Donnerstag, 25. April 2024

Archiv

Mecklenburg-Vorpommern
Dicke Luft über der Mülldeponie Ihlenberg

Er ist unauffällig und teilweise sogar grün bewachsen: der Ihlenberg in Norddeutschland. Doch unter dem Gras lagern 19 Millionen Kubikmeter giftiger Sondermüll. Die Deponie ist in den vergangenen Jahren in die Kritik geraten - die Zweifel, ob sie umweltverträglich arbeitet, mehren sich.

Von Silke Hasselmann | 18.04.2019
Eine Raupe steht am 09.08.2017 in Selmsdorf (Mecklenburg-Vorpommern) auf der Mülldeponie am Ihlenberg.
Ihlenberg gilt als eine der größten Sondermülldeponien in Europa (picture alliance / Daniel Bockwold)
Unterwegs in Nordwestmecklenburg auf Norddeutschlands größter Deponie für gefährliche Abfälle. Auf ihrer Fläche fänden 252 bundesligataugliche Fußballfelder Platz. Ein großer Teil der oberirdischen Halde hat die genehmigte Maximalhöhe von 118 Metern über dem Erdboden erreicht. Wer sich also dort bewegen will, tut das motorisiert - und dennoch langsam. Die 6,5 Kilometer lange Ringstraße ist gesäumt von "Tempo 30"-Schildern. Staubvermeidung - ein Top-Thema, erklärt Deponiechefin Beate Ibiß.
"Sie sehen ja: Das langsame Fahren hat auch was mit Staubvermeidung zu tun."
Staub voller krebserregender Stoffe
Der Deponiestaub hatte sich als größtes Gesundheitsrisiko herausgestellt, nachdem vor einigen Jahren 28 Deponiearbeitsplätze auf jeweils bis zu 300 gesundheitsrelevante Parameter untersucht worden waren. Viele Schadstoffe haften an den schwebenden Staubpartikeln und können eingeatmet werden: krebserregende polycyclische aromatische Kohlenwasserstoffe wie Naphthalin, die in Erdöl und Kohle vorkommen, Benzole, giftige Schwermetallverbindungen von Arsen bis Zinn.
Blick auf die Deponie, die im Gegenlicht glitzert
Mondlandschaft: Blick vom Gipfel des Ihlenbergs auf die Deponie (Deutschlandradio / Silke Hasselmann)
Also habe man viel in die Staubminderung investiert, sagt Beate Ibiß und zeigt im Vorbeifahren auf eine entfernte Halde. Geschäftig wie große Ameisen fahren dort Radlader, Raupen und Kipper umher und bauen frisch angelieferten Sondermüll in ungefähr vier Meter mächtigen Schutzschichten ein. Wer dort arbeitet, sitze in Kabinen mit Filtergebläse und trage Schutzanzug. Zudem immer dabei: Wasserwagen.
"Wir fahren mit eigenen Wasserwagen auf die Deponie. Nicht nur im Sommer übrigens, sondern ständig, um die größtmögliche Bewässerung durchzuführen, so dass es so wenig wie möglich staubt. Die Aschen, die wir annehmen, gehen in Silos, so dass überhaupt kein Staub erzeugt werden kann, und dann vom Silo auf die Deponie, indem es mit Brauchwasser angemischt wird, wo es als eine Art Schlamm eingebaut wird."
Gemüse aus der Region ohne Belastung?
Dennoch ist Staub nie ganz zu vermeiden, zumal auf den offen liegenden Abschnitten. Umso wichtiger die Kontrolle. Zuletzt ließ die Geschäftsleitung der "Ihlenberger Abfallentsorgungsgesellschaft IAG" 2015/2016 die Luftqualität in Deponienähe messen. Die zwölf Monate lang ermittelten Werte waren "überwiegend typisch für ländliche Umgebung". Doch Uwe Lüth, der eineinhalb Kilometer von der Riesendeponie entfernt in Selmsdorf wohnt, macht sich Sorgen: Ausgerechnet im supertrockenen Sommer 2018 habe niemand die Staubbelastung gemessen.
"Wenn Ostwind ist und der Staub, der durch Fahrzeuge und Baumaßnahmen da oben wie auch immer in Bewegung gesetzt wird - der weht ja ins Land. Und wir als direkte Anwohner fragen uns natürlich, ob wir draußen in Ruhe sitzen können ohne unsere Gesundheit zu gefährden, ob wir unser Gemüse, das wir anbauen, essen können. Denn wir sind im ländlichen Bereich; wir haben auch ein bisschen Kleintierzucht. Wir haben Bienen und sonst was alles. Kann man das ohne Gefahr verzehren?"
Kontrollen der Fracht finden kaum statt
Staub ganz anderer Art wirbelt Ende vorigen Jahres Stefan Schwesig auf. 14 Jahre lang unauffällig als Wirtschaftscontroller und Innenrevisor bei der Ihlenberg Abfallentsorgung tätig, verfasste er kurz vor seinem selbstgewählten Abgang heimlich einen internen Prüfbericht. Darin warf er der Deponie unter anderem vor, dass sie viele Abfallladungen annehme, obwohl die teils vielfache Grenzwertüberschreitungen bei Cadmium, Zink und Kupfer aufwiesen. Auch sei der Gesundheitsschutz der Mitarbeiter gefährdet.
Schwesig wurden rasch zahlreiche fachliche Fehler nachgewiesen. Dass sich daraufhin der Staub bald wieder legte, findet Hedlef Uilderks derweil nicht gut. Echte Kontrollen der LKW-Fracht fänden kaum statt, sagt der Mitbegründer der Bürgerinitiative "Stoppt die Deponie Schönberg/Ihlenberg".
"Ich will wissen, wie viele LKWs hierher kommen, wo Müll drauf ist, der hier nicht abgelagert hätte werden dürfen."
Die beiden Geschäftsführer der Deponie: Beate Ibiß mit kurzem dunklen Haar und Brille trägt eine orangene Warnweste. Ihr Kollege Norbert Jacobsen steht in gelber Warnweste daneben.
Wir haben viel in Staubminderung investiert, sagen Beate Ibiß und Norbert Jacobsen, Geschäftsführer der Deponie (Deutschlandradio / Silke Hasselmann)
Auch im Deponiebeirat bohrt Uilderks immer wieder nach, vor allem weil Sünden aus der Vergangenheit bis jetzt fortgeschrieben würden.
"Diese Deponie hat noch nie ein Planfeststellungsverfahren mit einer Umweltverträglichkeitsprüfung gehabt. Hier sind noch nie Bürger beteiligt worden an diesem ganzen Berg, der da oben liegt. Und keiner weiß, was da alles drin schlummert. Muss man da einen Ort, der eine unglaubliche Last die letzten vierzig Jahre getragen hat - muss man das weiterbetreiben? Ich finde nicht."
Nun kommt eine Krebsstudie
Inzwischen tut sich einiges: Laut Beschluss des Oberverwaltungsgerichtes Greifswald darf die geplante multifunktionale Abdeckung des alten Deponiebereiches durch neu aufgetragenen Sondermüll nur in einem Planfeststellungsverfahren genehmigt werden. Das schließt eine umfangreiche Umweltverträglichkeitsprüfung und eine öffentlicher Beteiligung ein, womit Umweltverbände wie Bürgerinitiativen ihren Fuß nun in der Tür haben.
Zudem kann die lange versprochene dritte Krebsstudie kommen. Das zuständige Schweriner Wirtschaftsministerium legte diese Woche endlich den Prüfumfang fest. Epidemiologen der Universität Greifswald sollen die Krebsrate in der Bevölkerung in einem erweiterten Deponieumkreis von zehn Kilometern analysieren, was erstmals auch die Stadt Dassow und drei Lübecker Stadtteile einschließt.
Was den Deponiestaub angeht, so erklärte Ko-Geschäftsführer Norbert Jacobsen gegenüber Deutschlandfunk:
"Spätestens ab Herbst werden wir da wieder eine Zwölf-Monats-Messung durchführen, wo wir dann wieder über einen Jahresabgleich sehen, ob die Staubminderungsmaßnahmen, die wir am Standort platziert haben, wirklich von Erfolg gekrönt sind."