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Deutsche Erstaufführung von Alfred Uhrys Musical in Leipzig
LoveMusik

Sie gehen ihren Affären nach, werden geschieden, heiraten erneut und durchleben miteinander die politischen Wirren des 20. Jahrhunderts: der Komponist Kurt Weill und die Schauspielerin und Sängerin Lotte Lenya. Sie stehen im Mittelpunkt von Alfred Uhrys Musical "LoveMusik", das 2007 am Broadway Premiere hatte und jetzt erstmals in Deutschland zu sehen ist.

Von Claus Fischer | 23.01.2017
    Die österreichisch-amerikanische Sängerin und Schauspielerin Lotte Lenya am 10. Februar 1973 während eines Gedenkabends zu Ehren des 75. Geburtstags des Dramatikers Bertolt Brecht in Frankfurt am Main
    Protagonistin in Uhrys Musical: Lotte Lenya (picture-alliance / dpa / Manfred Rehm)
    Musik: Weill, "Zuhälter-Ballade" aus "Die Dreigroschenoper"
    Ein dürrer Mann mit kurz geschnittenen Haaren im derben Ledermantel – unverkennbar Bertolt Brecht, der da die Bühne betritt. An seiner Seite die gestrenge Ehefrau Helene Weigel und - zwei unbedarft aussehende Liebhaberinnen. Als Auftritts-Song intoniert das merkwürdige Quartett passenderweise die "Zuhälter-Ballade" aus der "Dreigroschenoper".
    Altbekanntes neu arrangieren, dieses Konzept hat Alfred Uhry in seinem Musical "LoveMusik" gekonnt umgesetzt. Aus dem erhaltenen Briefwechsel zwischen Kurt Weill und Lotte Lenya machte er ein bühnentaugliches Libretto, inszenierte ihre Geschichte, in der Bertolt Brecht natürlich an zentralen Stellen auch vorkommen muß. Die Handlung voran bringt Uhry durch sehr geschickt platzierte Songs aus sämtlichen Schaffensphasen von Kurt Weill, an denen er nicht eine Note geändert hat.
    "Aber es wurde natürlich für dieses Werk alles neu orchestriert von Jonathan Tunik, der u.a. auch "A Chorus Line" z.B. orchestriert hat",
    …erzählt der musikalische Leiter der deutschen Erstaufführung von "LoveMusik" an der Musikalischen Komödie Leipzig Christoph-Johannes Eichhorn.
    "Es ist also ein Streichorchester, es gibt ein Klavier, Schlagzeug, Holzbläser und eine Trompete."
    Musik: Weill, Introduktion aus "One touch of Venus"
    "Also viele kennen Kurt Weill nur in Verbindung mit Bertolt Brecht und in Verbindung mit der "Dreigroschenoper". Und das ist eine sehr trockene, sehr moderne, harte Musik, die vielleicht nicht jedem gefällt",
    sagt Matthias Eichhorn.
    "Was viele aber nicht wissen ist, daß Kurt Weill, nachdem er 1935 ausgewandert ist, unglaubliche viele Musicals geschrieben hat. Und wenn man diese Musik hört, kommt man im ersten Moment gar nicht drauf, daß das Weill ist…"
    Weill, Brecht und Leipzig
    "Ich habe vor 20 Jahren, 25 Jahren Kurt-Weill-Revue schon mal gespielt im Theater des Westens und bin mit Kurt Weill natürlich irgendwie auch groß geworden",
    …sagt Cusch Jung, der lange in Berlin gearbeitet hat und inzwischen als Chefregisseur an der Musikalischen Komödie Leipzig tätig ist.
    "Und dann hat uns der Verlag jetzt dieses Stück auf den Tisch gelegt und gesagt: Wir haben hier nen Kurt Weill, aber als Stück!"
    Cusch Jung griff sofort zu, denn Leipzig war im Leben von Kurt Weill und Lotte Lenya ein nicht ganz unwichtiger Ort. Am Neuen Theater, dem Vorgängerbau des heutigen Opernhauses der Stadt, wurde im März 1930 nämlich "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Kurt Weill und Bertolt Brecht uraufgeführt.
    "Das gab damals einen ganz großen Skandal",
    …erzählt Nele Winter, Dramaturgin an der Musikalischen Komödie Leipzig.
    "Weil eben Anhänger der NSDAP das Publikum animiert haben, eben zu protestieren, es kam auch zu Schlägereien und am Ende dann eben auch zu vielen Buhrufen. Was einerseits mit dieser Stimmungsmache zusammenhing, aber andererseits eben auch mit der Form, weil es ja eben als "Oper" bezeichnet wurde und viele sich etwas Anderes darunter vorgestellt haben."
    Musik: Weill, "The Moon of Alabama”
    Lotte Lenya stand bei der Skandal-Uraufführung von Mahagonny in Leipzig nicht auf der Bühne, sondern saß mit den Eltern von Kurt Weill im Publikum, erlebte den von den Nazis provozierten Skandal also hautnah mit. Und auch die Reaktion der Leitung des damaligen Leipziger Opernhauses, sagt Dramaturgin Nele Winter.
    "Einige Tage später wurde das Stück dann abgesetzt und stattdessen "Carmen" gespielt."
    Gegensätzliche Charaktere
    In Alfred Uhrys Musical "LoveMusik" kommen die politischen Wirren der Dreißiger Jahre natürlich vor. Wichtiger ist es dem Autor aber, die beiden Charaktere lebendig werden zu lassen. Den jüdischen Kantorensohn Kurt Weill aus Dessau, anständig-bürgerlich erzogen, etwas schüchtern und sehr auf Hygiene achtend. Und auf der anderen Seite die als Kind von ihrem alkoholkranken Vater mißhandelte Lotte Lenya, die dann zeitweise auf der Straße lebte und sich mit Prostitution über Wasser hielt.
    "Sie hat immer gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen, sie hat sich durchgesetzt, hat ihren eigenen Weg gefunden",
    …betont Anna Preckeler, die die Lenya als Gast an der Musikalischen Komödie Leipzig verkörpert.
    "Ich find das ganz spannend, daß diese Rolle eben hier in Deutschland noch niemand vorher gespielt hat. Und natürlich ist das schön, weil man da seine eigenen Farben hineinlegen kann und das ein Stück weit neu erfinden darf. Es ist natürlich eine Riesenherausforderung. Eine Figur, die erst 1981 gestorben ist, also noch gar nicht weit entfernt."
    Beeindruckende Darsteller
    Anna Preckeler hat die Rolle der Lenya großartig mit Leben erfüllt, sowohl sängerisch als auch schauspielerisch. Sie verstand es, das Publikum nicht nur mit-, sondern auch hinzureißen. Von diesem Multitalent, das bisweilen an die junge Ute Lemper erinnert, dürfte man in den nächsten Jahren mit Sicherheit mehr hören. Großartig auch ihre Wandlungsfähigkeit: Am Beginn des Stücks ist die Lenya 26, am Ende 57 Jahre alt.
    "Entweder ich bin auf der Bühne oder ziehe mich um, ich hab 18 Kostüme insgesamt."
    Ebenfalls Gast im Ensemble der Musikalischen Komödie Leipzig ist Hans-Georg Pachmann in der Rolle des Kurt Weill. Er spielte und sang absolut überzeugend, wenn auch nicht ganz so brillant wie sein weibliches Gegenüber. Regisseur Cusch Jung erzählt in seiner Inszenierung die Geschichte des Ehepaares Lenya-Weill ziemlich realistisch, es gibt keine bemühten Reminiszenzen an die heutige Zeit. Die Figuren agieren in einer klassischen Guckkastenbühne, drei große Videoleinwände bildeten die Kulisse. So entsteht mit Hilfe von Videoprojektionen und wenigen Requisiten das ärmliche Zimmer des jungen Weill in Berlin ebenso wie seine New Yorker Villa in den 1940er Jahren. Die Personenführung von Cusch Jung darf man genial nennen, er versteht es meisterhaft, die Charaktere der Protagonisten zu zeichnen. Und er spielte auch selbst mit: gab den Brecht und damit die drittwichtigste Rolle im Stück.
    "Long Run" in Deutschland?
    Alfred Uhrys Musical "LoveMusic" wurde nach seiner Uraufführung in New York von der Kritik gelobt, war danach allerdings kein "Long Run", sondern lief nur ein Jahr. In Deutschland könnte das Stück aber durchaus zum Renner werden – dank Cusch Jung, der mit seiner Inszenierung der deutschen Erstaufführung an der Musikalischen Komödie Leipzig in jedem Fall Maßstäbe gesetzt hat.