Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Deutsche Erinnerungskultur
Vorbild für peruanische Gedenkstätte

In der peruanischen Hauptstadt Lima ensteht zurzeit ein "Ort der Erinnerung" - an die blutigen Taten der maoistische Terrororganisation "Leuchtender Pfad", aber auch des Militärs und Paramilitärs. Deutsche Gedenkstätten könnten als Vorbild für das Projekt dienen.

Von Claudia van Laak | 27.04.2015
    Das internationale Mahnmal des jugoslawischen Künstlers Nandor Glid an der KZ-Gedenkstätte in Dachau, aufgenommen am 21.06.2012. Am 22.03.1933 wurde das Konzentrationslager errichtet, befreit wurde es am 29.04.1945 durch amerikanische Truppen. Die Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers wurde im Jahr 1965 auf Initiative und nach den Plänen der überlebenden Häftlinge errichtet
    Auch die KZ-Gedenkstätte Dachau haben die Peruaner besucht, um sich ein Bild von deutscher Erinnerungskultur zu machen. (picture alliance / dpa - Sven Hoppe)
    "Buenos dias, buenos dias, bienvenidos a la memorial Berlin-Hohenschönhausen. Ich heiße Sie ganz herzlich willkommen, an diesem eigentlich sehr tristen Ort."
    Frühlingssonne auf dem Hof des ehemaligen Stasi-Gefängnisses in Berlin-Hohenschönhausen. Das Auswärtige Amt hat sechs Peruaner eingeladen, sich ein Bild davon zu machen, wie Deutschland mit seinen zwei Diktaturen umgeht – die KZ-Gedenkstätte Dachau steht auf dem Programm, das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, jetzt Hohenschönhausen.
    Entsteht doch in der peruanischen Hauptstadt Lima gerade mit deutscher Unterstützung ein "Ort der Erinnerung" - es geht um die Blutspur, die die maoistische Terrororganisation Leuchtender Pfad, aber auch das Militär und die Paramilitärs hinterlassen haben.
    "Niemand will über das Thema reden. Ich glaube, dass wir viel lernen müssen – speziell, wie der Prozess der Erinnerung bei Ihnen abgelaufen ist. Wir sind noch mitten drin in der Auseinandersetzung. Einen Ort zu errichten, wo alle am Konflikt Beteiligen zusammenkommen, ist ziemlich kompliziert."
    "Niemand will über das Thema reden"
    Sagt die Direktorin des "Ortes der Erinnerung", Denise Ledgard, als sie den Zellentrakt des ehemaligen Stasi-Gefängnisses betritt. Der gebürtige Kubaner Jorge Garcia Vazquez – in der DDR als Übersetzer tätig - war 1987 hier verhaftet worden. Jetzt erzählt er den Peruanern von den Erfahrungen. Seine Stasi-Akte mit den alten Fahndungsfotos hat er unter den Arm geklemmt:
    "Der kubanische Geheimdienst wollte mich als Spion, als Informant anwerben, er wollte, dass ich nicht nur übersetze, sondern auch meine Kollegen bespitzele. Ich versuchte zu entkommen, aber meine Telefonate mit den Amerikanern wurden abgehört. "
    In den Vernehmer-Räumen riecht es nach DDR. Diese unnachahmliche Mischung aus muffigen Tapeten, Braunkohle, Putzmitteln und ausdünstendem Linoleum. Jorge Garcia Vazquez rüttelt an einer grauen Zellentür:
    "Einen Ort für alle Beteiligten zu errichten, ist ziemlich kompliziert"
    "Diese Geräusche sind es, die bleiben, das kann man kaum jemandem erklären. Aber gut, das kennen Sie in Peru auch. Die Geschichte der Gefolterten. Der Terror. Der Terror hat keine Farbe. Genau wie die Diktaturen. Sie sind alle gleich. Weder rechts noch links. Alle gleich."
    Die Gummizelle und der als Bäckerwagen getarnte Gefangenentransporter in der Garage. Die Fotohandys klicken. In den Gesprächen geht es natürlich um die unterschiedlichen Erinnerungskulturen in Peru und Deutschland. Bei uns ist es komplizierter, sagt Sophia Macher, Mitglied der peruanischen Wahrheitskommission:
    "Es sind erst 20, 25 Jahre vergangen und die Akteure sind noch auf ihren Posten. Das macht die Arbeit sehr schwer, weil nach wie vor Gerichtsprozesse laufen. Da gibt es Militärs, die vor Gericht stehen, die den Prozess der Verständigung gefährden."
    Unterschiedliche Erinnerungskulturen in Peru und Deutschland
    Ortswechsel. Die ehemalige MfS-Zentrale in Berlin-Lichtenberg. Hier saß der Apparat, hier war das Büro von Minister Erich Mielke. Heute: Sitz der Stasi-Unterlagenbehörde.
    "Es war das erste Mal überhaupt weltweit, dass sich eine Gesellschaft entschlossen hat, die Unterlagen einer Geheimpolizei komplett der Welt zur Verfügung zu stellen. Der Zugang ist nicht für alle gleichermaßen gegeben, es gibt klare Regeln, aber es war erstmalig so, dass man gesagt hat, diese Unterlagen kann jeder einsehen und sich ein Bild davon machen, wie es war.
    Erläutert Sprecherin Dagmar Hovestädt. 111 Kilometer Aktenmaterial, 39 Millionen Karteikarten. Diese Zahlen verblüffen auch die peruanischen Besucher. Dagmar Hovestädt erzählt von der Besetzung der Stasi-Zentrale durch die DDR-Opposition, von den teils erfolgreichen Versuchen der Stasi, in letzter Minute Akten zu vernichten. Sie greift in einen Sack, in dem sich vorvernichtete Akten befinden:
    "Sie hat geschreddert, Papier geschreddert, und sie hat, besonders erfolgreich, Papier mit Wasser zersetzt, das heißt verkollert, aber dann werden das solche Brösel, da kann man aber nicht mehr jemals etwas draus hervorzaubern."
    Gratwanderung bei Veröffentlichung: Datenschutz und Interesse der Opfer
    Sophia Macher ist besonders interessiert heute, schreibt immer wieder in ihr schwarzes Notizbuch. Wie konnte die Gratwanderung zwischen Datenschutz einerseits und dem berechtigten Interesse der Stasi-Opfer andererseits gelingen? In Peru wird derzeit etwas Ähnliches diskutiert. Wie umgehen mit 19.000 Zeitzeugenberichten, die die Wahrheitskommission gesammelt hat?
    "Das ist ein Schatz, der jetzt im Archiv ist. Die Zeitzeugenberichte sind nicht bearbeitet, kaum jemand kennt ihre Existenz. Wir müssen sie dem Vergessen entreißen, denn die Aufzeichnung der Zeitzeugen ist das Wichtigste, das die Wahrheitskommission geleistet hat."
    Der Besuch der Stasi-Unterlagenbehörde hat die Menschenrechtlerin Sophia Macher darin bestärkt, für eine Veröffentlichung dieser Zeitzeugenberichte zu streiten - ist sie doch am "Lugar de la Memoria" in Lima – dem "Ort der Erinnerung", für das Dokumentationszentrum zuständig. Das Fazit ihrer Deutschlandreise:
    "Die Anstrengung, sich auf eine minimale gemeinsame Erzählung zu einigen, auf eine Erzählung der Vergangenheit, die uns repräsentiert, mit der wir uns identifizieren können. Das scheint mir fundamental. Und mir scheint, das ist eine Anstrengung, die sich lohnt. Und das ist die interessanteste Erfahrung, die ich von diesem Besuch mitnehme."