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Deutsch-türkisches-Journalistenstipendium
Austausch in schwierigen Zeiten

Seit über einem Jahr herrscht in der Türkei Ausnahmezustand. Kritische Journalisten stehen unter Generalverdacht. Trotz der schwierigen Zeiten halten internationale Journalistenprogramme an einem Austausch fest. Auch das deutsch-türkische Johannes-Rau-Stipendium hat sich neu erfunden.

Von Claudia Hennen | 18.10.2017
    Der deutsche Journalist mit seinem türkischen Tandempartner Adnan Ağaç von NTV sind Stipendiaten des Johannes-Rau-Journalistenprogramms.
    Zwei Journalisten im Tandem nehmen am Johannes-Rau-Journalistenprogramm teil. (Deutschlandradio, Claudia Hennen)
    Frühmorgens im obersten Stock der taz in Berlin: Ein Dutzend deutscher und türkischer Journalisten, alle Stipendiaten des diesjährigen "Johannes Rau Programms", sind zu Besuch bei taz.gazete, dem deutsch-türkischen Online-Portal der tageszeitung. Redakteurin Ebru Taşdemir blickt von ihrem Schreibtisch auf das große Free-Deniz-Banner auf dem Hochhaus des Axel-Springer-Verlags.
    Zwei türkische Journalisten werden hier in den nächsten Wochen Gastredakteure sein. Miodrag Soric, Auslandskorrespondent bei den Öffentlich-Rechtlichen und ehemals Chefredakteur der Deutschen Welle, leitet das Journalistenprogramm:
    "Im Russischen gibt es ein Sprichwort: einmal sehen ist mehr wert als tausendmal hören. Das heißt, wir können den türkischen Journalisten tausend Mal erzählen, wie Pressefreiheit in Deutschland funktioniert, besser ist: Sie kommen in eine deutsche Redaktion, das kann die Welt, die taz, die Deutsche Welle oder jede andere Redaktion sein, und sie sollen sehen, wie Journalismus in Deutschland funktioniert."
    Rahmenbedingungen des Programms haben sich verändert
    Soric hat vor zwölf Jahren mit der Mercator Stiftung das Programm ins Leben gerufen und es nach dem ehemaligen Bundespräsidenten benannt, der sich stets für die gute Beziehung zwischen beiden Ländern eingesetzt hat. Auch nach den Gezi-Protesten vor vier Jahren setzte Soric das Programm unverändert fort. Erst mit dem Putschversuch im vergangenen Sommer änderten sich die Rahmenbedingungen grundlegend. Erstmals konnten deutsche Journalisten nicht mehr in die Türkei reisen – die Lage war mittlerweile zu gefährlich.
    Soric: "Also mussten wir uns die Frage stellen: Entweder das Programm auszusetzen für einige Jahre, oder es unter anderen Vorzeichen fortzusetzen. Wir haben uns für letzteres entschieden. Alle haben gesagt: gebt dieses Programm nicht auf, jetzt ist es wichtiger und notwendiger denn je. Also haben wir gesagt: Lasst deutsche, lasst türkische Journalisten an einem gemeinsamen Thema arbeiten. Aber in einem sicheren Land."
    Daher schließen sich in diesem Jahr deutsche und türkische Stipendiaten zu Tandems zusammen und arbeiten in den kommenden Wochen gemeinsam an Themen.
    "Wir wollen auch eine kritische Position einnehmen"
    Dabei prallen oft unterschiedliche Positionen aufeinander. Daniel Bellut von der Deutschen Welle diskutiert mit seinem Tandempartner vom türkischen Nachrichtensenders NTV über den Niedergang des Kemalismus.
    Bellut: "Wir wollen ja über den Islamismus schreiben und auch eine kritische Position einnehmen. Und da hat mir mein Tandempartner gesagt, dass er da wirklich aufpassen muss und dass wir das sehr sachlich und objektiv angehen. Ich hab nun mal eine Außenperspektive und er steckt halt mittendrin, aber das ist eine Bereicherung. Dadurch könnte das Produkt vielfältiger und durchdachter werden."
    Auch unter den türkischen Stipendiaten könnten die Positionen nicht unterschiedlicher sein. Einige kommen von regierungstreuen Medien wie der Tageszeitung "Hürriyet" – andere wiederum von kritischen wie der unabhängigen Nachrichtenplattform "bianet". Auf die Frage, ob ihnen der Aufenthalt nach ihrer Rückkehr in die Heimat Probleme bereiten könnte, will nicht jeder antworten. Beyza Kural von "bianet" weiß um das Risiko:
    "Wir machen einfach unseren Job"
    "Wir wissen nicht, was der morgige Tag bringt, aber wir haben gelernt, mit dieser unsicheren Situation umzugehen. Wir machen einfach unseren Job, obwohl die meisten unserer Kollegen verhaftet wurden. Entscheidend ist, dass wir zusammenhalten –denn nur zusammen sind wir stark", so Kural.
    Vergangenes Jahr hatte sich ein "Johannes-Rau"-Stipendiat dazu entschieden, in Deutschland zu bleiben. Das Ziel sei aber der Austausch – und nicht das politische Exil, betont Programmleiter Miodrag Soric. Ihm geht es um den deutsch-türkischen Dialog. Um jeden Preis? Der Programmleiter wiegelt ab:
    Soric: "Alle fragen natürlich, was passiert mit den Kollegen wenn sie hier mitarbeiten, möglicherweise kritisch berichten. Letzten Endes aber sind es kluge mündige Menschen, sie wissen am besten, ob sie es verantworten können, was sie schreiben können und was nicht, ob sie unter dem eigenen Namen schreiben, ob sie ein Pseudonym benutzen. Sie kennen die Lage in der Türkei am besten."