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Deutsche Spuren in Togo

Das kleine westafrikanische Land Togo war von 1884 bis 1914 deutsche Kolonie. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, rückten britische und französische Truppen ein. Bis zur Unabhängigkeit 1960 stand das Gebiet unter französischer Kolonialverwaltung. Wer Togo heute bereist, findet unter den gesprächigen Bewohner viele, die die weit zurückliegende deutsche Epoche verklären.

Von Michael Weisfeld | 22.08.2010
    Während der Nacht sind die Fischer mit ihren Pirogen weit aufs Meer hinaus gesegelt, um ihr riesiges Netz auszubringen. Jetzt ziehen sie es wieder an den Strand, allein mit der Kraft ihrer Körper. Das dauert viele Stunden.

    Ich finde ein paar Männer, die mich auf ihrer Piroge mitnehmen. Nicht auf den stürmischen Atlantik hinaus, sondern in die stille, weitverzweigte Lagune hinein.

    Es ist ein flaches Land, der Gegend am Niederrhein nicht unähnlich. Nur dass Palmen statt Pappeln auf den sanft ansteigenden Ufern wachsen. Weiter oben in üppigem Grün liegen die Dörfer: Lehmmauern, Wellblechdächer, Wäsche hängt draußen. Mal ist die Lagune weit wie ein See, dann wieder schmal wie ein Flusslauf. Voraus ragen dunkle Brückenpfeiler aus dem hellen Wasser. Die Fahrbahn fehlt.

    "Das ist eine Brücke, die die Deutschen damals gebaut haben. Aber jetzt ist sie kaputt. Warum - das weiß ich nicht. Jetzt muss man eine Piroge nehmen, wenn man da rüber will."

    Die Brücke führte zu dem Lagunen-Dorf Zébé. Dort errichteten die Deutschen den Verwaltungssitz ihrer Kolonie "Deutsch-Togo-Land", nachdem sie 1884 einen - wie sie es nannten - "Schutzvertrag" mit drei Häuptlingen der Gegend abgeschlossen hatten.

    Ich verabschiede mich von den Fischern und fahre mit einem Motorrad-Taxi nach Zébé. Es ist ein weitläufiges Dorf, dessen Siedlungen verstreut zwischen Äckern und Pinienhainen liegen.

    Der Motorradfahrer, er heißt Ezou Mekpo, bringt mich zu einem Baumriesen, einem Baobab, der am Rand eines abgeernteten Maisfeldes steht. Wir überqueren das Feld, Mekpo zeigt mir Reste eines Beton-Fundaments im Boden. Das, sagt er, sei damals für die Deutschen gebaut worden. Zu welchem Zweck? Er weiß es nicht. Aber da kommt schon Amah Ayih, dem das Maisfeld gehört. Hier, unter dem Baobab hätten damals Soldaten gestanden, sagt er.

    Dann führt er uns auf eine kleine Anhöhe, die mit Büschen und Bäumen bewachsen und so den Blicken Vorübergehender entzogen ist. Hier hat er mit Palmwedeln und Bänken einen Ruheplatz für sich und seine Familie eingerichtet. Am Rand steht ein Pfeiler aus rotem Backsteinmauerwerk, übersät mit Einschusslöchern.

    "Sie sind hier an einem historischen Ort aus der deutschen Zeit, Monsieur. Das war ein Schießplatz hier. In dem gemauerten Unterstand dort gab ein Soldat Signale. Daraufhin hat ein anderer Soldat da hinten von dem Baobab aus auf diesen Pfeiler hier geschossen, an dem eine Zielscheibe hing. Und dann sah ein Offizier nach, wo die Kugel eingeschlagen ist, also, ob der Soldat auch gut getroffen hat."

    Ich habe schon oft gedacht: Eines Tages wird vielleicht jemand aus Deutschland kommen und mich fragen, was damals auf meinem Feld geschehen ist.

    1897 - die Kolonie "Deutsch Togoland" war erst drei Jahre alt - zog die Verwaltung von hier in eine andere Ortschaft um, wo sich damals schon der Überseehandel der Region konzentrierte, nach Lomé. Handelszentrum ist Lomé noch heute und zudem Hauptstadt der Republik Togo. Viele Regierungsstellen sind in Gebäuden der früheren Kolonialverwaltung untergebracht, sogar im früheren Krankenhaus.

    "Wir kommen jetzt also an das Königin-Charlotten-Krankenhaus, und zwar ist das genannt nach einer württembergischen Königin."

    Professor Peter Sebald, Historiker aus Sachsen. Sein Spezialgebiet: Togo als deutsche Kolonie.

    "Es war das Krankenhaus für die Weißen. Das beinhaltete auch, dass kein Afrikaner zum Arzt ausgebildet werden durfte, auch wenn ein Afrikaner in Frankreich oder England studiert hatte, durfte er hier nicht als Arzt praktizieren. Die führenden Positionen waren den Weißen vorbehalten. In der Armee durften nur die Weißen, also die Deutschen, Offiziere werden, die anderen nur Unteroffiziere. Hier durften sie nur Heilgehilfen werden. Sie durften keine Lehrer werden, sondern nur Unterlehrer. Bis hin: Ein Lokomotivführer musste ein Deutscher sein."

    Peter Sebald verbringt jedes Jahr mehrere Monate im Staatsarchiv von Lomé. Jedes Jahr arbeitet er sich ein Stückchen tiefer in einen Berg aus rund 2500 Aktenstücken hinein. Diese Akten blieben in Lomé zurück, als die deutschen Kolonialbeamten sich anfangs des Ersten Weltkriegs den britischen Truppen ergaben.

    "Wir stehen jetzt vor dem Beamtenwohnhaus Nummer 4, im Jahre 1909 gebaut."

    Zwölf dieser Wohnhäuser ließ die Kolonialverwaltung damals errichten. In einem residiert heute das Umweltministerium Togos, im Haus Nummer 4 die Unesco.

    "Das ist alles im Original erhalten."

    "Jedes dieser Häuser ist in einem anderen Stil erbaut - aber eine Veranda im ersten Stock haben sie alle."

    "Jeder Beamte hatte nur einen Raum."

    "Früher war das nicht klimatisiert, aber es war ein wunderschöner kühler Durchzug. Die Veranda lief ums Haus rum, sodass man je nach Witterungslage immer ein kühles, schattiges Plätzchen hatte."

    Von der Veranda aus kann man das Gefängnis sehen.

    "Nehmen Sie das mal ein bisschen runter, damit der Ihr Mikrofon nicht so sieht. Die Zellen sind alle draußen angebracht, (..) in der Mitte ist ein großer Platz. Da oben, wo der Afrikaner rausgeguckt hat, da war früher der dt. Unteroffizier, der hat da mit seiner Familie gelebt. So wie es im Jahr 1907 gebaut, so ist es heute noch voll in Funktion. Die deutsche Verwaltung hat in 30 Jahren vier Schulen gebaut und zwölf Gefängnisse, und da brauche ich keinen Kommentar dazugeben."

    Die Strafen wurden gleich neben dem Gefängnis verhängt, im Bezirksamt, das heute eine Schule beherbergt. Der Leiter dieses Amtes war gleichzeitig Chef der Polizei und Richter.

    "Lomé hatte im Jahr 1914 Lomé 7000 Einwohner. Es gab niemanden, der sich illegal aufgehalten hätte hier. Das war von der Seite der Deutschen perfekt organisiert. Es war also ein Ordnungssystem mit drakonischen Strafen. Die Prügelstrafe war offiziell. Es wurde gesagt: das Land der Twenty-fiver, immer 24 Schläge und one for the Kaiser."

    Am Rand des Stadtzentrums liegen Friedhöfe mit vielen Gräbern aus der Kolonialzeit. Zum Beispiel:

    "Willy Weissgerber.
    Er starb 1906 in treuer Pflichterfüllung während des Baus der Eisenbahn von Lomé nach Palimé."


    Oder:

    "Hier ruht in Gott unser treuer Mitarbeiter Walter Vehlow.
    Deutsch-Westafrikanische Bank."


    Fast nur Männer kamen aus Deutschland in die Kolonie. Eheschließungen mit schwarzen Frauen waren ihnen nicht erlaubt. Aber schwarz-weiße Liebschaften gab es viele. 1934, unter französischer Kolonialherrschaft, wurde in Lomé ein "Club der deutscher Mischlinge" gegründet. Mit dabei war der Lehrer Komla Hans Gruner, Sohn eines deutschen Bezirksamtmanns und einer Häuptlingstochter aus dem Volk der Ewe. Gruner, der Mischling, starb 1999. Wenige Schritte neben seinem Grab steht ein schwarzer Obelisk, der nur die Aufschrift trägt:

    "Köhler, Gouverneur von Togo. Geboren 1858, gestorben 1902"

    Auch er, August Köhler aus Eltville am Rhein, bekannt als Kämpfer für "deutsche Zucht und Sitte", hatte einen illegitimen Sohn, der als einfacher Bahnarbeiter starb. Sein Grab suche ich hier vergebens.

    Zur Kolonialzeit hatte die Handelsstadt Lomé keinen Hafen, der wurde erst in den 60er Jahren gebaut, als das Land schon unabhängig war. Bis 1904, da herrschten die Deutschen schon seit 20 Jahren in Togo, bugsierten Afrikaner die Güter auf ihren Pirogen durch die hohe, steile Brandung zu den Schiffen hinaus. Dann wurden Eisenbahnlinien und eine Landungsbrücke fertiggestellt. Nun rollten Waggons, beladen zum Beispiel mit Kakao oder Kautschuk aus dem Landesinneren, direkt auf diese Brücke. Längsseits hatten Leichter festgemacht, die die Kolonialwaren aufnahmen und zu den draußen auf Reede wartenden Dampfern brachten.

    Die Landungsbrücke ist noch heute zu sehen. Ein rostiges Gerippe, das querab vom Strand mehr als 300 Meter in den Atlantik hinaus weist. Auch hier ziehen Fischer ihre Netze an den Strand.