dass ein Nachrichtensprecher nicht gezwungen werden kann, für deutsche Produkte Werbung zu machen. Aber das ist wie gesagt über 50 Jahre her.
    Hammer: Nehmen Sie uns noch mal mit in die Vergangenheit. Sie sind 1978 nach Israel gekommen. Da wird deutscher Wein von der Mosel kaum in den Regalen gestanden haben. Wie haben Sie das Land damals wahrgenommen? Wie schwer war es dafür deutsche Unternehmen und Geschäftsleute, in Israel Fuß zu fassen?
    Alroi-Arloser: Ende der 70er-Jahre war es doch schon wieder ein ganzes Stück leichter, als es noch 1965 oder sogar in der Zeit vor der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen war. Ganz zu Beginn waren deutsche Produkte so verpönt, dass sie zwar gewünscht waren, aber sie mussten anders etikettiert werden. Das heißt, die wurden als österreichische Produkte oder als schweizerische Produkte oder sogar als belgische Produkte - das galt zum Beispiel für Nordmende - etikettiert. Aber auch in der Literatur: "Pünktchen und Anton" von Erich Kästner spielt in Berlin. In der hebräischen Übersetzung des Buches spielt es nicht in Berlin, sondern in Wien. Das heißt, es gab sehr, sehr viele Empfindlichkeiten, weil es sehr, sehr viele Betroffene gab. Sie gab es im öffentlichen Raum und deswegen kann fast bis heute Wagner noch nicht gespielt werden, weil es Assoziationen weckt, die sehr, sehr unangenehm für viele Menschen und auch deren Angehörige sind.
    Auf der anderen Seite sind wir heute in einer Situation, wo es eine bekannte israelische Brillenfirma gibt. Die heißt "Carolina Lemke Berlin" und die hat weder was mit Carolina, noch mit Lemke, geschweige denn mit Berlin zu tun. Aber das verkauft sich besonders gut, weil "Made in Germany" ein Gütezeichen geworden ist.
    Hammer: Schauen wir mal auf Geschäftsessen. Die gehören ja zu Kontakten zwischen Unternehmen dazu. Wie erleben Sie das? Wie präsent ist bei solchen Abenden, wenn deutsche und israelische Geschäftsleute zusammenkommen, die gemeinsame, die schwierige Geschichte?
    Alroi-Arloser: Ich glaube, dass die Geschichte immer präsent ist. Sie ist präsent, ohne dass sie ausgesprochen oder angesprochen werden muss. Sie ist auf beiden Seiten präsent. Ich bin immer wieder Zeuge von Bekenntnissen deutscher Besucher, die, wenn sie das erste Mal nach Israel kommen, ganz kurz vor ihrer Abreise sagen, dass sie eigentlich eine gewisse Beklemmung empfunden hatten, als sie hier landeten, weil sie Angst hatten, als Deutsche eventuell angefeindet zu werden, und dann total überrascht waren, wie offen, wie freundlich, wie offenherzig die Israelis ihnen begegnet sind, oft übrigens freundlicher und offener als in anderen europäischen Nachbarländern Deutschlands. Das heißt, die Beklommenheit ist da und die Kenntnis um die gemeinsame Geschichte ist in Israel natürlich weit verbreitet, aber wenn alles normal ist, dann wird darüber kaum gesprochen. In dem Moment, in dem irgendetwas nicht normal verläuft, irgendwo etwas hakt, da tritt die Geschichte sofort auf den Plan.
    Hammer: Gibt es da Beispiele? Könnte ein Beispiel sein, dass ein deutscher Geschäftsmann bei diesem Abendessen vielleicht israelische Politik anspricht?
    Alroi-Arloser: Das zum Beispiel könnte sein, ja. Wenn Politik angesprochen wird - die Israelis sprechen sehr gerne über Politik und sehr eifrig und auch sehr emotionsreich und es ist total in Ordnung, über Politik zu sprechen und auch zu streiten, wobei die Israelis sehr, sehr gut mit Handlungskritik umgehen können. Das heißt, wenn man gewisse Handlungen seitens des Militärs oder der Regierung oder von irgendwelchen Siedlern kritisiert, dann kann man darüber heiß diskutieren, das ist alles in Ordnung. Dann tritt auch nicht unbedingt die Geschichte auf den Plan. Aber wenn aus der Handlungskritik eine Seinskritik wird, das heißt, wenn gefragt wird, infrage gestellt wird, ob Israel überhaupt existieren darf, ganz gleich in welchen Grenzen, dann tritt sofort die Geschichte auf den Plan, und das hat nicht unbedingt was mit Deutschland zu tun. Das hat etwas damit zu tun, dass den jüdischen Einwohnern dieses Landes, ihres Landes im Grunde der Boden unter den Füßen weggezogen wird, wenn die Existenzberechtigung und die Legitimation der Existenz im eigenen Land infrage gestellt wird. Und wenn das seitens Deutscher oder in deutscher Sprache erfolgt, dann umso mehr.
    Hammer: 50 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen Israel und Deutschland - das war Grisha Alroi-Arloser. Er ist der Geschäftsführer der Deutsch-Israelischen Industrie- und Handelskammer. Besten Dank!
    Alroi-Arloser: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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