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Deutscher Historikertag
Die unglaubliche Karriere eines antiken Intellektuellen

Der antike Intellektuelle Thukydides gilt als Vorreiter der modernen Geschichtswissenschaft. Denn in seinem Werk über den peloponnesischen Krieg erklärt er genau, mit welcher Methode er vorgeht. In aktuellen Debatten wird er auch heute noch zitiert. Sei es bei Thema Brexit oder dem Phänomen Donald Trump.

Von Barbara Weber | 22.09.2016
    Der Eingangsbereich der Universität Hamburg
    Der 51. Historikertag findet an der Uni Hamburg zum Thema "Glaubensfragen" statt. (dpa/picture-alliance/Daniel Reinhardt)
    "In vielen Zügen ähnelt die Geschichtswissenschaft bis in unsere Zeit durchaus einer Kirche, vielleicht genauer gesagt, der Kirche der Spätantike", meint Uwe Walter, Professor für Alte Geschichte an der Universität Bielefeld.
    "Es gibt Eingangsriten, ferner eine Hierarchie, die zwischen einfachen Priestern und normalen Bischöfen und großen Bischöfen, Metropoliten, unterscheidet. Es gibt Streit um die rechte Lehre und den besten Weg, die beste Methode, zu ihr zu gelangen. Und noch nicht sehr lange überwunden sind hierzulande veritable Alleinvertretungsansprüche, Beißattacken und das Bestreben, die Welt zu missionieren, weil man sich im Bestreben der Wahrheit wähnt."
    Großes Selbstbewusstsein der frühen Historiker
    Das tut dem Verständnis der Historie als Wissenschaft keinen Abbruch, die sich im 19. Jahrhundert etabliert hat, um sich abzugrenzen von dem gewöhnlichen Sprechen über die Vergangenheit. Die Vertreter dieser neuen Wissenschaft entwickelten ein ungeheures Selbstbewusstsein. Sie glaubten, mittels überlegener Methode und überlegenen Wissens, eine besondere Einsicht zu erlangen.
    "Hier scheint mir in der Tat ein Grund zu liegen, warum Thukydides zeitweise zum Säulenheiligen der sich verwissenschaftlichenden Historie werden konnte."
    Der athenische General und Autor des ausgehenden 5.Jahrhunderts v. Chr. hat nämlich ein Werk hinterlassen, "das unglaublichen Einschlag gemacht hat, insbesondere seit seiner Karriere der Frühen Neuzeit, das ist die Geschichte des peloponnesischen Krieges, der von 431 – 404 v.Chr. in Hellas tobte und eine furchtbare Katastrophe dort angerichtet hat."
    Christian Wendt ist Professor für alte Geschichte an der Freien Universität Berlin.
    "Und Thukydides gilt als der klassische Kriegsautor, auf den sich explizit wie implizit stetig alle beziehen oder enorm viele beziehen, die jemals mit dem Thema Krieg arbeiten."
    Gründungsakt der Geschichtswissenschaft
    Das Besondere an diesem antiken Intellektuellen und quasi ersten Historiker war, "dass er seiner Darstellung eine Darlegung seiner Methoden vorgeschaltet hat, die wir bis heute wie den Gründungsakt der Geschichtswissenschaft verstehen wollen. Das Interessante ist, dass wir damit nicht allein sind, denn andere Disziplinen sehen in seinen Überlegungen ebenfalls den Gründungsakt ihrer Disziplin, denn er hat keineswegs nur ein Methodenkapitel hinterlassen, sondern auch andere Ideen und vorgeschaltete Konzepte, die diesen eigenartigen Bericht, den wir dann vorfinden in verschiedene Richtungen, interpretieren lassen."
    Oder anders ausgedrückt: "He characterizes his work in terms of truthfulness rather than entertainment." Also der Wahrheit und nicht der Unterhaltung verpflichtet, charakterisiert der antike Autor sein Werk - wie Neville Morley betont, der an der University Exeter als Professor for Classics and History forscht und lehrt.
    Für die Zukunft lernen
    Thukydides bemüht sich nicht nur um eine akribisch genaue Rekonstruktion des peloponnesischen Krieges, er sagt vielmehr auch, "dass all die Zeiten, die er beschreibt, nur dazu dienen sollen, für die Zukunft zu lernen", so Christian Wendt.
    "Und das ist natürlich etwas, das etwa politischer Prognostik oder auch Philosophie, alle Steilvorlagen gibt, die es absolut möglich machen, übrigens auch aus meiner Sicht legitim machen, diesen Text nicht alleine als reine Geschichte zu lesen."
    Ein Anspruch, den im 19.Jahrhundert wohl auch die sich neu etablierende Geschichtswissenschaft verfolgte. Doch zwischenzeitlich hat sich einiges geändert: Die Geschichtswissenschaft orientiert sich eher an dem, was wirklich passiert ist und nicht an dessen Interpretation. Doch während Thukydides für die Historiker als Welterklärer an Bedeutung verloren hat, machten er und seine Ideen bei anderen Berufsgruppen Karriere. Gerne wird er heutzutage herangezogen, um prinzipielle Muster zu erklären und zu erläutern, was "wirklich” passiert. Das führt zu der erstaunlichen Erkenntnis,
    "dass Thukydides eigentlich nie nicht herangezogen wurde. Thukydides wurde immer herangezogen als eine Art Vordenker der internationalen Beziehungen, für jede politische Konstellation, die eine mögliche kriegerische Konfrontation als Hintergrund hat, wurde Thukydides als eine Art Leitfaden herangezogen und als ständige Quelle von Autorität und vermeintlichen überzeitlichen Einsichten."
    Das heißt, die Diskussion um Thukydides hat den Elfenbeinturm der Wissenschaft längst verlassen. Er veredelt nun den politischen Diskurs:
    "Thukydides appears as an important name for understanding relations between USA and China. He has been cited by numeral commentators in relation to the Greek economic crisis of last year, in relation to Brexit, in relation to understand the phenomena of Donald Trump."
    Thukydides in aktuellen Debatten
    Das Verhältnis zwischen USA und China, die Euro-Krise, der Brexit oder das Phänomen Donald Trump – Thukydides gilt inzwischen als Beleg für Seriosität, als Rechtfertigung für gewagte politische Entscheidungen und dafür, dass sich doch aus der Geschichte lernen lässt. Aber vielleicht firmiert er nur als Alibi, weil genau das eben nicht passiert.
    "For them he is still useful. But we might also see it as an alibi for non-engagement with history."