Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Deutsche Einheit
Ein echter Brückenschlag

Die beiden norddeutschen Gemeinden Kittlitz und Kneese waren lange Zeit nicht nur durch die innerdeutsche Grenze voneinander getrennt, sondern auch durch einen Fluss. Als die Mauer fiel, bauten die Bewohner gemeinsam eine provisorische Brücke - aus Leitern und Funkmasten. Bis heute feiern sie jedes Jahr ihren eigenen Brückenschlag.

Von Katrin Bohlmann | 04.10.2016
    Das erste Mahnmal in Mecklenburg-Vorpommern für Todesopfer an der früheren innerdeutschen Grenze ist am 19.08.2013 auf dem ehemaligen Todesstreifen bei Kneese (Mecklenburg-Vorpommern) zu sehen.
    Heute erinnert ein Mahnmal an die innerdeutsche Grenze bei Kneese. (dpa / picture-alliance / Jens Büttner)
    Mit Feuerwehrmusikzug, Bratwurst, Erbsensuppe und bei strahlendem Sonnenschein haben mehr als 500 Menschen aus Kittlitz und Kneese den Tag der Deutschen Einheit auf "ihrer" Brücke gefeiert. Auch 27 Jahre nach dem Mauerfall freuen sie sich immer noch, dass die innerdeutsche Grenze gefallen ist, sagt die Kittlitzer Bürgermeisterin Barbara Eggert.
    "Früher war hier die Welt zu Ende. Jetzt sind wir mitten in der Welt. Man merkt das, man spürt das. Man lernt andere Menschen kennen, Menschen, die man hätte kennenlernen wollen, aber da war ja die Grenze. Da ging es nicht weiter. Wenn man früher nach Hause fuhr auf der Bundesstraße. Man wusste ja, da kam kaum keiner, höchstens BGS. Aber ansonsten nichts. Wenn man in Mustin auf die Bundesstraße fuhr, da kam keiner von rechts."
    Provisorische Brücke aus Leitern und Baumstämmen
    Rechts, wo früher der Grenzstreifen war. Heute liegt die knapp 20 Meter lange Brücke idyllisch mitten in der Natur, im Biosphärenreservat Schaalsee. Über Kopfsteinpflaster fahren viele Autos über die Landesgrenze. Von Schleswig-Holstein nach Mecklenburg-Vorpommern und umgekehrt. Wo jetzt die Betonbrücke mit dem Holzgeländer über den Grenzfluss führt, haben die Kittlitzer und Kneeser vor 27 Jahren gemeinsam in einer spontanen Aktion eine provisorische Brücke gebaut. Zuerst mit Leitern, dann mit Funkmasten und Baumstämmen, erinnert sich der damalige Kittlitzer Wehrführer Wolfgang Farken.
    Kampf um richtige Brücke
    "Das ging ruck zuck. Wir haben uns um acht Uhr in Kittlitz getroffen. Die Kneeser auch um acht. Und dann waren wir gegen halb neun hier. Und dann ging das los, haben eingeteilt, wer was macht. Und haben dann darüber Telegrafenmaste gelegt. Da die nicht ganz ausreichten, mussten wir im Wald ein paar Bäume fällen, die wir hier ebenfalls rübergelegt haben. Und die Brücke war so ausgelegt, dass sogar Fahrzeuge, Trecker, hier rüberfahren konnten. Und abends war dann die Brücke fertig."
    Es sei für sie - für beide Gemeinden in Ost und West - eine sehr bewegende Zeit gewesen, sagen die Bewohner. Mit ihrer Holzbrücke konnten sie die verloren gegangene Nachbarschaft wiederherstellen. Bald wurde die Brücke jedoch brüchig. Eine richtige Brücke musste her. Das war ein harter Kampf, berichten die Bürgermeister Barbara Eggert und Hans-Jürgen Hoffmann der Gemeinden Kittlitz und Kneese.
    "Dadurch, dass sie viel befahren war, hatte sie Stellen, kamen Bretter hoch. Dann sollte sie gesperrt werden. Es waren richtig Kämpfe, die man mit den Behörden ausgestanden hat, damit die Brücke erhalten blieb. Und sie musste eine bestimmt Größe haben. Das war ein ganz wichtiges Argument vom Naturschutzbund. Es gibt hier einen kleinen Vogel, den Eisvogel. Ja, das ist bei uns ganz wichtig, dass er sich nicht den Kopf stößt."
    1993 kam endlich eine Betonbrücke
    Drei Jahre später - 1993 - wurde sie schließlich gebaut. Die standfeste Betonbrücke, die die beiden kleinen Gemeinden in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern seitdem vereint. Die Region profitiert von der Verbindung. Der Tourismus in der Schaalsee-Region hat sich entwickelt. Lauenburgische Landwirte haben Ländereien in Mecklenburg gepachtet. Und Kittlitzer arbeiten in Mecklenburg-Vorpommern, Kneeser in Schleswig-Holstein – wie Bürgermeister Hoffman. Aber auch zwischenmenschlich ist seit der Grenzöffnung viel passiert. Freundschaften wurden geschlossen und sogar Ehen.
    "Ja, so wie wir mit den Feuerwehren Kameradschaft gebildet haben, hat sich natürlich auch meine Schwägerin mit dem jetzigen Wehrführer verheiratet. Das ist schnell gegangen, das hat keine 27 Jahre gedauert. Und dafür gibt´s noch mehr Beispiele, dass wir über die Grenze hinweg geheiratet haben."
    Kein Ost-West-Denken mehr
    Nach 27 Jahren ist im Norden Deutschlands, in der beschaulichen Region am Schaalsee, von der Grenze nichts mehr zu spüren. Ein Ost-West-Denken gibt es in den Köpfen der Menschen nicht mehr.
    "Nein. Das hat sich total verwachsen, es ist eine ganz normale Landesgrenze. Dass das mal eine innerdeutsche Grenze war – nee, das merken wir nicht mehr. Ich bin davon überzeugt, wenn wir damals nicht gehandelt hätten, wäre es nicht dazu gekommen, dass wir heute diese Brücke haben. Kneese und Dutzow ist der Verkehr wesentlich mehr geworden, weil wir jetzt ja auch endlich Autos haben.
    Sie scherzen miteinander. Das gehört dazu, um sich zu verstehen, sagen sie. Hier an Brücke zwischen Kittlitz und Kneese scheint tatsächlich das zusammen gewachsen zu sein, was zusammen gehört.