Donnerstag, 18. April 2024

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Deutsch-Polnische Sportbeziehungen
Mit der Kamera in der Hand

Vor siebzig Jahren endete der Warschauer Aufstand. 63 Tage konnten polnische Kämpfer ihre Stadt gegen die Übermacht der Nazis verteidigen. Danach wurde Warschau dem Erdboden gleichgemacht. Dass viele Sportler mitgekämpft haben, blieb meist unerwähnt.

Von Ronny Blaschke | 03.10.2014
    Zwei Juden werden während des Aufstands im Warschauer Ghetto von SS-Soldaten 1943 gefangen genommen.
    Rennende Aufständische während der Straßenkämpfe des Aufstandes in Warschau 1944. (dpa/picture alliance/dpa CAF)
    Das Museum des Warschauer Aufstandes liegt seit zehn Jahren in einem stillgelegten Elektrizitätswerk im Stadtteil Wola, es hat jährlich mehr als 200.000 Besucher. Fotos, Objekte und Filme erinnern an den größten einzelnen bewaffneten Widerstand während des Zweiten Weltkrieges. In den Verwaltungsräumen der oberen Etage erzählt der Historiker Grzegorz Hanula von polnischen Sportlern, die am Kampf beteiligt waren. Zum Beispiel der ehemalige Speerwerfer Eugeniusz Lokajski. "Die Waffe von Lokajski während des Aufstandes war eine Kamera. Er fotografierte und filmte, er war der Dokumentarist. Am 21. August, also während des Aufstandes, fand im Kino Palladium sogar eine Filmvorführung mit seinen Aufnahmen statt. Das brachte die Menschen zusammen."
    Sport war den Polen untersagt
    Der Speerwerfer Lokajski hatte 1936 an den Olympischen Spielen in Berlin teilgenommen, er wurde Siebter. Gold gewann ein Deutscher: Gerhard Stöck. Stöck machte Karriere als SA-Sturmbannführer. Nach dem Krieg war er "Chef de Mission" der deutschen Olympiamannschaften 1956 und 1960. Und der Pole Lokajski? Der arbeitete vor dem Überfall der Wehrmacht als Sportpädagoge. Später im besetzten Warschau organisierte er Übungen im Untergrund, denn offiziell war Sport den Polen untersagt. Als Unterleutnant der Heimatarmee bereitete Lokajski den Aufstand vor, erzählt der Historiker Grzegorz Hanula. "Lokajski wurde bei einem Bombeneinschlag getötet, er war gerade auf der Suche nach neuem Fotomaterial. Nach dem Krieg wurden seine Leistungen verschwiegen, denn die Kommunisten in Polen haben den Warschauer Aufstand auch als antisowjetisch betrachtet. Erst seit einigen Jahren können wir Widerständlern wie Lokajski gedenken."
    Diethelm Blecking steht im Foyer-Geschäft des Museums des Warschauer Aufstandes. Er blättert in einem kiloschweren Bildband, der mehr als 800 Fotos von Eugeniusz Lokajski zeigt. Blecking hat wie kein anderer deutscher Sportwissenschaftler die Perspektive der Polen erforscht, seit den siebziger Jahren hat er das Nachbarland bereist. Zuletzt bemühte er sich mit polnischen Kollegen, den Warschauer Aufstand ins Blickfeld des deutschen Sports zu rücken. "Zur polnischen Elite gehörten viele Sportler. Polen war eine große Sportnation vor 1939. Und im Warschauer Aufstand haben über dreißig bekannte Athleten gekämpft, darunter Athleten, die auch bei den Olympischen Spielen 1936 in Berlin am Start waren. Von den polnischen Olympiakämpfern, die in Berlin angetreten sind, sind 21 im Krieg ermordet worden, in Konzentrationslagern und im Widerstand. Dazu noch dutzende Sportler, die an den Olympischen Spielern vorher teilgenommen hatten. Sehr bekannt ist der Olympiasieger über 10.000 Meter von Los Angeles 1932, Janusz Kusocinski, der im Widerstand aufgegriffen, gefoltert und dann ermordet wurde."
    Initiativen auf den Weg gebracht
    15.000 polnische Kämpfer und rund 200.000 Zivilisten starben während des Warschauer Aufstandes, die Überlebenden wurden in Konzentrationslager deportiert. Die polnische Zeitschrift "Kombatant" hat den Sportlern nun eine Titelgeschichte gewidmet, überschrieben mit der Zeile: "In einem gesunden Körper ein unbesiegter Geist". Diethelm Blecking hat ein sporthistorisches Forum auf den Weg gebracht, gemeinsam mit Aktivisten der Fußball-Gedenkinitiative "Nie Wieder". Am nächsten Freitag wird Wolfgang Niersbach, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, das Symposium in der deutschen Botschaft von Warschau eröffnen. Der Freiburger Forscher Blecking hofft, dass das deutsch-polnische Sportverhältnis nun breiter betrachtet wird. Jahrelang wurden seine Forschungen von Widerständen begleitet.
    "Ich glaube, dass ich meine eigene Karriere, wenn man pragmatisch oder opportunistisch mal denken will, beschädigt habe, durch dieses Engagement. Es war einfach für einen jungen Sportwissenschaftler und Sportsoziologen und Sporthistoriker nicht opportun, sich mit dem Schmuddelkind Polen zu beschäftigen. Es hängt mir im Grund bis heute nach. Aber persönlich war es halt ungeheuer persönlichkeitsbildend. Die deutsche Sportgeschichte krankt eigentlich bis heute an der Fokussierung auf den deutschen Nabel. An der Fokussierung auf Probleme, die dann so diskutiert werden, ob Carl Diem, also einer bedeutendsten und wirkmächtigsten deutschen Sportfunktionäre nun ein halber, ein viertel oder ein ganzer Nazi war. Und über diese gravierenden Probleme hinaus, die nun wirklich nicht unwichtig sind, hat man vergessen, sich um die Ränder zu kümmern. Nun wird aber Geschichte häufig von den Rändern erzählt. Und ein Rand sind eben die deutsch-polnischen Sportbeziehungen."