Freitag, 29. März 2024

Archiv

Deutsch-russische Hochschule
Kontinuität in den Wissenschaftsbeziehungen

Inmitten des Konflikts um die Ukraine ist im russischen Kasan die erste deutsch-russische Hochschule eröffnet worden. Nur durch den gesellschaftlichen Dialog könnten europäische Spannungen überwunden werden, sagte Benedikt Brisch vom DAAD im Deutschlandfunk.

Benedikt Brisch im Gespräch mit Regina Brinkmann | 02.09.2014
    Die Zentrale des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD).
    Die Zentrale des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
    Regina Brinkmann: Der Ukraine-Konflikt überschattet in diesen Tagen so manches. So bekommen die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland inzwischen einige Unternehmen in den USA und der EU zu spüren. Trotz dieser Spannungen ist aber auch zu beobachten, wie der Austausch zwischen westlichen und russischen Wissenschaftlern scheinbar reibungslos funktioniert! Ein Beispiel ist die Gründung der ersten deutsch-russischen Hochschule im russischen Kasan. Mit vier Ingenieurstudiengängen nimmt sie heute ihren Lehrbetrieb auf. Das Projekt wird vom Deutschen Akademischen Austauschdienst gefördert und begleitet. Benedikt Brisch ist beim DAAD zuständig für die Zusammenarbeit mit Osteuropa und Russland und ich habe ihn gefragt: Welche Rolle hat der Ukraine-Konflikt bei diesem Projekt gespielt?
    Benedikt Brisch: Bei diesem Projekt hat der Ukraine-Konflikt keine Rolle gespielt. Die Rahmenbedingungen, die politisch-wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind natürlich immer irgendwo relevant und haben ihre Auswirkungen auch auf Wissenschaftsbeziehungen. Dieses Projekt in Kasan allerdings ist schon vor mehreren Jahren geplant worden, kontinuierlich vorbereitet worden, und die aktuelle Verschärfung der Lage, die politische Krise ist jetzt gekommen, konnte ja auch keiner vorhersagen. Aber wir setzen auf Kontinuität in den Bildungs- und Wissenschaftsbeziehungen, und das ist eben deshalb ein schönes Beispiel: Hier arbeiten deutsche und russische Universitäten zusammen, sie wollen weiter zusammenarbeiten, das ist Teil der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik mit Russland, da setzen wir auf Kontinuität.
    Brinkmann: Ist das eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe?
    Brisch: Davon kann man an dieser Stelle sicherlich sprechen. Nun sehen wir auch eine historische Entwicklung, vor inzwischen fast 25 Jahren Fall des eisernen Vorhangs, Zusammenbruch der Sowjetunion, da war das Wissenschafts- und Bildungssystem in der Sowjetunion sicherlich schon ziemlich gut, hat aber dann sozusagen durch den Zusammenbruch der Sowjetunion eine starke Krise durchlitten, insbesondere eine wirklich sehr gravierende Unterfinanzierung. Die Ausstattung der Universitäten ist sehr schlecht geworden. Gleichzeitig hat die Hochschulbildung, kann man wirklich sagen, explosionsartig mehr Nachfrage gefunden, in Russland sind die Studierendenzahlen in den letzten 20 Jahren wirklich geradezu explodiert. Das haben wir mal nachgerechnet: Etwa siebenmal so viele Studierende gibt es heute an russischen Hochschulen wie zum Ende der Sowjetunion, und das bei Unterfinanzierung! Aber das zeigt eben das Interesse an Bildung, die Menschen spüren, Bildung bietet Chancen, soziale Aufstiegschancen, Berufschancen. Dieser Stellenwert der Bildung ist sehr hoch und inzwischen hat auch der Staat das in Russland deutlich erkannt, wie wichtig das ist, in Bildung zu investieren. Es wird also wieder mehr in Bildung investiert.
    Brinkmann: Aber gleichzeitig lässt er doch auch zum Beispiel die Akademie der Wissenschaften und damit auch die Grundlagenforschung ausbooten?
    Brisch: Also, da sprechen Sie ein hoch relevantes und wichtiges Thema an! Ich spreche es mal stärker aus Sicht des DAAD für die deutschen Hochschulen: Die Akademie der Wissenschaften ist ein Thema für sich, ein sehr komplexes Thema, da gibt es auch bekanntermaßen eine Diskussion in Russland in den Wissenschaften. Allerdings muss man sagen: Die Akademie der Wissenschaften hat auch nicht die Spitzenleistungen in der Forschung erbringen können, die man sich von ihr erhofft hat. Und ein Teil der Lösung des Problems könnte sein, dass man die Forschung und Lehre stärker zusammenbringt, auch im Sinne des berühmten Humboldtschen Ideals, Einheit von Forschung und Lehre. Wir müssen sehen, dass in Russland, in der Sowjetunion, der sozialistischen Zeit Forschung und Lehre doch stark getrennt waren. Forschung - Akademie der Wissenschaften; Lehre - an den Hochschulen. An den Hochschulen wurde verhältnismäßig wenig Forschung betrieben. Und das will man ändern. Es gibt in Russland eine sehr umfassende Umstrukturierung der Hochschulen, man hat eine Gruppe von inzwischen über 40 sogenannten führenden Universitäten, darunter diese nationalen Forschungsuniversitäten gebildet, da steckt der Name Forschung ja schon drin, nationale Forschungsuniversitäten. Und die Partneruniversität in Kasan, eine technische Universität in Kasan, mit der dieses neue Projekt - die deutsche Universität oder das deutsch-russische Institut für innovative Technologien, wie es genau heißt - jetzt heute eröffnet wurde, dieser Partner ist eine solche nationale Forschungsuniversität. Ob das gelingt, ist eine andere Frage. Aber im Moment ist die Planung offensichtlich auf russischer Seite, eine Gruppe von forschungsstarken Universitäten, die schon identifiziert worden sind, dann zu stärken. Und natürlich kann die Zusammenarbeit mit deutschen Partnern, hier ein Konsortium deutscher technischer Universitäten, geführt von der TU Ilmenau, kann da natürlich einen wichtigen Beitrag leisten.
    Brinkmann: Wie groß ist denn das Interesse von Studierenden und Wissenschaftlern, sich in das Hochschulland Russland zu begeben angesichts dieser Zusammenarbeit, aber auch angesichts des aktuellen und weiter schwelenden Ukraine-Konfliktes?
    Brisch: Ja, das Interesse deutscher Studierender an Russland war ja auch in den vergangenen Jahren nicht so groß. Es sind nicht viele Deutsche, die dort hingehen. Natürlich wird der Konflikt jetzt nicht dazu beitragen, dass die Leute noch mehr Lust haben, dort hinzugehen. Aber es gibt doch deutsche Studierende, die sagen, das ist für mich eine wichtige Region, ich möchte das kennenlernen, ich möchte wissen, was die Menschen dort denken, ich möchte neben fachlichen Kenntnissen auch Land und Leute kennenlernen. Und da möchten wir als DAAD sie ausdrücklich ermutigen. Wir glauben, dass das ein absolut wichtiger Bestandteil des zivilgesellschaftlichen Dialogs ist, dass deutsche Studierende das Land, die Sprache, die Kultur und die Politik besser kennenlernen. Denn anders werden wir natürlich auch solche europäischen Konflikte nicht überwinden können. Aber tatsächlich ist die Ausgangslage erst mal, dass es relativ wenige deutsche Studierende gibt.
    Brinkmann: Im russischen Kasan eröffnete heute die erste deutsch-russische Hochschule. Über den wissenschaftlichen Austausch trotz Ukraine-Krise berichtete hier in "Campus & Karriere" Benedikt Brisch vom DAAD.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.