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Deutsche Bürgschaften für gefährdete AKW in Brasilien

Die angeblich sichersten Atomkraftwerke der Welt sollen abgeschaltet werden. In vielen Ländern aber stehen Reaktoren, die nach dieser Logik weniger sicher sind, ein Teil davon in Entwicklungsländern. Und es sollen neue gebaut werden - auch mit Regierungsbürgschaften aus dem Atom-Aussteigerland Deutschland.

Von Dieter Nürnberger | 31.03.2011
    Angra 3 ist ein Atomprojekt, welches bereits Mitte der 1980er-Jahre begonnen wurde. Die Technik - auch aus Deutschland - wurde damals schon angeliefert. 1986 jedoch gab es aufgrund finanzieller und ökologischer Bedenken einen Baustopp. Seit Mitte 2010 sind die Arbeiten wieder aufgenommen. Und auch diesmal will sich Deutschland wieder beteiligen. Im Februar 2010 gab die schwarz-gelbe Bundesregierung eine Grundsatzzusage für eine Exportkreditgarantie über 1,3 Milliarden Euro ab, eine sogenannte Hermes-Bürgschaft. Angra 3 wird vom französischen Atomkonzern Areva gebaut, an dem Siemens beteiligt ist. Barbara Happe engagiert sich bei der Umweltgruppe "urgewald". Sie war schon mehrmals direkt vor Ort in Angra:

    "Bis Ende letzten Jahres war dort lediglich eine Baugrube. Und es gab die Materialien, die dort vor Ort seit 20 Jahren in Hallen einlagern. Gebaut wurde nichts, doch jetzt, nachdem die Betriebsgenehmigung durch ist, haben die Bauarbeiten begonnen."

    Der Reaktorkomplex Angra liegt direkt am Meer. Umweltgruppen kritisieren seit Langem, dass die Gegend erdbeben- und erdrutschgefährdet sei. Zudem natürlich die größtenteils alte Technik, die da verbaut werden soll.

    Seit der Reaktorkatastrophe in Fukushima ist bekanntlich vieles anders. Im Falle Angra heißt dies, dass die Bundesregierung die brasilianische Regierung konsultieren will, inwieweit sich Auswirkungen auf die weiteren Verfahren und die anzuwendenden Standards bei Angra 3 ergeben. So steht es wortwörtlich in einem Schreiben des beteiligten Bundesfinanzministeriums an den Haushaltsausschuss des Bundestags. Sascha Raabe ist entwicklungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion. Er vermutet, dass sich an der Hermes-Zusage letztendlich aber nichts ändern wird.

    "Da kann ich mir schon vorstellen, dass die Antwort der brasilianischen Regierung so ausfallen wird, dass die sagen, wir ziehen daraus keine größeren Konsequenzen. Und dann wird die Bundesregierung diese fatale Entscheidung durchziehen und das Ganze nennen sie am Ende dreisterweise auch noch Prüfung."

    Brasilien hat bis 2030 den Bau von mindestens vier neuen Atomkraftwerken angekündigt.

    In Deutschland ist eine Exportförderung von Nukleartechnologie erst seit dem Regierungswechsel 2009 auf Bundesebene wieder möglich. Vorher galten von Rot-Grün 2001 erlassene Umweltrichtlinien. SPD-Abgeordneter Sascha Raabe trauert noch heute diesem nationalen Regelwerk nach:

    "Es wurden keine neuen Umweltleitlinien eingesetzt, es trat nichts an deren Stelle. Somit gibt es derzeit diese Umweltverträglichkeitsprüfungen nicht mehr."

    Stattdessen wendet die Bundesregierung seit 2009 die Leitlinien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an. Diese sollen zwar auch negative ökologische Konsequenzen bei der Vergabe von Exportkrediten ausschließen, doch ist die Exportförderung von Nukleartechnologie möglich. Im Falle Angra 3 verweisen die beteiligten Bundesministerien darauf, dass sogar über die OECD-Richtlinien hinaus geprüft wurde. Dafür sei extra ein Gutachten in Auftrag gegeben worden. Die Umweltgruppe "urgewald" hält das Verfahren jedoch für eine Farce. Konkrete Bedingungen für das Exportgeschäft seien hier nicht formuliert worden, und selbst das Gutachten zeige Defizite auf, sagt Barbara Happe:

    "Ein Punkt beispielsweise ist, dass auch im Gutachten festgestellt wird, dass die Anlage nicht gegen Einwirkungen von außen – wie beispielsweise einen Flugzeugabsturz – ausreichend geschützt ist. So eine Anlage wäre in Deutschland nicht genehmigungsfähig. Auch im Fall des Katastrophenschutzes: Nur die Menschen im Umkreis von fünf Kilometern müssten im Katastrophenfall evakuiert werden, das zeigt, wie rudimentär diese Notfallplanung in einem Land wie Brasilien ist."

    Im Bundestag stellten die Oppositionsparteien in der vergangenen Woche einen Antrag, die einstigen, strengeren nationalen Umweltrichtlinien für Hermes-Bürgschaften wieder in Kraft zu setzen, Schwarz-Gelb lehnte ab. Barbara Happe von "urgewald" hofft dennoch, dass dieses Exportgeschäft noch scheitert, auch wenn unklar ist, ob allein deswegen der Bau in Angra verhindert werden könnte.

    "Wenn es gelingt – das zeigen Fälle aus der Vergangenheit – eine Kreditagentur wie Hermes zu überzeugen, aus einem Projekt auszusteigen, dann haben die Firmen in der Regel schon Schwierigkeiten, in anderen Ländern eine Deckung zu erhalten."