Donnerstag, 18. April 2024

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Deutsche Band in Afghanistan
Der Weg ins Camp Marmal (1/6)

Eine politische Message haben sie nicht: die vier Musiker der Elektro-Pop-Band "The Bite", die im Rahmen einer "Betreuungsmaßnahme" vor deutschen Soldaten im Auslandseinsatz spielen. Sie wollen einfach nur Solidarität zeigen. Auf dem Weg nach Afghanistan schwankt die Stimmung zwischen Vorfreude und Nervosität.

Von Axel Rahmlow | 04.01.2014
    Mitglieder der Band "The Bite" ziehen auf dem Weg zum Flieder ihre Koffer hinter sich her.
    Drei Konzerte wollen "The Bite" in Afghanistan geben (Axel Rahmlow )
    Tausende Vögel kreischen über dem Flugfeld. Aber die Propeller des olivgrünen Militärtransporters, die jetzt warmlaufen, sind lauter.
    An der offenen Ladeluke hinten parkt ein vollgepackter Kleinbus. Darin sitzen 30 deutsche Soldaten. Beige Tarnuniformen, Reihe für Reihe.
    Chris: "Es ist eine sehr niedergedrückte Stimmung hier. Das ist der Ernstfall."
    Chris Rieck hat das gleiche Ziel wie die Soldaten: Camp Marmal. Das letzte Feldlager der Bundeswehr in Afghanistan. Aber er sitzt ohne Uniform dazwischen, mit braunem Gitarrenkoffer zwischen den Beinen und rotem Anstecker der Rolling Stones an der Mütze. Er ist Ende 30 und in Deutschland eigentlich Lehrer am Bodensee. Jetzt steht er am frühen Morgen mit seinen Bandkollegen Nadine, Oli und Gabriel auf einem Militärflugplatz in Usbekistan, 6000 Kilometer von zu Hause entfernt. Sie warten auf den Abflug ins Feldlager.
    Chris: "Ich bin schon ein bisschen nervös. Wie kann man da abgeklärt sein?"
    In ihrer Freizeit machen sie als "The Bite" Elektro-Pop. Sie haben sich bei der Bundeswehr als "Betreuungsmaßnahme" beworben. Das ist Bundeswehr-Deutsch, für Künstler, die vor deutschen Soldaten im Auslandseinsatz spielen. Fünf Konzerte waren mal angedacht. Drei sind es geworden.
    Gabriel: "Das ist schon eine verrückte Idee nach Afghanistan zu fahren."
    Oli: "Es ist ein Kriegsgebiet, das muss man sich vor Augen halten. Aber jetzt freu ich mich drauf."
    Wie alle in der Band haben auch Bassist Oli Rhede und Schlagzeuger Gabriel Murin die Idee mit ihren Familien abgesprochen. Die zwei Ingenieure quetschen sich mit den Soldaten durch vier schmale Sitzreihen, die längs an der Innenwand entlanglaufen. Darüber ein paar Beatmungsgeräte, Bullaugen und dicke Rohre. Oli bleibt ruhig. Er bleibt immer ruhig.
    Rufzeichen Nazgul
    Oli: "Wenn es mal tropft und dampft, dann ist das wohl normal."
    Ein groß gewachsener Soldat hilft den vier Zivilisten, sich zurechtzufinden. Oberstleutnant Stefan G. Sein voller Name muss aus Sicherheitsgründen geheim bleiben. Aber er besteht sehr schnell darauf geduzt zu werden.
    Stefan: "Ganz nette Leute, mit denen kann man sich nicht nur über Musik unterhalten."
    Stefan also. Er ist Pilot bei den Rettungshubschraubern und Mitte 40. Rechts auf seinem Overall ist das runde Abzeichen seiner Einheit genäht. Ein Nazgul, einer der dunklen Ringgeister aus dem "Herrn der Ringe", die auf Drachen fliegen. "Nazgul" ist ihr internationales Rufzeichen beim Funkverkehr. Eines, was sich jeder merken kann. Stefan und die Rettungsmannschaften interpretieren das Symbol als etwas Gutes, Schnelles, Mächtiges.
    Stefan: "Mich persönlich motiviert, dass ich helfe. Egal welche Zivilisten oder welche Soldaten, egal ob Sprengfalle oder Angriff oder auch Verkehrsunfall, dass wir denen aktiv helfen. Das ist, was für mich zählt."
    Es ist Stefans siebte Tour in Afghanistan. "The Bite" kennen das Land dagegen nur aus den Nachrichten, die eigentlich immer schlecht sind. Ein halbes Jahr lang haben sie immer wieder mit Freunden diskutiert: ob sie durch ihre Konzerte nicht einen Auslandseinsatz oder sogar Krieg unterstützen.
    Gabriel: "Wir wollen nicht signalisieren, dass wir den Krieg dort gut heißen. Aber die Soldaten gehören dazu, und warum nicht denen auch ein Stück weit Solidarität zeigen?"
    Chris: "Wir haben keine politische Message. Wir machen es für die Leute und für uns. Es ist ein Abenteuer. Manche sagen der Krieg ist verloren, manche sagen Nein, aber wir ziehen uns zurück. Wenn sie mal ein bisschen Unterhaltung und Party brauchen, dann in dieser Situation. Sie warten darauf, dass sie abgezogen werden."
    Im Cockpit bereiten die beiden Piloten den Start vor. Ein Soldat überwacht an einem Laptop den Luftraum. Falls die Maschine mit Raketen beschossen wird, muss er Magnesiumsalven abschießen, um sie abzulenken.
    Soldat: "Angeschnallt bist Du?"
    Nadine: "Ja! Check!"
    Die Stimmung vorne ist trotzdem gelöst. Auch bei Nadine Maikler. Die Sängerin darf im Cockpit sitzen, der freundliche Hubschrauberpilot hat das spontan organisiert. Sie ist Ende 20, studiert noch Jura. Nadine kriegt einen Kopfhörer auf ihre blonden Haare gesetzt und stellt den Piloten über Funk jede Menge Fragen.
    Nadine: "Wir möchten ja auch mit den Soldaten sprechen. Es ist ja unsere einzige Chance zu erfahren, wie es wirklich aussieht."
    Die Piloten beschleunigen. Nadine hält sich an einer Konsole fest. Aber grinst.
    Nadine: "Jetzt kann es losgehen. Sie haben die technischen Details gecheckt. Neun Grad in Afghanistan. Da werden wir Spaß haben."
    Die Maschine steigt steil nach oben, die Piloten drehen nach Süden, Richtung Grenze. Die Sonne scheint, der Himmel ist klar. Nach wenigen Minuten taucht ein Felsmassiv vor dem Flugzeug auf, die ersten Ausläufer des Hindukusch. Davor die Sandhügel der Wüste. Und Masar-e-Sharif, die größte Stadt im Norden mit den blauen Kuppeln einer Moschee. Daneben ein kilometerlanges, abgegrenztes Areal aus Baracken. Camp Marmal.
    Nadine: "Wenn wir aus dem Cockpit rausschauen, sehen wir schon die Landebahn. Jetzt geht's los."
    Die Piloten gehen in den Sturzflug. Der Grund: Schnell runterkommen, wenig Zielfläche für Beschuss bieten. Erst kurz vor der Landebahn ziehen sie die Flugzeugnase hoch. Nach 20 Minuten sind die Soldaten und "The Bite" in Afghanistan gelandet.