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Deutsche Erstaufführung von Langgaards "Antikrist"
Ungewöhnliche, aber reizvolle Klanglandschaft

Wagner, Strauss, Ravel - in der Oper "Antikrist" hat der fast vergessene, dänische Komponist Rued Langgaard unterschiedliche musikalische Einflüsse verarbeitet. Diese reizvolle Klanglandschaft hat das Staatstheater Mainz nun erstmals auf eine deutsche Bühne gebracht.

Von Ursula Böhmer | 04.06.2018
    Vida Mikneviciute und Alexander Spemann in der Inszenierung "Antikrist" am Staatstheater Mainz
    Vida Mikneviciute und Alexander Spemann in der Inszenierung "Antikrist" am Staatstheater Mainz (Staatstheater Mainz/Andreas Etter)
    Gott und Teufel, in trauter Umarmung vereint? Eng umschlungen hocken sie in Mainz auf der Bühne - während das Philharmonische Staatsorchester Mainz unter Generalmusikdirektor Hermann Bäumer feinfühlig Kantilenen anstimmt, im Prolog zur Oper "Antikrist". Gott trägt eine dreieckige Dreifaltigkeits-Krone auf dem Haupt – und schwarzes Gesicht zu weißem Körper. Der Teufel dafür weißes Gesicht zum schwarzen Körper. Ying und Yang, zwei Seiten einer Medaille. In Rued Langgaards Oper wetten Gott und Teufel zwar nicht um einen Faust, doch dreht sich hier alles um die Gretchenfrage: Nun sag, wie hast du‘s mit der Religion, Mensch? Denn die Menschen feiern inzwischen lieber Party als Heilige Messe.
    Gott, hier in einer Sprecherrolle, schickt daher im Verbund mit dem Teufel den Antichristen in die Welt – und das gleich in mehrfacher Ausführung, nämlich in verschiedene allegorische Figuren gesplittet. Unter den Allegorien sind "Missmut", "Lüge" und "Hass" ebenso wie die Figur "Der Mund, der große Worte spricht". Für Dirigent Hermann Bäumer eine der ungewöhnlichsten Figuren in Rued Langgaards Oper:
    "Ich finde spannend, dass der 'Mund', der Parolen singt am Anfang – ich glaube 43 oder 47 mal am Anfang immer genau denselben Ton singen lässt. Das finde ich gut, weil er einfach nur zeigen will, es geht hier nicht um die Musik und die Linie, sondern es geht wirklich nur um die Worte, ich will sie aber nicht sprechen lassen, sondern ich will es so abstrahieren, dass es jemand singt. Aber es ist eigentlich so, als ob es gesprochen wäre. Das ist spannend."
    Fantasievoll-skurrile, teils humorige, teils drastische Bühnen-Bilder
    Kostümbildnerin Mareile Krettek hat der "Mund"-Figur einen riesigen Eierkopf aufgesetzt, auf dem ein sprechender Mund projiziert wird. Es sind fantasievoll-skurrile, teils humorige, teils drastische Bilder, die das Team um Regisseur Anselm Dalferth für die Allegorien in der "Antikrist"-Oper gefunden hat. Der "Missmut" etwa wird in Gestalt von Schönsängerin Geneviève King an langen Leinen hereingezerrt – und so wie sie in sich selbst verschnürt ist, verfangen sich wiederum die Menschen in ihren langen Leinen.
    Missmut war auch der Anlass, weshalb Rued Langgaard seine Oper zwischen 1926 und 1930 überhaupt geschrieben hat, erläutert Regisseur Anselm Dalferth:
    "Also in der Zeit des Umbruchs, dem Beginn der Moderne. Und natürlich gibt’s da große Reibungsflächen zu dieser Zeit - Reibungsflächen zwischen dem immer stärker werdenden Individualismus, einem Frönen der Lust, einem Vertrauen auf Parolen und kräftige Äußerungen. Und das erkennt er und kritisiert er in seinem Werk, auf eine sehr spannende, weil sehr individuelle Weise, sehr farbenreich. Und das sind natürlich Zustände, die einen auch an Heute erinnern."
    Lauter oberflächlich-egoistische Zeitgenossen in heutiger Partykluft schickt Anselm Dalferth also auf die Mainzer Bühne. Diese Menschen haben auf alles Lust, das Lust macht. Die allegorische Figur der "großen Hure" kommt da gerade recht: Auf einem riesigen Reifrock aus lauter rohen Fleischbrocken wird sie hier hereingeschoben – eine leibhaftig gewordene Fleischeslust.
    Mondäne Perlenschnüren-Kappe auf dem Kopf, zieht Vida Mikneviciute mit ihrem Sirenen-Sopran alle Register. Die "Hure" gerät wiederum mit der Figur "Lüge" in Streit: Charaktersänger Alexander Spemann humpelt als maskierter alter Mann am Krückstock auf die Bühne. Dirigent Hermann Bäumer kommt die Rolle in mehrfacher Hinsicht bekannt vor:
    "Die Lüge, finde ich, hat ganz viel von Loge aus dem 'Ring der Nibelungen', ist auch eine Tenor-Partie. Und auch so ein bisschen so die Art zwischen Sprechen, Singen, was mach ich? Und ich finde, das kann man in der 'Lüge' schon hören ein bisschen, diese Anklänge."
    Ein bisschen Wagner, Richard Strauss und Ravel
    Ein bisschen Wagner, ein bisschen Richard Strauss, ein bisschen Ravel: Rued Langgaard, der als musikalisches Wunderkind an der Orgel angefangen hatte und als verkannter Komponist enden musste, verarbeitet hier die unterschiedlichsten musikalischen Einflüsse. Es entsteht eine ungewöhnliche, aber reizvolle Klanglandschaft, die ganz eigene Blüten treibt.
    Hermann Bäumer, Dirigent: "Das ist ein Garten, den es so nicht gibt – weil er quasi alle Landschaften auf einmal in einer relativ kurzen Zeit erlebbar macht: Das ist von einem trostlosen Lava-Feld bis zu einem Blumenmeer bis zu einem Wasserfall, der unten aber sofort zu Eis gefriert, ist da im Prinzip alles drin! Trotzdem hat man das Gefühl, man ist in einem Garten! Die Schwierigkeit ist manchmal, dass man sich sehr schnell umstellen muss, sprich: Man springt in so ein Blütenmeer, das kann ja ganz nett sein, aber auf einem Lava-Feld braucht man natürlich ganz andere Schuhe oder wenn man übers Eis läuft oder klitschnass ist. Da ist eine Menge drin - und das ist auch fürs Orchester so."
    Der Streit zwischen Lüge und Hure ruft in Mainz schließlich die Allegorie des "Hasses" auf den Plan – es droht der Weltuntergang. Gott und Teufel, die dem Bühnentreiben die ganze Zeit über zugeschaut haben, schreiten ein. Doch erst als der Teufel Gott spielen will und sich zum Richter über die Lebenden und Toten erhebt, haben die Menschen ein Einsehen. Gott vernichtet den Antichristen samt all seiner allegorischen Alter Egos. In Mainz bindet er dazu den Teufel ans Kreuz, buchstäblich. Und die Menschen beten ihren neuen Heiland nur allzu gern an. Gut und Böse gehören halt zusammen, wie das Amen in die Kirche. Das eine macht ohne das andere keinen Sinn. Gut, dass uns Anselm Dalferth in seinen fantastischen Bilderwelten wieder einmal daran erinnert hat.