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Deutsche Islamkonferenz
Ehrenamt genügt nicht mehr

In Deutschland sollen künftig nicht nur christliche und jüdische, sondern auch muslimische Sozialeinrichtungen mit öffentlichen Geldern gefördert werden können. So will es die Deutsche Islamkonferenz. Eine wichtige Voraussetzung für eine breit aufgestellte, öffentlich geförderte islamische Wohlfahrtspflege in Deutschland ist die Professionalisierung.

Von Martina Sabra | 29.05.2015
    Eine junge Muslimin saß bei der Islamkonferenz 2012 mit dabei, als Politiker, Gesellschafts- und Religionsvertreter diskutierten.
    Die Deutsche Islamkonferenz fordert öffentlich geförderte Islamische Wohlfahrtspflege in Deutschland. (picture alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
    In Moscheegemeinden, die zur DITIB gehören, dem Verband der türkisch-islamischen Gemeinden in Deutschland, wird das Gehalt des Imams, des Vorbeters, vom türkischen Staat bezahlt. Das ist die einzige Finanzierung von außen. Alle anderen Ausgaben - die Wohnung des Imams, sämtliche sozialen und kulturellen Angebote einschließlich des Moscheebaus müssen die Gemeindemitglieder selbst finanzieren oder mit Ehrenamtlichen bestreiten. Eine typische Konstellation, sagt Samy Charchira. Der Diplom-Sozialarbeiter mit marokkanischen Wurzeln ist Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz.
    "Es gibt Studien, die beispielsweise belegen, dass mehr als die Hälfte aller Moscheegemeinden Erziehungsberatung machen. Mehr als 40 Prozent machen Hausaufgabenbetreuung für Kinder. Das haben die bisher ehrenamtlich und mit eigenen Spendenmitteln geleistet. Wir sehen aber jetzt, dass diese Moscheegemeinden an ihre Grenzen kommen, was die weitere Mobilisierung von ehrenamtlichen Akteuren angeht. Es ist an der Zeit, dass diese Angebote in dem professionellen Netzwerk der Wohlfahrtspflege in Deutschland integriert werden."
    Deutschlandweit rund 2.500 islamische Gemeinden
    Samy Charchira ist bei der Deutschen Islamkonferenz Experte für Islamische Wohlfahrtspflege. Seit 2014 steht das Thema ganz oben auf der Agenda. Wie viel Sozialarbeit die Moscheegemeinden in Deutschland genau leisten, weiß zurzeit niemand. Insgesamt gibt es deutschlandweit rund 2.500 islamische Gemeinden. Schätzungsweise zwei Drittel bieten soziale Dienstleistungen an: zum Beispiel Jugendarbeit in Form von Nachhilfe, Sport oder Kultur, Familienberatung oder Altenhilfe und Krankenbetreuung. Theoretisch könnten Moscheegemeinden für ihre sozialen Dienste finanzielle Unterstützung bei den Kommunen oder beim Land beantragen. Doch es fehlen kompetente Mitglieder, die Projekte und Finanzierungsanträge schreiben können. Ayten Kilicarslan vom türkisch-islamischen Verband DITIB will das ändern. Ihr Ziel: mehr Professionalität in den DITIB-Moscheegemeinden.
    "Weil um an die Töpfe heranzukommen, dafür muss man ein Konzept haben, dafür muss man ein Projekt schreiben, dafür muss man sich definieren können, dafür muss man Fachleute haben, die das auch können, und genau da fehlt es uns an Ressourcen, und diese Ressourcen müssen wir jetzt schaffen, das versuchen wir mit eigenen Kräften, indem wir Seminare anbieten oder den Vereinen auch immer wieder sagen, geh an Seminare, und Möglichkeiten, Infoveranstaltungen, wo ihr euch selber ausbilden könnt."
    Professionalisierung sei das A und O, meint auch der Islamwissenschaftler Michael Kiefer, der in NRW seit vielen Jahren mit Moscheegemeinden und Imamen arbeitet, unter anderem in der Jugendhilfe. Gemeinsam mit dem Wissenschaftler Raouf Ceylan schreibt er an einem Handbuch zur islamischen Sozialarbeit. An der Universität Osnabrück wird zudem gerade ein Aufbaustudium Sozialarbeit für junge muslimische Religionspädagogen und Imame eingerichtet. Allerdings mache es wenig Sinn, bei der Qualifizierung in islamischer Sozialarbeit an einzelne Moscheegemeinden heranzutreten, meint Michael Kiefer.
    "Das ist mit Sicherheit nicht der Weg. Denn a) ist der Bedarf nicht da, b) sind die Fachkräfte gar nicht da, sondern wir müssen tatsächlich da schauen, wo sind entsprechend große Wohnquartiere, wo in ausreichender Zahl Muslime leben, um eine Ehe- oder Jugendberatungsstelle gründen zu können, hier muss man ja einen gewissen Zulauf erwarten können, damit sich die ganze Sache auch rentiert. Also insofern wird es hier mit Gemeinden zu Neugründungen kommen, die dann diese Arbeit übernehmen werden. Denn eines ist klar, wir können es ja gerade sehen, bei den großen Kirchen, die evangelischen Gemeinden geben ihre Kindergärten und Beratungsstellen gerade ab an die Diakonie, weil die Professionalisierung heute doch so viele Anforderungen mit sich bringt, dass man all dies in ehrenamtlichen oder semiprofessionellen Anordnungen nicht gut bewältigen kann."
    Hoffnung auf öffentliche Zuschüsse
    Die Hoffnung auf öffentliche Zuschüsse für islamische Sozialarbeit sorgt bei den etablierten Islamverbänden für Bewegung. Schon ist die Rede von einem neuen Spitzenverband der freien Wohlfahrt, der neben die etablierten Spitzenverbände treten könnte. Der türkisch dominierte Islamverband DITIB hat eine übergreifende Struktur gegründet, die sich gezielt um die Qualifizierung von Ehrenamtlichen der DITIB-Moscheevereine kümmern soll, erklärt die Sozialreferentin Ayten Kilicarslan in der DITIB-Zentrale in Köln. Der neue Verband heißt KOMPAS.
    "Kommunikativ, Aktiv, Praktisch und Sozial heißt das. Die Vereine werden an Moscheegemeinden angesiedelt, die das tragen können, also sozialpädagogische Familienhilfe anbieten, betreutes Wohnen, Erziehungsberatung, Eheberatung, das sind ja auch Dinge, die über Regelfinanzierung unterstützt werden."
    Ob das überall gut ankommen wird, ist fraglich, denn weit mehr als die Hälfte der in Deutschland lebenden Muslime werden nicht von der DITIB vertreten. Auch der Islamwissenschaftler Michael Kiefer warnt vor Aktionismus. Nachhaltige Sozialarbeit entstehe nie von oben, sondern von unten.
    "Dies wird mancherorts nicht ganz richtig verstanden, und man denkt, man könne per Vorstandsbeschluss die Gründung einer Struktur beschließen, die dann arbeits- und förderfähig wäre. Das sind, glaube ich, Illusionen. Soziale Arbeit findet immer an einem konkreten Ort statt, und dieser liegt zumeist in einer Kommune, in einem Wohnquartier, folglich brauchen wir erst mal Strukturen vor Ort, die bereit sind, diese Arbeit zu machen, und die bereit sind, erst mal ehrenamtlich diese Strukturen aufzubauen."
    Wie islamische Sozialarbeit von unten aussehen kann, zeigt das Bildungszentrum muslimischer Frauen in Köln: Es betreibt einen islamischen Kindergarten für über 20 Kinder, bietet Sprachkurse für Mütter von Babys mit Betreuung für die Kleinsten. Über vierzig Schulkinder kommen täglich zum Mittagessen ins Zentrum, danach gibt es Hilfe bei den Hausaufgaben oder Spaß in der Mädchengruppe. Und das ist nur ein Teil der Angebote:
    "Wir haben auch ´ne Förderung als Arbeitslosenzentrum, Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstelle - sind wir bundesweit die einzige Migrantenorganisation, die das durchführt, und auch anerkannt ist. Ja, und wir machen jetzt die Zertifizierung als Familienzentrum, sodass wir da auch ein anerkanntes Familienzentrum sind."
    Die Muslimin Erika Theißen gründete in den 1990er Jahren gemeinsam mit anderen Musliminnen das Bildungszentrum für muslimische Frauen in Köln - als unabhängige Initiative, ohne Anbindung an eine Moscheegemeinde. Heute hat die Einrichtung insgesamt mehr als 60 sozialversichert Beschäftigte. Bis auf 4 Männer sind es alles Frauen. Das Bildungszentrum für muslimische Frauen ist Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband; permanente Fortbildung, fachliche Beratung und Zugang zu Regelfinanzierung sind damit gesichert.
    "Also es gibt ja auch katholische Sozialarbeit und protestantische Sozialarbeit, und freie Sozialarbeit und jüdische Sozialarbeit. Muslime leben jetzt seit über fünfzig Jahren hier, sind Steuerzahler wie jeder andere, also allein rechtlich gesehen oder menschlich gesehen würde es ihnen genauso zustehen wie anderen Gruppen auch, ihren Bedürfnissen entsprechend angesprochen zu werden."