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Deutsche Geschichte im Spielfilm
"Das Spiel mit Fakten und Fiktionen ist ein Problem"

Ob RAF-Terror, NSU-Morde oder der Fall Barschel: Die Deutschen schauen sich ihre jüngere Geschichte am liebsten im Fernsehen an, statt darüber zu lesen. Christian Peters sieht darin keine gute Entwicklung. Er hat die aktuelle Ausstellung "Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm" kuratiert, die jetzt im Bonner Haus der Geschichte zu sehen ist.

Christian Peters im Gespräch mit Susanne Luerweg | 09.06.2016
    Bild aus dem ARD-Zweiteiler "Die Flucht" mit Maria Furtwängler, zu sehen im Rahmen der Ausstellung
    Der ARD-Zweiteiler "Die Flucht" über das Ende des Zweiten Weltkriegs und Trümmerfrauen ist auch Thema der Ausstellung in Bonn. (ARD Degeto/UFA Fiction/Conny Klein)
    Susanne Luerweg: Herr Peters, Sie beschäftigen sich in der Ausstellung mit inszenierter Geschichte im Spielfilm, und zwar von 1945, da sind, glaube ich, Ihre ältesten Spielfilme, und die jüngsten sind aus dem Sendejahr 2015. Es gibt ja eine unglaubliche Flut von Filmen, wie haben Sie ausgewählt?
    Christian Peters: Das war eine der wichtigsten Fragen natürlich, wie wir auswählen. Und wir haben uns entschieden, Filme zu nehmen oder auszuwählen, die - sage ich mal - eine gesellschaftspolitische Bedeutung auch haben, also die in erinnerungspolitische Diskussionen eingebunden waren oder auch Anstöße gegebenen haben und die von daher auch eine Relevanz über das Medium hinaus entwickelt haben. Die Ausstellung strukturiert sich in sieben Themenbereiche, und diese Themenbereiche spiegeln dann auch ein Stück weit wieder, mit welchen Themen und mit welcher Intensität sich der Spielfilm mit Zeitgeschichte beschäftigt hat.
    Luerweg: Die sieben Bereiche umfassen beispielsweise den Widerstand, die deutsch-deutsche Teilung, den zweiten Weltkrieg und vor allen Dingen den Holocaust und da ... das ist ja so eine Art mediale Zeitenwende, die die Holocaust-Serie, die amerikanische, eingeläutet hat, denn danach wurde in deutschen Wohnzimmern ja heftig diskutiert, nach der Ausstrahlung, oder?
    Emotionale Familiengeschichte und Einzelschicksale als neues TV-Format
    Peters: Ja, es ist eigentlich völlig verrückt, wenn man so sagen will. Wir sind im Jahr 1979. Es ist ja nicht so, dass das Thema Holocaust nicht vorher auch schon Thema in der Schule gewesen ist, dass nicht auch Historiker schon zahlreiche, gescheite Bücher dazu geschrieben haben. Es gab Fernsehdokumentationen, also es ist keineswegs neu. Und dennoch hat diese amerikanische TV-Serie, die dann im Januar 1979 in Deutschland ausgestrahlt wurde, ein ungeheureres Echo gehabt. Sie hat Millionen und Abermillionen Deutsche erreicht, die dann auch darauf reagiert haben. Die sich beim WDR gemeldet haben, ihrer Erschütterung, ihrer Betroffenheit Ausdruck verliehen haben. Und eine Erklärung, denke ich, liegt ein Stück weit darin, dass eben diese TV-Serie sich eines Formates bedient hat, das vorher in Deutschland noch nicht in dieser Form verwendet wurde. Nämlich: Sie hat die Geschichte der Vernichtung der europäischen Juden anhand einer Familiengeschichte erzählt. Sie hat also sehr stark personalisiert und hat damit eine ganz starke emotionale Komponente, und das hat die Menschen offensichtlich sehr, sehr stark berührt und dieses Echo in der Breite, dieses fulminante Echo, hervorgerufen.
    Luerweg: Das ist ja seitdem so ein bisschen das Muster, nach dem diese historischen Filme gestrickt werden. Es geht immer um Einzelschicksale, es werden Emotionen transportiert und manchmal verrutscht dann schon auch das Geschichtsbild.
    Gefahr, die Glaubwürdigkeit einer filmischen Narration zu beschädigen
    Peters: Ja, gut, da liegt natürlich immer auch eine Gefahr drin, dass man in Klischees abgleitet oder, dass man zu stark verkürzt oder, dass man in eine historische Erzählung Figuren einbaut - also vor allem, wenn man jetzt, sage ich mal, ein reales Geschehen nacherzählen will - Figuren einbaut, die da eigentlich gar nicht hineingehören, noch eine Liebesgeschichte einbaut, weil dies eben dramaturgisch und für die Wirkung des Films vielleicht wichtig ist - also das ist klar, das ist natürlich ein Stück weit eine Gefahr, dass man mit solchen Elementen ein Stück weit die Glaubwürdigkeit einer filmischen Narration beschädigen kann.
    Luerweg: "Unsere Mütter, unserer Väter" ist ein Film, den Sie zeigen - ausschnittsweise. Das war ja so ein Dreiteiler, so eine Miniserie im Grunde genommen - um den gab es heftige Diskussionen. Die Polen fühlten sich da falsch dargestellt, die Heimatarmee kam da gar nicht gut weg, die wurde zu Antisemiten gemacht. Gestern bei Ihrer Eröffnung sprach der Drehbuchautor Stefan Kolditz und hat so ein bisschen seine Sicht der Dinge dargelegt. Wie ist die denn?
    Peters: Er hat es durchaus eingeräumt, hat natürlich den Vorwurf, den polnischen Widerstand durchweg als radikal-antisemitisch dargestellt zu haben, schon zurückgewiesen, wobei ich denke, der Vorwurf ist nicht ganz unberechtigt. Er hat dann eigentlich berichtet, dass hier auch zum Teil produktionstechnische oder finanzielle Gesichtspunkte eine Rolle gespielt haben, dass der jüdische Hauptdarsteller eigentlich in die USA hätte fliegen sollen, dass das dann aber nicht möglich war, zu realisieren. Und dann hat man ihm ein Schicksal auf den Leib geschrieben, dass er eben nach Ausschwitz deportiert wurde, dann aber noch dem Deportationszug entkommen konnte und dann eben sich polnischen Partisanen angeschlossen hat. Also insofern entsteht da schon ein schiefes Bild, aber ich würde grundsätzlich den Film auch schon verteidigen wollen. Wir zeigen ihn auch in der Ausstellung in einem Kontext, wo wir "Unsere Mütter, unsere Väter" konfrontieren mit Kriegsfilmen der 1950er-Jahre.
    Filme können die Geschichte fesselnd und unterhaltsam darbieten
    Luerweg: Das ist sowieso ein bisschen das Prinzip der Ausstellung, oder? Es gibt immer einen sogenannten Hauptfilm, den Sie zeigen, ausschnittsweise, und den konfrontieren Sie dann mit den Debatten, die sich rund um den Film ranken oder mit anderen Filmen, die sich damit beschäftigen, wenn ich das richtig verstehe.
    Peters: Genau, wir rufen in den sieben Bereichen immer einen Hauptfilm auf, der auch als Großprojektion gezeigt wird. Es gibt auch eine sogenannte Bühne dazu mit zentralen Requisiten und eben die Bühne ist auch der Ort, an dem die Debatten um die Filme angedeutet werden.
    Luerweg: Herr Peters, Sie sagen das gerade schon: Es gibt nicht nur Filme zu sehen. Also ich besuche nicht die Ausstellung im Haus der Geschichte und kann dann irgendwie mich komatös durch 100.000 Kriegsfilme gucken, sondern es gibt noch eine jede Menge drum herum: die Debatten, aber auch noch Requisiten - und was sonst noch?
    Peters: Ja, natürlich ist die Möglichkeit sich in Filmausschnitte zu vertiefen wichtig, aber es sind auch Dokumente zu sehen, Drehbücher. Es ist, wenn ich jetzt an den DDR-Film "Ich war neunzehn" denke, ein DDR-Film aus dem Jahre 1945, der einen jungen Deutschen zeigt, einen deutschen Immigranten, der in den Reihen der Roten Armee nach Deutschland zurückkommt. Dann hat es in der DDR um diesen Film intern sehr viel Diskussion gegeben, weil Konrad Wolf, der Regisseur, auch die Probleme in der Begegnung zwischen Russen und Deutschen andeuten wollte. Und da ging es zum Beispiel um eine Szene, wo es um Vergewaltigung ging, und da haben wir auch bei unseren Recherchen Dokumente ausgewählt, die also gerade diese politischen Einflussnahmen, die Diskussionen um diese Frage: Kann man das zeigen? Darf man das zeigen? Was ist für die DDR überhaupt möglich?, denn das Bild der Roten Armee darf ja nicht beschädigt werden - da versuchen wir auch immer wieder so einen Blick hinter die Kulissen natürlich zu machen, und das gilt genauso natürlich für Filme aus dem Westen.
    Spiel mit Fakten und Fiktionen
    Luerweg: Es gibt ja inzwischen schon erste Untersuchungen, also Wissenschaftler, die sich mit dem Thema beschäftigen. Wie prägt das unser Geschichtsbild, diese Art von Spielfilm? Was würden Sie sagen? Also die Ergebnisse deuten ja ein wenig darauf hin, dass es inzwischen Zuschauer gibt, vor allen Dingen junge Zuschauer, die denken: Ah ja, so war das damals - und das gar nicht mehr hinterfragen.
    Peters: Ja, das ist sicher schon ein Problem, dieses Spiel mit Fakten und Fiktionen, dass man im Grunde Fakt und Fiktionen nicht mehr sauber trennen kann. Also, grundsätzlich denke ich - und das zeigen auch Filme wie zum Beispiel "Flucht" mit Maria Furtwängler von 2007 - reicht es nicht, wenn ich zum Beispiel Ursachen der Flucht im Film andeuten will - also jetzt nicht nur den Fokus rein auf das Leid der Deutschen richten will, sondern auch sagen will, was ist dem vorhergegangen? Dass man die Evakuierung zu spät in Gang gesetzt hat, dass man natürlich auch die Verbrechen im Osten natürlich eine Rolle gespielt haben am Kriegsende. Wenn man das zeigen will, dann darf man es eigentlich nicht nur verbalisieren, denn das wird in dem Film getan. Der Film will durchaus auch Hintergründe und Ursachen benennen. Was sich dann aber in den Köpfen festsetzt, sind eigentlich die starken Bilder, die emotionale und suggestive Kraft der Bilder, und das sind eben die Flüchtlingstracks, die über das Eis gehen, die von sowjetischen Tieffliegern attackiert werden, das sind die Frauen, die vergewaltigt werden. Das ist natürlich ein Problem, und ich denke, da ist es eben auch wichtig - und da sehen wir ja auch so ein Stück weit so eine medienkritische Aufgabe unserer Ausstellung - da das Bewusstsein dafür zu schärfen. Also ich denke, Filme sind ein interessantes Medium, sie können Geschichte fesselnd und unterhaltsam darbieten - gerade auch für Menschen, die eben wenig zum Buch greifen und wenig mit Printmedien erreicht werden. Aber es ist eben auch wichtig, die Gesetze des Mediums zu kennen.
    Luerweg: Christian Peter, Kurator im Haus der Geschichte in Bonn über die heute beginnende Ausstellung "Inszeniert. Deutsche Geschichte im Spielfilm". Herr Peters, vielen Dank für das Gespräch und eine erfolgreiche Ausstellung.
    Peters: Vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.