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Deutsche Rüstungsexporte
"Auch dieses ohrenbetäubende Schweigen ist Kriegshetzerei"

Der Linken-Fraktionsvorsitzende in Thüringen, Bodo Ramelow, fordert im Deutschlandfunk eine Debatte über Militäreinsätze der Bundeswehr im Ausland. "Wir wollen in Deutschland nicht in den Krieg gehetzt werden", sagte er.

Bodo Ramelow im Gespräch mit Thielko Grieß | 28.06.2014
    Bodo Ramelow sitzt bei einer Delegiertenversammlung der Linksartei in Erfurt im Saal.
    Bodo Ramelow, Spitzenkandidat der Thüringer Linken für die Landtagswahl (dpa/Martin Schutt)
    Als mahnendes Beispiel nannte Ramelow den Irak-Einsatz, wo die USA für Freiheit und Demokratie hätten kämpfen wollen, nun aber die radikalislamische Isis-Bewegung auf dem Vormarsch sei. Die Kämpfer, die mit der Isis verbunden seien, würden auch von Saudi-Arabien und Katar mit Waffen ausgestattet - Staaten, in die Deutschland wiederum Rüstungsgüter exportiere. "Wenn wir dazu schweigen", so Ramelow im DLF, "dann ist auch dieses ohrenbetäubende Schweigen Kriegshetzerei."
    Angesichts der Aussagen von Bundespräsident Joachim Gauck über möglicherweise notwendige Auslandseinsätze der Bundeswehr sagte der Oppositionsführer im Thüringer Landtag, Gauck sei "ein ostdeutscher Pastor, der die Wurzeln der DDR-Friedensbewegung völlig vergessen hat." Ramelow distanzierte sich von einem Facebook-Kommentar seines Parteifreundes Norbert Müller, der Gauck als "widerlichen Kriegstreiber" bezeichnet hatte. Das hätte er "so nicht geschrieben", sagte Ramelow. Er beklagte, dass Deutschland weltweit drittgrößter Rüstungsexporteur sei und "unser Bundespräsident der Meinung ist, dass man möglicherweise auch Militär in die Welt entsenden muss, um deutsche Interessen zu vertreten".
    Die unterschiedlichen Auffassungen in der Friedenspolitik machten eine Koalition mit der SPD auf Bundesebene derzeit unmöglich - anders in Thüringen: Um die "Skandalregierung der CDU" abzulösen, müssten "SPD und Linke gemeinsam Verantwortung übernehmen und zwar landespolitische Verantwortung". Ramelow geht als Spitzenkandidat der Linkspartei in die Landtagswahl am 14. September.

    Das komplette Interview:
    Thielko Grieß: Wir haben vor zwei Wochen ein Interview ausgestrahlt, hier im Deutschlandfunk und in unserem Schwesterprogramm Deutschlandradio Kultur, ein Interview mit dem Bundespräsidenten Joachim Gauck. Der hatte darin, wie schon bei anderen Gelegenheiten zuvor auch, eine These vertreten: Danach solle Deutschland in der Welt mehr Verantwortung übernehmen. Das hat er etwas konkretisiert in diesem Interview, hören wir noch mal die entscheidende Passage:
    Joachim Gauck: Heute ist Deutschland eine solide und verlässliche Demokratie und ein Rechtsstaat. Es steht an der Seite der Unterdrückten. Es kämpft für Menschenrechte. Und in diesem Kampf für Menschenrechte oder für das Überleben unschuldiger Menschen ist es manchmal erforderlich, auch zu den Waffen zu greifen.
    Grieß: Zustimmung und Kritik an dieser Äußerung ist seither von vielen Seiten zu hören und zu lesen, und jetzt konzentrieren wir uns in den nächsten Minuten auf die Kommentare, die aus der Partei Die Linke kommen. Besonders prägnant Norbert Müller, der ist Landtagsabgeordneter der Linken im brandenburgischen Landtag, er nannte in dieser Woche auf Facebook den Bundespräsidenten einen, Zitat "widerlichen Kriegshetzer", Zitat Ende. Am Telefon begrüße ich jetzt Bodo Ramelow, Fraktionschef der Linken in Thüringen, im thüringischen Landtag, guten Morgen nach Erfurt!
    Bodo Ramelow: Guten Morgen!
    Grieß: Wie würden Sie Joachim Gauck nennen?
    Ramelow: Ich würde ihn einen ostdeutschen Pastor nennen, der die Wurzeln der Friedensbewegung in der DDR völlig vergessen hat, der vergessen hat, dass das Signet der Friedensbewegung der DDR "Schwerter zu Pflugscharen" war, das biblische Zitat, das ja auch die Sowjetunion als Mahnmal vor die UN gestellt hat, da kann man es ja heute immer noch sehen. Und die Botschaft, die mich mein Leben lang bewegt hat, war: Frieden schaffen ohne Waffen. Und die CDU hatte mal einen Bundesparteitag vor 25 Jahren in Bremen, da stand auf den Lettern groß angeschrieben: Frieden schaffen mit immer weniger Waffen. Und ich hatte die große Hoffnung vor 25 Jahren, als die friedliche Grenzöffnung und die friedlichen Veränderungen in der DDR stattfanden, dass damit von Deutschland aus ein starker Impuls von Friedenspolitik ausgeht, also die Hochrüstung in Deutschland und die Nahtstelle am Kalten Krieg gewandelt wird in ein kraftvolles Zentrum für Friedensaktivitäten. Und jetzt nehme ich zur Kenntnis, dass wir Rüstungsexporteur Nummer drei geworden sind und unser Bundespräsident der Meinung ist, dass man möglicherweise auch Militär in die Welt entsenden muss, um deutsche Interessen zu vertreten, die er gerade beschrieben hat.
    Grieß: Das war ja jetzt ungefähr eine Minute differenzierte Antwort, aber warum kommen Parteikollegen, Parteifreunde von Ihnen auf die Idee, das so zu verkürzen auf eine Formulierung, wie wir sie vorhin genannt haben.
    Ramelow: Das ist immer die Frage, wenn man Kommentare von Facebook, also von den Social Medias auf einmal zum zentralen politischen Aussagegegenstand macht. Der Kollege Müller hat auf seine private Facebook-Seite einen Kommentar, der ihm offenkundig aus dem Herzen gekommen ist, geschrieben. Ich hätte es so nicht geschrieben, andererseits sage ich, wir wollen nicht in Deutschland in den Krieg gehetzt werden, und wir müssen aufpassen. Am Beispiel des Iraks, dort haben die Amerikaner für Freiheit und Demokratie kämpfen wollen, und heute erleben wir, dass die Isis alles massakriert, was man kriegen kann.
    Grieß: Aber wer hetzt denn, Herr Ramelow?
    Ramelow: Unter anderem diejenigen, die die Kämpfer, die mit der Isis verbunden sind, mit Waffen ausstatten. Das ist – und das muss man dann auch beim Namen nennen – das ist Saudi-Arabien und Katar, und auch deutsche Waffenlieferungen gehen nach Saudi-Arabien und nach Katar. Und wenn wir dazu schweigen, ist auch dieses ohrenbetäubende Schweigen eine Hetzerei.
    Grieß: Also hetzen auch diejenigen, die im Bundessicherheitsrat die Waffenlieferungen entscheiden?
    Ramelow: Die würde ich mit einbeziehen wollen, wenn man das alles so daherdekliniert, dass man sagt, na ja, man kann da ja Panzer nach Katar liefern oder nach Saudi-Arabien. Und ich sage mal, der Salafismus und das, was in Deutschland als Islamismus immer zu Recht thematisiert wird, hat auch ein Zentrum, ein geistiges Zentrum, und mit diesem geistigen Zentrum sind wir oder die US-Amerikaner beziehungsweise die NATO-Staaten verbunden. Und da muss man einfach sagen, wir können nicht unsere Bundeswehr nach Afghanistan schicken, angeblich für Freiheitsmaßnahmen und damit die Mädchen endlich wieder in die Schule gehen, und anschließend schweigen wir dazu, wenn die gleichen Truppenteile, gegen die dort gekämpft wird, nach Syrien in den Einsatz gehen und auch da wieder US-amerikanische Militärberater mithelfen.
    Grieß: Herr Ramelow, was ich jetzt gleich frage, hört sich nach einem harten Schnitt an, ist es aber gar nicht: Würden Sie gerne mit der SPD koalieren?
    Ramelow: In Thüringen läuft es darauf hinaus, dass eine Ablösung dieser Skandalregierung der CDU nur möglich ist, wenn Die Linke und die SPD gemeinsam Verantwortung übernehmen, und zwar landespolitische Verantwortung.
    Grieß: Thüringen wäre dann ein neuer Fall sozusagen, die einzige rot-rote existierende Landesregierung gibt es in Brandenburg. Aber denken wir mal an den Bund, wäre das nicht interessant?
    Ramelow: Im Bund ist doch die Voraussetzung, um miteinander koalieren zu können, auch ein Diskurs, ein Diskurs über Friedenspolitik und über genau das, nach was Sie mich ja fragen. Ich höre ja jetzt, dass die SPD und die Grünen sagen, dass wir deswegen nicht koalitionsfähig seien, weil wir friedenspolitisch immer noch stur auf dem beharren, für was die DDR-Friedensbewegung mal stand, und die hat man ja nun wirklich nicht bei der SED oder bei der PDS verortet. Also ist doch die Frage, welches Erbe ziehen wir denn aus den Tatsachen dieses, ja 100 Jahre Erster Weltkrieg, 75 Jahre Zweiter Weltkrieg, 25 Jahre friedliche Revolution. Was ist die Quintessenz daraus? Soll am deutschen Wesen die Welt genesen, oder machen wir es wie zum Beispiel Japan, dass wir sagen, von deutschem Boden darf kein Krieg ausgehen? Und das meint auch keine Waffen und das bedeutet auch keine Militäreinsätze out of area.
    Grieß: Eine Quintessenz aus der Geschichte könnte aber auch sein, dass aus manchen Konflikten gelernt worden ist, dass sie eben nicht nur durch Frieden oder sozusagen tatenloses Zuschauen, dass sie nicht zu Ende gebracht worden ist.
    Ramelow: Lassen Sie uns das nicht theoretisch diskutieren, sondern praktisch.
    Grieß: Ja, machen wir's, Srebrenica.
    Ramelow: Am Beispiel von Afghanistan, am Beispiel von Irak, am Beispiel von Syrien ...
    Grieß: Ich würde jetzt gerne ... oder nehmen Sie das Beispiel Srebrenica oder den Zweiten Weltkrieg.
    Ramelow: Ja, der Zweite Weltkrieg ist doch nun ganz klar, dass der Zweite Weltkrieg vom Hitlerfaschismus und von Deutschland ausgegangen ist ...
    Grieß: Ja, ausgegangen, aber zu Ende gebracht?
    Ramelow: Zu Ende gebracht ist er von den alliierten Truppen einschließlich der sowjetischen Truppen, die Millionen von Toten beklagen mussten durch deutsche Aggression und Intervention und Massenmord, und dann stellt man sich hin und sagt, der Panzer vor dem Brandenburger Tor soll verschwinden. Also wie geschichtsvergessen sind wir in Deutschland eigentlich? Also die Konsequenz aus zweimaligen Weltkriegen, die von Deutschland ausgegangen sind, ist eben nicht, dass wir sagen, na, wir werden irgendwo in die Hand nehmen. Das Gewaltmonopol des Staates, da bin ich ja mit dem Bundespräsidenten einig, darf nur der Staat selber ausüben, aber die Frage, wo er sie ausübt – übt er sie innerhalb des Staates aus oder zur Verteidigung des Staates, oder übt er sie aus, um Interessen anderer Wirtschaftsverbände oder sonstiger Interessengruppen zu vertreten –, das ist der Punkt, über den endlich gründlicher diskutiert werden muss.
    Grieß: Jetzt kommt doch noch mal ein kleiner Schnitt, Herr Ramelow, in unserem Gespräch. Jetzt kommen wir noch mal auf die Innenpolitik, das Thema Mindestlohn. Seit gestern wissen wir, es wird neue Ausnahmen geben in dem Mindestlohn, zum Beispiel für Erntehelfer, für Praktikanten, aber auch für Zeitungszusteller. Sie werden gleich das vermutlich als falsch deklarieren und der SPD vorwerfen, sich nicht durchgesetzt zu haben, aber können Sie denn verantworten, dass die Zeitungszustellung so teuer wird, dass die "Thüringer Allgemeine" es in Ihren Briefkasten in Erfurt dann auch nicht mehr schafft?
    Ramelow: Also die erhöht ja gerade die Preise, ohne dass der Mindestlohn schon eingeführt worden ist, und jetzt müssen wir folgende Frage für uns beantworten, und zwar jeder von uns: Wollen wir, dass Menschen, die von ihrer Hände Arbeit leben müssen, wollen wir, dass sie am Ende ihres Arbeitslebens eine Rente haben, die sie sich selber erarbeitet haben, oder wollen wir Transferleistungen so einsetzen, dass wir Lohnsubventionen der Konzerne, der Unternehmen und derjenigen, die von Niedriglohn bisher partizipiert haben, dass wir die subventionieren? Und am Ende sage ich: Mindestlohn ist ja nur eine Maßnahme, um endlich in der sozialen Marktwirtschaft, bei der das Soziale nicht mehr funktioniert, Leitplanken einzuziehen. Und wenn ich immer mehr Ausnahmen zulasse und die Ausnahmen nicht mehr daran binde, dass es um den Menschen geht, weil dafür sollte der Mindestlohn sein, dann erleben wir so was, dass der Mindestlohn zwar Mindestlohn heißt, dann ist er aber so attraktiv oder so wirkungsmächtig wie Edelstahl und Diebstahl – es hört sich so ähnlich an, aber es ist eben was völlig anderes.
    Grieß: Aber es wäre doch auch traurig für die Landwirtschaft in Ihrem Bundesland, in Thüringen, wenn sich der Anbau von Spargel und Erdbeeren nicht mehr rentierte.
    Ramelow: Dann müsste man einfach überlegen, wie man den Saisonarbeitskräften, die hier nach Thüringen kommen, attraktive Arbeitsbedingungen schafft, sodass sie – und da reden wir eben tatsächlich über Erntehelfer, und wir haben gerade einen Skandal auf einem Erdbeerhof in Thüringen, wo sie eben unter nicht akzeptablen Bedingungen offensichtlich gelebt haben und ausgenutzt worden sind ...
    Grieß: Und dann sagen Sie wieder, dann haben die Bauern wieder die Preise erhöht, so ähnlich wie der Verlag der "Thüringer Allgemeinen".
    Ramelow: Ja, also der Verlag der "Thüringer Allgemeinen" ist ein großer Verlag, der in Deutschland den Zeitungsmarkt schon heftig aufmischt und gerade von der "Bild"-Zeitung und dem Springer-Verlag die anderen Zeitungen übernommen hat, also so ganz arm und so ganz unmächtig ist dieser Verlag nicht. Aber noch mal: Es geht doch darum, ob wir am Ende blutige Finger beim Einkaufen haben wollen, ob wir zulassen, dass der Mindestlohn bei uns oder die Näherbedingungen, die Arbeitsbedingungen in Bangladesch verbessert werden. Also was wollen wir – billigste Ware, die blutig erkauft wird, oder Standards, damit wir wirklich wieder auch sozial ethische Diskussionen in der Gesellschaft bekommen? Und ich möchte, dass für gute Arbeit auch gutes Geld bezahlt wird. Und wenn dann ein Rentner morgens eine Stunde lang Zeitungen austrägt, dann kann man das anders organisieren und anders finanzieren. Wenn ich aber Lohnabhängige dazu zwinge, drei, vier oder fünf Jobs zu haben, dann müssen wir es so organisieren, dass dafür der Mindestlohn als zwingender Mindestlohn zu zahlen ist.
    Grieß: Der Fraktionschef der Linken im thüringischen Landtag, Bodo Ramelow, heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch!
    Ramelow: Bitte, gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.