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Deutsche Oper
Falstaff im Altersheim

Die neue Inszenierung von Guiseppe Verdis "Falstaff" an der Deutschen Opfer Berlin spielt in der "Casa Verdi", einer Residenz für gealterte Musiker in Mailand. Als heruntergewirtschafteter Sänger versetzt Falstaff dort die tattrigen Bewohner in eine verjüngende Aufregung.

Von Julia Spinola | 18.11.2013
    Der Sänger Noel Bouley sitzt kostümiert als Falstaff auf einem Bett.
    Die Sänger Noel Bouley als Sir John Falstaff in der Verdi-Oper "Falstaff". (picture alliance / dpa/ Britta Pedersen)
    Gefragt, welches er für sein bestes Werk halte, soll der alte Giuseppe Verdi geantwortet haben: "mein Altenheim in Mailand". Die "Casa Verdi“, eine vom Komponisten gestiftete Residenz für gealterte Musiker, ist bis heute in Betrieb. Daniel Schmid hatte ihr 1984 seinen Dokumentarfilm "Der Kuss der Tosca“ gewidmet, der wiederum Dustin Hoffman zu seinem Debüt als Filmregisseur anregte. Dessen Seniorenkomödie "Quartett“ feierte pünktlich zum Auftakt des Verdi-Jahres im vergangenen Januar mit großem Star-Aufgebot an der Deutschen Oper Berlin ihre Deutschlandpremiere.
    Und als sei das nicht genug, spielt jetzt auch die neue "Falstaff“-Inszenierung der Deutschen Oper just in diesem besonderen Altersheim. Ist das die neue Marketing-Idee: die Oper zum Film? Anspielend noch dazu auf den Regie-Flop des „Falstaffs“ von Damiano Michieletto im letzten Salzburger Festspielsommer, der den identischen Einfall auf die Bühne brachte?
    Wäre dieser Premierenabend nicht so temporeich, streckenweise irre-komisch und zugleich abgründig melancholisch inszeniert, dann könnte man sich über solche Selbstbezüglichkeiten wohl ärgern. Christoph Loy aber hat seine Inszenierung virtuos dem altersavantgardistischen Geist der "Falstaff"-Musik abgelauscht. Diese scheint mit ihren unzähligen Anspielungen, Selbst-Zitaten und Parodien ja geradezu dem Bauch des fettwanstigen Titelhelden zu gleichen, in dem es – wie Falstaff singt - "tausend Stimmen gibt, die meinen Namen verkünden".
    Donald Runnicles bringt mit dem Orchester der Deutschen Oper den explosiven Facettenreichtum der Partitur zum Leuchten, indem er die Launen dieser Musik beim Wort nimmt. Ungemein feingliedrig und sprühend klingt dieser „Falstaff“ in seinem Gestenreichtum, seiner Drastik und auch seiner Brüchigkeit. Und genau ein solches Maskenspiel, das die Glaubhaftigkeit des musikalischen Ausdrucks in einem Atemzug beschwört und infrage stellt, treibt auch Loys Inszenierung.
    Toupets werden abgelegt, Krücken weggeworfen
    Als heruntergewirtschafteter Sänger versetzt Falstaff die tattrigen Bewohner des Altenheims in eine wirbelnd-verjüngende Aufregung durch seine dreisten Briefe an die ehrwürdigen Damen Mrs. Alice und Mrs. Meg Page. Die daraus erwachsenden Verwicklungen bringen das pralle Leben zurück in die Seniorenherzen. Perücken und Toupets werden abgelegt, Krücken weggeworfen, Intrigen geschmiedet. Nachdem Falstaff mitsamt des Wäschekorbs in die Gosse vor der Fassade der „Casa Verdi“ gekippt wurde, gipfelt alles in einem sommernächtlich entfesselten Verkleidungsexzess. Zur Schlussfuge schlüpfen dann alle wieder in ihr Alter zurück.
    Der Witz von Loys Inszenierung liegt darin, dass die Eindeutigkeit dieses Einfalls in einem permanenten Spiel mit Verkleidungen und Identitäten unterlaufen wird. Welche die "eigentliche" Identität der Figuren sei, bleibt im Wechsel der Rollen, der Masken, der Allüren und der Leidenschaften offen. Die Bühne von Johannes Leiacker zeigt einen leeren Saal, dessen einzig konstante Requisiten Falstaffs Bett und ein Flügel sind. Alles Weitere – Türen, Schlafgemächer, die freie Natur – wird ebenso spontan herbeigeschleppt, wie die Kostüme gewechselt werden. Bisweilen hat das eine fast becketthafte Absurdität.
    Loy kann sich auf ein beinahe durchgängig prächtig singendes und mit enormer Bühnenpräsenz spielendes Ensemble stützen. Dana Beth Miller ist eine schrill-komische, sexuell zunehmend entfesseltere Mrs. Quickly mit unheilvoll-derben Mezzosopran-Tiefen. Barbara Haveman schenkt der Alice attraktiv strahlenden Sopranglanz und Elena Tsallagova hält zarte Zaubertöne bereit für die Partie der frisch verliebten Nannetta.
    Als ihr Geliebter Fenton verströmt sich der junge Joel Prieto mit schön geführtem, ebenmäßigem Tenortimbre. Dass ausgerechnet die Titelpartie während der Proben aufgrund einer Erkrankung von Markus Brück neu besetzt werden musste, ist Künstlerpech. Noel Bouley hat einen melodiös beweglichen Bassbariton, doch um dem Falstaff musikalisches Format zu verleihen, fehlt es noch an der nötigen stimmlichen Durchsetzungskraft.