Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Deutsch-slawische Architektur
Ein Streifzug durchs Umgebindeland

Die Oberlausitz im Dreiländereck Polen, Deutschland, Tschechien prägt eine Architekturform, die weltweit einmalig ist: die Umgebindehäuser. Entstanden ist das Umgebinde aus der deutschen Fachwerk- und der slawischen Blockbauweise. In den letzten Jahren hat sich eine Liebhaberszene für die alte Volksbauweise entwickelt.

Von Iris Milde | 11.06.2017
    Bunte Blumen stehen im ostsächsischen Obercunnersdorf vor einem Umgebindehaus (Foto vom 25.08.2008). Der Ort im Oberlausitzer Bergland ist durch seine fast 300 Umgebindehäuser seit 1984 Denkmalsort der UNESCO. Viele der Häuser stammen noch aus der Mitte des 18. Jahrhundert, der Blütezeit des Baus der Umgebindehäuser. Ein Denkmalsweg durch das 2,8 Kilometer lange Dorf zeigt den Besuchern die schönsten Häuser. 2001 erhält Obercunnersdorf eine Goldplakette im Europäischen Blumenwettbewerb Entente Florale. Foto: Matthias Hiekel +++(c) dpa - Report+++ | Verwendung weltweit
    Obercunnersdorf in Ost-Sachsen: Wegen seiner Umgebindehäuser ist das Dorf seit 1984 Denkmalsort der UNESCO. (dpa/Matthias Hiekel )
    "Ja, wir sind jetzt hier in Obercunnersdorf. Wir haben hier den dichtesten Bestand an Umgebindehäusern. Mehr als 240 Stück sind es. Und die stehen natürlich ganz eng a Dorfbach links und rechts. Und da ist der Eindruck des Ortes natürlich so erhalten, wie es vor 200 Jahren schon war. Und deswegen ist es auch hier ein ganz reizvoller Punkt."
    Denkmalpfleger Arnd Matthes steht im historischen Ortskern von Obercunnersdorf. Der Ort liegt keine zehn Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt. Um ihn herum Holzhäuser in den verschiedensten Farben und Formen. Liebevoll geschnitzte Pfeiler, geschwungene Fensterumrahmungen, Schieferbehänge, die kunstvolle Mosaike bilden. Und vor jedem Haus ein kleines Bauerngärtchen, in dem Azaleen, Clematis oder Vergissmeinnicht blühen. Den Namen "Umgebinde" verdanken die Häuser den dunklen Holzbögen, die wie Arkaden die Blockstube im Erdgeschoss einrahmen und auf denen das Obergeschoss ruht.
    "Man könnte jetzt theoretisch die Blockstube rausnehmen aus dem Haus. Dann würde das Haus wie auf Arkaden stehen, also auf den Säulen."
    Oft wird erzählt, Ober- und Untergeschoss seien entkoppelt, damit das Schlagen der Webstühle in der Blockstube nicht das ganze Haus zum Einstürzen bringt. Das ist eine Legende, weil die Textilproduktion erst im 16. Jahrhundert in der Oberlausitz aufblühte, der Baustil aber aus dem späten Mittelalter stammt.
    Der Denkmalort Obercunnersdorf.
    Obercunnersdorf: In dem Ort, keine zehn Kilometer von der tschechischen Grenze entfernt, gibt es den dichtesten Bestand an Umgebindehäusern. (Deutschlandfunk/Iris Milde)
    Matthes: "Die Bauweise besteht aus Fachwerk und aus der Blockstube. Das Fachwerk ist ja aus dem Fränkischen mitgekommen. In der Kolonialisationszeit im 13. Jahrhundert wurde das hierher gebracht in die Oberlausitz. Und der Blockbau, der besteht ja schon seit über 5000 Jahren in der Bautzner Gegend."
    Noch 6000 Umgebindehäuser in Sachsen
    Vor etwa 300 Jahren bestanden die Oberlausitzer Dörfer fast komplett aus Umgebindehäusern. Sägemühlen, Manufakturen und ganze Schlösser wurden in der Volksbauweise errichtet. Heute gibt es noch 6000 Umgebindehäuser in Sachsen, so Denkmalpfleger Matthes, bis auf wenige Ausnahmen sind sie alle in der Oberlausitz zu finden.
    "Es ist ein kleines Gebiet, das beschränkt sich auf das Dreiländereck Deutschland, Polen und Tschechien und in dieses Gebiet hat sich eben diese Bauweise zurückgezogen, die ja vor Jahrhunderten überall präsent war. Das ging bis in den Leipziger Raum rein und ins Thüringer Gebiet."
    Auf unserem Weg durch Obercunnersdorf passieren Arnd Matthes und ich auch immer wieder Häuser, die lange keinen frischen Anstrich mehr bekommen haben. Die Gardinen sind vergilbt, die Gärten führen ein Eigenleben.
    "Es gibt auch viele leerstehende Umgebindehäuser. Deswegen animiere ich immer viele Interessenten, sich vielleicht doch eines Hauses anzunehmen."
    Und das hier ist ja wirklich ein sehr schönes Haus, auch mit dem Türstock.
    "Ja, ist ein schönes mit vielen originalen Elementen. Vielleicht findet sich doch nochmal jemand."
    Nach 1990 wollten vor allem viele junge Leute das Alte hinter sich lassen und kehrten dem östlichsten Zipfel Deutschlands den Rücken. Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Umgebindehäuser sind zu Liebhaberobjekten geworden, in denen man sich selbst verwirklichen kann. Arnd Matthes, selbst stolzer Umgebindehausbesitzer, freut sich über das wieder erwachte Interesse. Er arbeitet für die Stiftung Umgebindehaus, die Bauherren bei der denkmalgerechten Sanierung unterstützt.
    Das Ideal von einem Haus
    An diesem Tag hat sich Arnd Matthes mit Jens Nieders verabredet. Der Berliner hat vor sechs Jahren ein Häuschen in Obercunnersdorf erworben. Seitdem verbringt der IT-Spezialist fast seine komplette Freizeit auf der Baustelle.
    "Es ist ein Hobby. Und ein Hobby ist schwere Arbeit, die man aus Enthusiasmus tut. Es ist das Ideal von einem Haus. Es ist ein Blockhaus. Es ist ein Fachwerkhaus. Es hat schwere, schöne Granitplatten. Es ist eine Antiquität. Es ist ein Kunstwerk. Es ist dreihundert Jahre alt. Ich meine, mehr kann man nicht wollen, oder?"
    "Und so sieht die Blockstube aus."
    Jens Nieders zeigt die frisch restaurierte Blockstube. Tiefe Holzbalkendecke, Dielenboden, Schiebefensterläden aus Holz. Eine Atmosphäre wie im russischen Märchen.
    "Das Haus ist 1698 gebaut worden, wurde originalgetreu hergerichtet, denkmalgerecht, mit einer gotischen Tür, einem barocken Gitter, Granitplatten im Flur."
    Jens Nieders vor seinem frisch restaurierten Umgebindehäuschen in Obercunnersdorf.
    Jens Nieders vor seinem frisch restaurierten Umgebindehäuschen in Obercunnersdorf. (Deutschlandfunk/Iris Milde)
    Ich verabschiede mich aus Obercunnersdorf und fahre weiter ins benachbarte Ebersbach-Neugersdorf. Dunkle Regenwolken liegen über sanften grünen Hügeln und lassen das Gelb der Rapsfelder noch heller leuchten.
    In feuchten Nebel gehüllt öffne ich das Tor zu einem Umgebinde-Vierseithof, in dem sich Simone und Friedbert Scholz ihren Lebenstraum erfüllt haben: ein Kaffeemuseum. Unter dem herrlichen Laubengang kann man auch bei Regenwetter im Trockenen sitzen und ein "Dässchen Heeßen" genießen, wie der Sachse sagt. Im Ziegelgewölbe des alten Stalles befindet sich die Rösterei.
    "Wir stehen jetzt gerade im Gewölbe vom alten Kuhstall. Dann war der Hof von 1820 ungefähr bis 1880 ein sogenannter Faktorenhof. Faktor – Vorgänger der Manufaktur. Hier wurden also Garne gehandelt, Stoffe gehandelt. Und das war zu der Zeit ein sehr einträgliches Geschäft und deshalb auch so mächtig gewaltig der Hof gebaut mit vier Gebäuden, mit Umgebindeblockstuben, die ganz atypisch 2 Meter 50 lichte Höhe haben, weil sonst sind das kleine Weberhäuschen, wo man sich eher gebückt bewegen muss, und auch viele Räume, 45 Räume..."
    Auch heute erwartet Simone Scholz wieder Kaffeegäste. Die langen Tafeln in der riesigen Blockstube sind schon gedeckt, mit bestickten Deckchen und zusammengesammeltem Blümchenporzellan. Doch bis dahin war es ein weiter Weg. Zehn Jahre gab es für Simone und Friedbert Scholz praktisch nur ein Thema: Hausbau.
    "Der erste Anblick war abschreckend. Außen war sehr viel kaputt. Es gibt hier sehr viele Holzverschalungen. Die hingen zum Teil nur noch an einem Nagel. Seit Anfang der 90er Jahre stand das leer. Trotzdem viele gesagt haben: Oh Gott und das kann man doch nicht machen, hat uns das eher inspiriert weiterzumachen."
    Verblüffende Exponate und Humor
    Friedbert Scholz: "Jetzt sind wir also im Kaffeemuseum und hier sind also vier Räume, wo sich alles um die Geschichte des Kaffeetrinkens, die Kaffeekultur bis hin zum Ende der Kaffeekultur dreht. Dieses Gerät, ein alter Kugelröster aus dem Jahre 1860, der stand hier auf dem Boden. Also hier im Hof wurde, und das ist verbrieft, weil nämlich ein Opa gesagt hat, dass er hiermit im Krieg den sogenannten Muggefugg geröstet hat als Kind, musste er immer an der Kurbel da drehen als Kind. Getreidekaffee."
    Nicht nur an verblüffenden Exponaten, sondern auch an Humor mangelt es nicht. Die Ausstellung endet denn auch mit dem unseligen Pappbecher.
    Friedbert Scholz: "Bis zu unserem modernsten Ausstellungsstück."
    Reporterin:"Coffee to go”
    Friedbert Scholz: "Das Ende der Kaffeekultur."
    "Erneuter Ortswechsel. Ein kleines Umgebindehaus in der Kleinstadt Schirgiswalde bei Bautzen.Drinnen mühen sich sich drei Frauen, den alten Linoleumbelag herauszureißen, unter dem morsche Dielen zum Vorschein kommen. Sie alle sind Teil einer dramatischen Rettungsaktion. Der Besitzer des seit 1992 leerstehenden Hauses wollte das Haus an die Stadt verschenken. Die beschloss den Abriss."
    "Und da haben wir gesagt, das geht nicht. Das Haus steht unter Denkmalschutz. Es ist ortsbildprägend. Profilierte Säulen, zwei Blockstuben, also Doppelstubenhaus. Und da haben wir gesagt, da können auch wir uns das schenken lassen, um es zu erhalten."
    Daniel Hain ist Vorsitzender des Vereins, der sich im Januar eigens zur Rettung des maroden Häuschens gegründet hat. An diesem Tag findet der erste Arbeitseinsatz statt, zu dem auf Anhieb ein Dutzend Mitstreiter gekommen sind. Es geht um eine erste Notsicherung. Aber an Ideen für die Zukunft mangelt es den Vereinsmitgliedern nicht.
    "Zumindest ein Teil des Hauses sollte öffentlich zugänglich werden, wie eine Art Museum. Dann ein Teil wahrscheinlich als Wohnraum oder Verwaltung. Dann wollen wir einen Raum uns vornehmen als Fachbibliothek für Umgebinde, Lehmbau, Fachwerk..."
    Erhaltbar oder nicht erhaltbar?
    Ein Verein will dieses Umgebindehaus in Schirgiswalde vor dem Abriss retten.
    Ein Verein will dieses Umgebindehaus in Schirgiswalde vor dem Abriss retten. (Deutschlandfunk/Iris Milde)
    Ein Bett und ein paar Schränke stehen noch. Davor klafft ein Loch im Boden, durch das man ins Erdgeschoss sehen kann. Ein Anblick, der entmutigen könnte. Architektin Kerstin Richter steigt vorsichtig von Balken zu Balken und nimmt mit dem Zollstock Maß.
    "Es ist erhaltbar. Die Häuser sind ja so gemacht, dass man einfach ein Bauteil rausnimmt, das kaputt ist und durch ein Neues ersetzt. Also Holzhäuser sind eigentlich relativ leicht zu reparieren."
    "Es gibt viele in der Bevölkerung, die meinen, das Haus ist nicht mehr zu retten, aber wir wollen das Gegenteil beweisen", fügt Daniel Hain hinzu. Doch trotz der neu aufblühenden Liebe zu der alten Volksbauweise werben noch viele Umgebindehäuser mit marodem Charme um einen Liebhaber. Aber wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten, so Denkmalpfleger Arnd Matthes.
    "Es gibt für die Häuser, die an der Bundesstraße stehen, die wirklich keine Zukunft mehr haben, nur noch die Möglichkeit, dass man sie umsetzt, zurückbaut und an einer anderen Stelle wieder errichtet. Und das ist kein Problem, weil die Umgebinde- und Fachwerkhäuser gehörten zur fahrende Habe, das war eine Sache, die man mitnehmen konnte. Konnte man die Holznägel ziehen, aus denen ist es ja zusammengefügt, und man hat das auf den Wagen aufgeladen, mitgenommen in einen anderen Ort und wieder aufgebaut."