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Deutsche Erstaufführung
Ein hässliches Ritual als Musicalstoff

Unter "Dogfight" verstehen amerikanische Soldaten eine gemeine Wette: Sieger ist, wer zu einer Party das hässlichste Mädchen mitbringt. Die Broadway-Shootingstars Benj Pasek und Justin Paul thematisieren diese perfide Wette in ihrem gleichnamigen Musical. 2012 hatte das Stück am Off-Broadway in New York Premiere und wird nun unter dem Titel "Ein hässliches Spiel" in Hildesheim gezeigt.

Von Agnieszka Zagozdzon | 08.05.2017
    Szenische Aufnahme vom Stück "Ein hässliches Spiel".
    In Amerika wurde "Dogfight" 2012 am sogenannten Off-Broadway uraufgeführt. (Falk von Traubenberg)
    Am Ende seiner Rede bei der Oscarverleihung dankte Benj Pasek seiner Mutter dafür, dass sie ihm erlaubt hatte, als Kind aus der Fußballmannschaft auszutreten und stattdessen in einem Schulmusical mitzumachen. Zusammen mit seinem musikalischen Partner Justin Paul und dem Filmmusikkomponisten Justin Hurwitz hatte Benj Pasek in diesem Jahr den Oscar für den besten Song bekommen - "City of Stars", aus dem vielfach ausgezeichneten Filmmusical "La La Land".
    Musik: Ausschnitt "City of Stars"
    Benj Pasek und Justin Paul wurden beide 1985 geboren. Getroffen haben sie sich während ihres Musiktheaterstudiums an der Universität von Michigan. Eigentlich waren Beide zunächst an Rap-Musik interessiert - stellten dann aber doch sehr schnell fest, dass ihre eigentliche Leidenschaft und ihre Stärken im Schreiben von Songs lagen. 2005 veröffentlichten sie einen Songzyklus mit dem Titel "Edges"; danach begannen sie allmählich, ganze Bühnenwerke zu schreiben.
    2012 kam schließlich das Musical "Dogfight" heraus - das am vergangenen Wochenende seine deutschsprachige Erstaufführung unter dem Titel "Ein hässliches Spiel" am Theater für Niedersachsen in Hildesheim feierte.
    Musik: Ausschnitt "Heut geht's hier ab" aus "Ein hässliches Spiel (Dogfight)"
    Als "Dogfight" - also: Hundekampf - wird im Jargon der amerikanischen Soldaten eine ziemlich gemeine Wette bezeichnet: Sieger ist, wer zu einer Party das hässlichste Mädchen mitbringt. Genau so eine Wette schließen die drei Freunde Eddie, Dick und Ralph ab, die schon am nächsten Tag nach Vietnam versetzt werden. Als Eddie die schüchterne, etwas linkische Kellnerin Rose trifft, glaubt er, schon gewonnen zu haben. Im Gespräch mit Rose auf dem Weg zur "Dogfight"-Party hinterfragt sie jedoch auf kluge Weise Eddies bisher so sicher geglaubten Ansichten über militärischen Gewalteinsatz und das vermeintlich so simple Scharmützel in Vietnam.
    Regisseurin Alice Asper blieb in ihrer Inszenierung mit den Kostümen und den angedeuteten Kulissen konsequent in der Zeit, in der das Stück auch angesiedelt ist: den 60er-Jahren.
    "Wir bleiben in der Zeit drin. Wir haben zwar darüber gesprochen – aber die Texte und auch die Musikeingriffe die nötig wären, um das zu übersetzen, wären gigantisch; da muss man sich dann fragen: Warum macht man dieses Stück? Hier glaube ich an die Beispielfunktion: dass man das auch übertragen kann; und ich muss ganz ehrlich sagen dass es auch Spaß macht, sich in die Sixties zu begeben, in diese Zeit und in den Groove. Wir übertreiben das auch mit der Ausstattung nicht. Es war ja auch eine spannende Zeit: die ganzen Umbrüche, Kennedy, Martin Luther King – das ist was ganz Bereicherndes; das war wirklich eine ganz, ganz tolle Zeit."
    Zickige Rhythmen und eingängige Melodien
    In Amerika wurde "Dogfight" 2012 am sogenannten Off-Broadway uraufgeführt: in einem der kleineren Theater, die etwas weiter weg vom Broadway rund um den glitzernden Times Square liegen. Die Stücke, die dort laufen, sind oftmals experimenteller und weniger auf einen breiten Publikumsgeschmack hin ausgerichtet - und auch die Musik klingt oft weniger glatt und angepasst. Der musikalische Stil von Pasek und Paul ist geradezu prototypisch für diesen Off-Broadway-Sound, wie der Dirigent der deutschsprachige Erstaufführung von "Dogfight", Andreas Unsicker erklärt:
    "Was auffällt, was sie sehr gerne machen ist, dass sie einen instrumentalen Rhythmus schaffen, der erst einmal ein bisschen undurchsichtig oder fast ein bisschen zickig ist –wenn ich nur das Playback hören würde, würde ich manchmal nicht genau wissen: Wo ist denn jetzt der Takt? Dann setzen sie natürlich eine Melodie da darauf, wo ich mich sehr leicht orientieren kann – und dann steuert es dann auf das zu, was man im Pop eine 'Hook-Line' nennt. Das muss man auch sagen: Das können die – weil sie genau wissen, wie man sowas so raffiniert einbettet, dass es nicht plump wird. Aber dieses rhythmisch-vertrackte, dieses ein bisschen zickige – das, würde ich sagen, ist schon ein Stilmittel von ihnen."
    Musik: Ausschnitt "Beim Date heut Nacht" aus "Ein hässliches Spiel (Dogfight)"
    Nachdem Rose herausgefunden hat, dass sie Teil dieser "Dogfight"-Wette ist, verlässt sie tief gekränkt die Party. Eddie, der ohnehin die ganze Zeit über Schuldgefühle hatte, überredet sie dennoch, ihm noch eine Chance zu geben und verbringt einen ernst gemeinten romantischen Abend mit ihr. Jahre später, als Eddie vollkommen traumatisiert aus Vietnam zurückkommt und statt der ehemals erhofften Kriegsheimkehrer-Parade nur offene Feindseligkeit erfährt, ist es Rose, die ihn als einzige aufnimmt. Regisseurin Alice Asper:
    "Das ist auch das Gute, finde ich, an dem Stück: Der Stoff hat wirklich einen tollen Kern, aber er hat auch einen ganz großen Unterhaltungsfaktor. Er ist sehr berührend, sehr abwechslungsreich in den Emotionen – und ich glaube schon, dass da für Jeden was dabei ist."
    Besondere Herausforderungen
    Anders als Musicals wie "My Fair Lady" oder "Anatevka" kann "Dogfight" jedoch nicht ohne weiteres von einem durchschnittlichen deutschen Theater oder Opernhaus aufgeführt werden: Die Musik ist dafür zu Band-lastig, zu rhythmisch und harmonisch vertrackt und die Anforderungen an die Darsteller in Gesang, Schauspiel und Tanz sind zu Musical-spezifisch. Als einziges Theater in Deutschland hat das "Theater für Niedersachsen" allerdings schon vor zehn Jahren seine eigene Musical-Company gegründet - und war daher für diese besonderen Anforderungen bei der "Dogfight"-Erstaufführung auch bestens vorbereitet, so Dirigent Andreas Unsicker:
    "Ich finde, dass das eine spannende Aufgabe ist – und ich finde dass das gerade eine Aufgabe ist, die man mit so einem stehenden Ensemble, also mit einer Company, wirklich sehr gut machen kann, weil wir das eigentlich als unser Profil und auch unsere Aufgabe sehen: möglichst viele Facetten vom Musical zu zeigen. Und eine ist sicherlich auch: neue Stücke zu zeigen, die hier noch nicht gezeigt wurden, in Deutschland."
    Die nächste Trophäe schon im Visier
    Seit dem vergangenen Jahr läuft das neueste Musical von Benj Pasek und Justin Paul in einem großen Theater am Broadway: "Dear Evan Hansen" erzählt die Geschichte des Außenseiters Evan Hansen, der durch eine Verwechslung fälschlicherweise für den besten Freund eines Schulkameraden gehalten wird, der kurz zuvor Selbstmord begangen hat. Die dadurch gewonnene allgemeine Aufmerksamkeit nutzt Evan um endlich das zu tun und zu sagen, wofür ihm sonst immer der Mut gefehlt hat.
    Musik: Ausschnitt "If I Could Tell Her" aus "Dear Evan Hansen"
    Insgesamt neun Mal ist "Dear Evan Hansen" in diesem Jahr für die höchste Musical-Auszeichnung, den Tony-Award, nominiert - gute Chancen also für Pasek und Paul, dass sie schon in diesem Jahr gewissermaßen die Hälfte der Strecke zum EGOT-Titel schaffen werden. Und soviel steht fest: auch dieses Werk wäre für eine deutschsprachige Erstaufführung am Theater für Niedersachsen perfekt geeignet.