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Deutsche Bank
"Da läuft ein Zermürbungskrieg"

Für den Finanzwissenschaftler Max Otte stellt die Hauptversammlung "nur einen Schritt im Prozess des Niedergangs" der Deutschen Bank dar. Das Kreditinstitut symbolisiere das deutsche Wirtschaftsmodell, sagte der Wormser Professor im DLF. Und das habe sich gewandelt.

Max Otte im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.05.2015
    Der Ökonom Max Otte
    Der Ökonom Max Otte (imago stock & people)
    Die Deutsche Bank sei einmal eine der angesehendsten Banken weltweit gewesen, so Otte im Deutschlandfunk. Doch dann sei das gesamte deutsche Wirtschaftssystem umgestaltet worden, "weg vom Kreditgeschäft, weg von der Langfristigkeit, weg vom Vertrauen, hin zu schnellen Kapitalmärkten".
    Im Zuge dieser Entwicklung habe die Deutsche Bank in den 1980er-Jahren die erste Investmentbank gekauft. "Und das ist gründlich in die Hose gegangen", so der Professor für allgemeine und internationale Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Worms. Auch die heutigen Probleme resultierten aus diesem Kurswechsel.
    "Schwerste Schäden"
    Die Strafzahlungen in Milliardenhöhe im Ausland der vergangenen Jahre zehrten an der Deutschen Bank, so Otte. Das Image der Deutschen Bank leide sehr unter den andauernden Strafen. "Da läuft ein Zermürbungskrieg." Dies habe "schwerste Schäden" zur Folge.
    Die Deutsche Bank sei noch immer die "letzte funktionierende deutsche Großbank", die eine "ordentliche Leistung" erbringe, so Otte. Der jüngste Strategiewechsel weg vom Privatkunden-Bereich gehe in die richtige Richtung, sei aber zu halbherzig.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Die Deutsche Bank ist von zahlreichen Skandalen überzogen. Sie steht mitten im Umbruch, sucht nach einer neuen Strategie, ihre Führung steht unter Druck, und das bei dem Geldinstitut, auf das die Deutschen immer so stolz waren. All das dürfte sich heute auch auf der Hauptversammlung bemerkbar machen. Um zehn Uhr geht es los in Frankfurt und es wird wohl vor diesem Hintergrund alles andere als harmonisch werden. Mitgehört am Telefon hat Max Otte, Wirtschafts- und Finanzwissenschaftler. Guten Morgen, Herr Otte!
    Max Otte: Guten Morgen.
    Kaess: Herr Otte, ist denn die Mehrheit für das Führungsduo Anshu Jain und Jürgen Fitschen überhaupt noch sicher?
    Otte: Das weiß man nicht, denn die Deutsche Bank gehört ja überwiegend auch internationalen Aktionären. Es wird schon kräftigen Gegenwind geben. Auf der anderen Seite kann ich mir schon vorstellen, dass die Mehrheit der institutionellen Aktionäre die neuen Pläne mittragen wird.
    Kaess: Und wie stark dieser Gegenwind sein wird, welche Rückschlüsse lassen sich daraus ziehen?
    Otte: Im Prinzip ist diese Hauptversammlung nur ein Schritt auf dem Weg oder in einem langen Prozess des Niedergangs, kann man fast sagen, zumindest des Bedeutungsschwundes. Egal wie diese Hauptversammlung jetzt ausgeht, die Probleme werden bleiben.
    Kaess: Aber man fragt sich ja auch, Herr Otte, so wie Sie es sagen, Sie sprechen sogar vom Niedergang, warum dann der Vorstand überhaupt eigentlich noch entlastet wird.
    Otte: Ja, es ist ja nicht nur dieser Vorstand. Ich glaube, es war eine Strategieänderung in den 80ern, als man mit Morgan Grenfell die erste Investmentbank kaufte. Das ging massiv in die Hose. Dann hat man das Geschäft ein bisschen gelernt. Es spielen da sehr viele auch globale Themen rein. Die Deutsche Bank symbolisiert wie kein anderes Institut das deutsche Wirtschaftsmodell, und das deutsche Wirtschaftsmodell ist angegriffen, steht auf dem Prüfstand, wird umgestaltet, und die Deutsche Bank symbolisiert das.
    Kaess: Und es gibt viel Rätselraten um den neuen Kurs. Haben Sie die Strategie der Deutschen Bank verstanden?
    "Man will weg von dem kleinteiligen Massengeschäft"
    Otte: Nachvollziehbar ist das schon. Man wollte keinen ganz radikalen Schnitt machen, sich zum Beispiel vom Investmentbanking trennen, oder vom Privatkundengeschäft trennen, oder die Bank aufspalten, wie das jetzt bei E.ON der Fall ist. Das hat man nicht gemacht, sondern man sagt, man will weg von dem kleinteiligen Massengeschäft. Man will den Privatkunden schonen, oder die Privatkunden, aber die Höherwertigen, will das Geschäft stärken. Dann will man aus dem Investmentbanking-Bereich gewisse besonders riskante Dinge herausnehmen. Insgesamt ist es tatsächlich eine Fokussierung und Gesundschrumpfung. Ob es reicht, wird die Zukunft zeigen.
    Kaess: Das heißt, Sie glauben eigentlich, ein radikalerer Schnitt wäre nötig gewesen?
    Otte: Ich möchte früher ansetzen bei der Ursachendiagnose. Die Deutsche Bank hat im deutschen Wirtschaftssystem, wo wir Universalbanken hatten, wo das Privatkundengeschäft und das große Firmenkundengeschäft zueinander gehörten, hervorragend funktioniert und war eine der angesehensten Banken und besten Institutionen auf der Welt. Nur da wir das ganze deutsche Wirtschaftssystem umgestalten lassen, zum Teil auch natürlich mit internationalem Einfluss, weg vom Kreditgeschäft, weg von der Langfristigkeit, weg vom Vertrauen, hin zu schnellen Kapitalmärkten, dachte die Deutsche Bank, sie wäre ganz früh, und hat dann schon in den 80ern gesagt, jetzt machen wir auch Investmentbanking Und das hat im Prinzip dann in gewisser Weise auch die Probleme mit sich gebracht.
    Kaess: Und diese Veränderungen, die Sie skizzieren, darauf zu reagieren, damit waren viele Banken überfordert.
    Otte: Damit sind viele Banken überfordert gewesen. Nur die Investmentbanken an der Wall Street, in London, kann man sagen, die spielten natürlich in gewisser Weise ein anderes Spiel, american football. Die deutschen Banken spielten europäischen Fußball. Und wenn jetzt ein Newcomer versucht, die Regeln des anderen Spiels zu spielen, dann hat der natürlich per se erst mal Nachteile. Und ohne jetzt die eigenen Verantwortungen da klein zu machen der Deutschen Bank, es lässt sich natürlich zum Beispiel in den USA auch ein bisschen besser gegen eine ausländische Bank klagen, die vielleicht auch ein bisschen als Sündenbock dasteht.
    Kaess: Sie sprechen von der Eigenverantwortung. Zweieinhalb Jahre nach Amtsantritt der beiden Vorstandsvorsitzenden Anshu Jain und Jürgen Fitschen kann man sagen, die Bank ist in ihrer schwersten Krise und die Schuld liegt beim Führungsduo?
    Otte: Nein, würde ich so nicht sagen. Dieses Führungsduo hat nicht wesentlich mehr Fehler gemacht, vielleicht sogar deutlich weniger als die Vorgänger. Ackermann hat die Bank doch in sehr riskante Geschäftsbereiche getrieben. Da kommt man natürlich auch so schnell nicht mehr raus. Die Verträge sind gemacht, die Geschäftsbereiche sind aufgebaut. Ich sehe es eher so, dass die beiden mit einer extrem schwierigen Situation zu kämpfen haben und da tatsächlich um das Überleben oder zumindest um die Qualität ihrer Bank kämpfen und auch relativ wenig Spielraum haben.
    Kaess: Die müssen jetzt die Suppe auslöffeln, die die Vorgänger ihnen eingebrockt haben?
    Fall Kirch - "Die Bank hat dafür massiv geblutet"
    Otte: Ja. Wie weit da noch eigene Verantwortung dazukommt, da wird sicherlich auch das eine oder andere sein. Aber ich glaube schon, dass sie unter den gegebenen Bedingungen ganz ordentlich arbeiten. Aber jetzt müssen Sie mal überlegen: Da kommt jetzt ein Prozess, wird ein Prozess in München von der Staatsanwaltschaft aufgrund oder wegen versuchten Prozessbetruges angestrengt. Wo gibt es denn so was, dass drei Generationen oder vier Generationen von Vorstandsvorsitzenden da zitiert werden? Diese zugrunde liegende Sache, der Fall Kirch ist ja mit fast einer Milliarde verglichen worden. Die Bank hat dafür massiv geblutet. Wenn jetzt eine ehrgeizige Staatsanwältin kommt, noch drei Generationen von Vorständen da auf die Anklagebank zerrt, dann ist so ein Institut natürlich völlig demoralisiert. Das ist auch dann ein weiterer Hieb gegen das Institut.
    Kaess: Kann das denn sein, dass Jürgen Fitschen, der vor Gericht wegen versuchten Prozessbetruges im Fall des Medienunternehmers Leo Kirch steht, kann denn so jemand noch an der Spitze einer Bank stehen?
    Otte: Er ist von seiner Unschuld überzeugt. Ich nehme ihm das ab. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die wirklich vorsätzlich Prozessbetrug betrieben haben. Dass man vorher was übt, dass man sich auch in gewisser Weise abspricht, um sich nicht gegenseitig in die Parade zu fahren, das ist auch eigentlich in so einem wichtigen Prozess Gang und Gäbe, solange es nicht der Betrug ist. Ich verstehe, dass er sich verteidigt, und wahrscheinlich wird er auch weiter an der Spitze stehen, aber der Druck wird zunehmen und das ist ein weiterer Nagel im Sarg der Deutschen Bank.
    Kaess: Und der Satz des Aufsichtsratsvorsitzenden Paul Achleitner, der gesagt hat, jeder ist ersetzbar, es geht um die Zukunft der Bank und nicht um Individuen, wie würden Sie den Satz interpretieren?
    Otte: Das muss er wahrscheinlich sogar machen, um die Märkte zu beruhigen. Ich kann mir schon vorstellen, dass man, wenn dieser Prozess sich verschärft, wenn sich ein Urteil abzeichnet, oder wenn sogar ein Urteil gesprochen wird, was ja sich hinziehen kann, dass man dann natürlich Schritte ergreifen würde. Ich denke, das ist normal, und das hat Achleitner wahrscheinlich auch gesagt, um zu zeigen, dass man professionell ist und dass man auch in die Zukunft schauen kann.
    "Die letzte funktionierende deutsche Großbank"
    Kaess: Unterm Strich, Herr Otte, bringt die Deutsche Bank dennoch eine gute Leistung? Denn Anshu Jain sagt ja, kein Zweifel, die Aktie ist nicht dort, wo wir sie uns wünschen, aber Leistung ist mehr als der Börsenkurs.
    Otte: Die Deutsche Bank bringt aus meiner Sicht eine ordentliche Leistung. Sie ist die letzte funktionierende deutsche Großbank. Wenn die weg ist, dann wird es für Deutschland ziemlich schwierig. Dann haben wir im Prinzip die Finanzen außerhalb des Landes. Ich glaube, die Leistung ist okay. Die Strategie, die jetzt beschlossen wurde, die ist vielleicht noch ein bisschen zu halbherzig, aber sie geht doch zumindest in die richtige Richtung. Es sind schon sehr signifikante Schritte dabei.
    Kaess: Die sechs Milliarden an Strafzahlungen in den letzten Jahren, zehren die den Gewinn auf?
    Otte: Natürlich zehren die kräftig. Ich meine, aber auch die anderen Banken in den USA mussten massive Strafen zahlen. Aber wie gesagt, es ist vielleicht auch ein bisschen leichter, gegen eine Bank zu klagen, die aus dem Ausland kommt, die für Deutschland steht. Ich will da nicht ausschließen, dass die Faktoren auch besonders gegen die Deutsche Bank gerichtet sind, wobei natürlich alle Fehler gemacht haben, alle manipuliert haben und viele Banken auch Strafen zahlen mussten. Das andere ist, dass das Investmentbanking natürlich sehr teuer ist. Die Kapitalerhöhungen der Banken seit der Finanzkrise von ungefähr 20 Milliarden sind eins zu eins quasi als Boni an die Banker geflossen, und das ist schon ein ziemlich starkes Stück.
    Kaess: Und wie sehr schaden die Strafzahlungen dem Image der Bank? Ist das etwas, was man auch einfach irgendwann wieder abschütteln kann?
    Otte: Das Problem ist, dass es nicht abzuschütteln scheint, denn kaum ist die eine Sache erledigt, kommt die nächste, und das geht jetzt seit Jahren so. Da läuft ein Zermürbungskrieg und das hat natürlich schwerste Schäden für die Bank zur Folge. Das ist völlig klar.
    Kaess: Vor der Hauptversammlung der Deutschen Bank heute, die wohl turbulent werden dürfte, war das die Meinung des Wirtschaftswissenschaftlers Max Otte. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    Otte: Guten Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.