Donnerstag, 25. April 2024

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Deutscher Journalist in der Türkei
"Einschränkungen atmosphärischer Art"

Der deutsche Journalist Gunnar Köhne kehrt nach 20 Jahren in der Türkei nach Deutschland zurück. Grund dafür seien nicht direkte Einschränkungen seiner Arbeit, sagte er im DLF. Diese seien "eher atmosphärischer Art" gewesen. Er habe immer schwerer Gesprächspartner finden können, so Köhne. Der Journalist befürwortet, dass Deutschland den Dialog mit der Türkei nicht abbricht.

Gunnar Köhne im Gespräch mit Gerwald Herter | 16.12.2016
    Der Journalist Gunnar Köhne
    Zur Frage der Akkreditierungen in der Türkei sagte Gunnar Köhne: "Wenn man keine Akkreditierung bekommt, hat man keine Aufenthaltsgenehmigung. Dann befindet man sich mehr oder weniger illegal im Land und muss das Land zwangsweise verlassen." (Deutschlandradio/Gunnar Köhne)
    Gerwald Herter: Der deutsche Journalist Gunnar Köhne wird auch künftig noch oft in Istanbul und in der gesamten Türkei arbeiten, doch nach 20 Jahren am Bosporus, zwei Jahrzehnten, kehrt er nach Deutschland zurück. Gunnar Köhne ist auch einer unserer Reporter, den Sie häufig in dieser Sendung in Europa heute hören, vor allem mit Reportagen aus der Türkei, aus Griechenland und Zypern. Vor der Sendung habe ich mit ihm gesprochen, warum er sich dazu entschlossen hat, seinen Wohnsitz nach Berlin zu verlegen. Gunnar Köhne, waren Einschränkungen Ihrer Arbeit in der Türkei dafür ausschlaggebend?
    Gunnar Köhne: Nein, das war nicht ursächlich, und jeder Vergleich mit der Situation von türkischen Kollegen verbietet sich. Es sind ja über 250 Kollegen inzwischen im Gefängnis. Wir werden gelegentlich behelligt, ja, das ist so. Es gab auch in letzter Zeit gegen Kollegen zunehmend Drohungen im Internet. Die Einschränkungen waren eher atmosphärischer Art. Wir fanden immer schwerer Gesprächspartner, sowohl offizielle Gesprächspartner als auch einfache Menschen, die nicht mit uns reden wollten. Entweder, weil sie Angst hatten, mit uns zu reden, weil wir Ausländer sind, oder weil sie uns für Feinde der Türkei halten.
    Herter: Darüber hinaus gibt es auch ausländische Kollegen, die Probleme haben mit ihren Akkreditierungen. Ein "Spiegel"-Reporter ist schon im letzten Jahr zurückgekehrt, weil seine Akkreditierung nicht verlängert worden ist. Ist das ein Phänomen, das über Einzelfälle hinausgeht?
    Köhne: Das ist abzuwarten. Wir haben alle gerade die Verlängerung für 2017 beantragt. Die Akkreditierungen werden direkt beim Ministerpräsidentenamt hier in der Türkei genehmigt. Bislang ist noch keiner offiziell abgelehnt worden, aber es gibt eben den Fall oder die Fälle, dass Kollegen einfach warten müssen, dass sie vertröstet werden immer wieder, und das für die betreffenden Kollegen zu großen Problemen führt. Denn die Aufenthaltsgenehmigung ist gebunden an die Akkreditierung. Das heißt, wenn man keine Akkreditierung bekommt, hat man keine Aufenthaltsgenehmigung, und dann befindet man sich mehr oder weniger illegal im Land und muss das Land zwangsweise dann verlassen.
    Akkreditierungen: "Offiziell heißt es, wenn man nachfragt: 'Entschuldigen Sie bitte, das dauert noch ein bisschen'"
    Herter: Ist das eine gezielte Politik? Stecken dahinter bürokratische Schwierigkeiten, oder wird versucht, vielleicht subtil, Druck auszuüben?
    Köhne: Das ist schwer zu sagen. Offiziell heißt es, wenn man nachfragt: "Entschuldigen Sie bitte, das dauert noch ein bisschen." Das dauert dann vier Wochen, das dauert dann sechs Wochen, das dauert dann acht Wochen. Und besonders die Kollegen, die Familie haben, die wissen müssen, ob die Kinder in den Kindergarten, in die Schule gehen können, die geben manchmal genervt auf und sagen dann, dann kehren wir eher zurück.
    Herter: Immer wieder verurteilt auch die Bundesregierung die Entwicklung in der Türkei – Einschränkung der Pressefreiheit, aber auch Missachtung der Menschenrechte. Trotzdem will man, das sagt Berlin, mit der Türkei im Dialog bleiben. Ist das aus Ihrer Sicht noch richtig?
    Köhne: Ja, absolut richtig. Denn kein Land hat so enge Beziehungen mit der Türkei wie Deutschland. Kein Land entsendet so viele Journalisten in dieses Land. Wir haben gerade eine deutsch-türkische Universität hier in Istanbul gegründet. Es gibt eine ganze Hand voll Goethe-Institute im ganzen Land. Deutschland ist der größte Handelspartner innerhalb der Europäischen Union. Das ist auch deshalb wichtig, dass der Dialog weitergeht, weil es natürlich Auswirkungen hat auf das Verhältnis zwischen den türkischstämmigen Mitbürgern in Deutschland und der deutschen Bevölkerung. Also, es spricht sehr viel dafür, dass gerade Deutschland darauf dringt, dass der Dialog weitergeht und dass man vor allen Dingen auch mit denjenigen spricht, die in der Opposition stehen.
    Herter: Der Flüchtlingspakt zwischen Brüssel und Ankara wurde auch gestern wieder beim EU-Gipfel besprochen. Wie stark bestimmt dieses Element – die Türkei hat da ja sehr viel in der Hand – diese schwierige Beziehung zwischen der Europäischen Union und der Türkei?
    Köhne: Dieser sogenannte Flüchtlingspakt droht ein Opfer der vergifteten Beziehungen zwischen der EU und der Türkei zu werden. Dabei hat die Türkei ja ihren Teil des sogenannten Deals erfüllt. Sie hat Flüchtlinge daran gehindert, in die Boote zu steigen und hinüberzusetzen nach Griechenland, mehr denn je. Sie hat auch die Situation der Flüchtlinge hier im Land verbessert. Sie hat auch die Flüchtlinge, die zurückgeschickt wurden von Griechenland, aufgenommen. Bloß die EU hat ihren Teil nicht erfüllt. Sie hat eben viel weniger Flüchtlinge aus der Türkei direkt aufgenommen als ursprünglich zugesagt. Der Staatspräsident Erdogan hat immer wieder damit gedroht, diesen Flüchtlingspakt zu kündigen. Ich persönlich glaube, dass er das nicht tun wird, diese Karte nicht ziehen wird, weil ein solcher Schachzug die internationale Reputation der Türkei, die ohnehin schon Schaden gelitten hat, noch weiter verschlechtern würde. Die Türkei stünde dann da als ein Land, das Flüchtlinge ermutigt, in die lebensgefährlichen Schlauchboote zu steigen und ihr Leben zu riskieren. Ich glaube, dass das am Ende nicht im Interesse, auch nicht im Interesse von Staatspräsident Erdogan ist.
    "Ich glaube, dass Staatspräsident Erdogan das von ihm anvisierte Präsidialsystem durchsetzen wird"
    Herter: Wir tun es gerade. Ständig berichten wir über negative Entwicklungen in der Türkei, weil das selbstverständlich unsere Aufgabe ist, Ihre, Gunnar Köhne, und unsere. Sehen Sie irgendwo einen Hoffnungsschimmer für die künftige Entwicklung dieses so wichtigen Landes?
    Köhne: Kurzfristig leider nicht. Kurzfristig habe ich wenig Hoffnung. Ich glaube, dass Staatspräsident Erdogan das von ihm anvisierte Präsidialsystem durchsetzen wird, so oder so, bis Mitte des nächsten Jahres. Aber langfristig habe ich Hoffnung, weil ich eben doch so viele Menschen kennengelernt habe im ganzen Land, die etwas verändern wollen, die etwas bewegen wollen. Ob es der Lehrer in Anatolien ist, der gegen das Analphabetentum kämpft, ob es die kurdische Menschenrechtlerin ist, ob es die Erasmus-Studenten sind, die türkischen, die von einem Studienaufenthalt in Europa träumen – das sind Menschen, die, glaube ich, wirklich viel Hoffnung geben für die weitere Entwicklung des Landes, und die auch nicht vergessen werden sollten in Europa, wenn man an die Beziehungen zur Türkei denkt.
    Herter: Also muss man an die Beziehungen zu den Menschen in der Türkei denken und nicht nur an die Führung dort. Vielen Dank, Gunnar Köhne aus Istanbul. In den nächsten Tagen wird er die Türkei nach zwei Jahrzehnten verlassen, wenn Gunnar Köhne trotzdem auch immer wieder aus der Türkei in Zukunft berichten wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.