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Deutscher Städtetag
Integrationsfähigkeit der Kommunen nicht überfordern

Der künftige Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe, hat auf die Bedeutung des Familiennachzugs für Flüchtlinge hingewiesen. In einem überschaubaren Rahmen könne dieser die Integration erleichtern, sagte er im Dlf. Gleichzeitig warnte er davor, die Kommunen in dieser Frage zu überfordern.

Markus Lewe im Gespräch mit Christoph Heinemann | 28.12.2017
    Oberbürgermeister Markus Lewe (CDU) lächelt am 17.07.2015 in Münster (Nordrhein-Westfalen) nach eiem Interview.
    Der künftige Präsident des Deutschen Städtetages, Markus Lewe (CDU), hat sich für eine vernünftige Integrationspolitik ausgesprochen. Andernfalls werde es schwierig, sagte er im Dlf. (Caroline Seidel/dpa)
    Christoph Heinemann: Wie auch immer in der Migrationspolitik entschieden werden wird: Letztendlich landet das Problem bei den Städten und Gemeinden. Sie müssen die Unterbringung und im weitesten Sinne die Integration von Migrantinnen und Migranten organisieren. Markus Lewe, CDU, ist der Oberbürgermeister der Stadt Münster, ab dem 1. Januar Präsident des Deutschen Städtetages, in dem rund 3.400 Städte und Gemeinden mit fast 52 Millionen Einwohnern zusammengeschlossen sind. Guten Tag!
    Markus Lewe: Guten Tag!
    Heinemann: Herr Lewe, könnten die Städte den Familiennachzug organisieren und finanzieren?
    Lewe: Ich glaube, dass sie das natürlich können, wenn bestimmte Rahmenbedingungen mit beachtet werden. Die Integration kann sogar gestärkt werden, wenn engen Familienangehörigen der Zuzug erleichtert werden kann.
    Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch beachten, dass die Integrationsfähigkeit der Städte nicht überfordert wird. In dieser Balance muss auch eine neue Bundesregierung kluge Lösungen erstellen, die die Städte auf der einen Seite nicht überfordert, aber auch auf der anderen Seite die Integrationschancen Geflüchteter nicht beeinträchtigt.
    Heinemann: Also Sie sind für einen Nachzug nicht nur in Härtefällen?
    Lewe: Ich bin für einen Nachzug, der es ermöglicht, dass eben enge Familienangehörige auch die Chance bekommen müssen, als Beitrag zur Integration in die Städte zu kommen. Ich bin allerdings auch der Meinung, dass der entscheidende Punkt der sein wird, was ist eigentlich Familie? Ist das eine Großfamilie oder sind das enge Angehörige?
    Wichtig ist, dass die Integrationsfähigkeit der Kommunen nicht überfordert wird, und das ist auch eine wichtige Forderung, weil wir ja jetzt die Erfahrung gemacht haben, nachdem wir die vielen Geflüchteten vor ein paar Jahren aufgenommen haben, sehr schnell zu Integrationsmaßnahmen gekommen sin. Das Thema funktionierende Integration muss im Vordergrund stehen, damit der Zusammenhalt der Kommunen auch mit denen, die neu hier ein Stück zu Hause sind, gelingen kann.
    "Hier geht es erst einmal darum, Vertrauen zu schaffen"
    Heinemann: Und wenn Sie jetzt sagen, Nachzug dient der Integration, dann gilt das ja auch für Städte in Bayern. Wieso hat die CSU das noch nicht verstanden?
    Lewe: Ich bin hier nicht auf dem Weg, zu überlegen, wer was nicht verstanden hat, sondern es geht um die Frage –
    Heinemann: Wäre schön, wenn wir es verstehen würden.
    Lewe: Es geht um eine ganz andere Frage: Jeder, der sich mit diesem Thema auseinandersetzt, hat auch gewisse Sorgen. Und die Sorgen, die vorhanden sind auch in der Öffentlichkeit, müssen sehr gründlich und genau betrachtet werden. Und im Kern geht es nicht nur um die Frage des Familiennachzugs, sondern es geht im Kern darum, dass die Öffentlichkeit Vertrauen gewinnt in die Integrationspolitik. Denn was nutzt es, wenn ich noch so viele Themenfelder bediene, aber das Vertrauen weiter Teile der Bürgerschaft nicht hinterherkommt.
    Hier geht es erst mal darum, Vertrauen zu schaffen, Vertrauen zu schaffen in funktionierende Integrationsmodelle, Vertrauen zu schaffen, dass auch das Integrieren von Geflüchteten in unseren Kommunen, in unseren Städten einen Reichtum abbilden kann, und nicht, wie vielleicht von einigen befürchtet, als Bedrohung wahrgenommen wird.
    Heinemann: Nun haben sich Bund und Länder im Sommer 2016 über eine Integrationspauschale geeinigt, jährlich zwei Milliarden. Auf der Internetseite des Deutschen Städtetages ist zu lesen, ein angemessener Teil von diesem Geld solle zügig den Kommunen weitergegeben werden. Das klingt nach einer Forderung. Halten die Länder dieses Geld zurück?
    Lewe: Es gibt unterschiedliche Regelungen in den jeweiligen Ländern. Es gibt in der Tat auch Bundesländer, die dieses Geld nicht weitergeben.
    Heinemann: Welche?
    Lewe: Es gibt dafür unterschiedliche Begründungen. Einige sagen, dass diese Integrationsmittel bereits schon in anderen Zahlungen sich befinden, zum Beispiel das Land Nordrhein-Westfalen. Aber hier sind auch wir im Dialog, dass diese Integrationspauschalen weitergereicht werden.
    Wir sind sogar noch einen Schritt weiter gegangen. Wir fordern auch, dass über das Jahr 2019 hinaus Mittel für die Integration geflüchteter Menschen zur Verfügung gestellt werden, denn wenn man das nicht von Anfang an vernünftig steuert, und zwar in allen Bereichen, Bildung von Anfang an, vernünftige Schaffung von Wohnraum auch für Geflüchtete, Wohnen aber auch für alle, bis hin zu Berufsqualifizierungsmaßnahmen. Wenn wir das nicht von Anfang an gründlich betreiben, dann wird es in der Tat schwierig mit der Integration. Und damit sind die Städte und Kommunen überfordert, das allein zu finanzieren.
    "Wir haben Forderungen, und die begründen wir auch gut"
    Heinemann: Haben Sie denn schon Zusagen, vom Bund oder von den Ländern?
    Lewe: Wir haben Forderungen, und wir begründen die auch gut.
    Heinemann: Fordern kann man viel.
    Lewe: Ja, aber man muss auch die Dinge begründen, und man muss auch Verständnis haben für die, die damit zu tun haben. Aber man muss am Ende ganz klar die Interessen der Städte vertreten, und das Interesse der Städte besteht natürlich darin, dass man nicht alleingelassen wird, sondern dass man in dieser wichtigen Aufgabe der Integration die Unterstützung erfährt, die wir nötig haben. Denn es ist in der Tat eine Aufgabe, die zusätzlich zu vielen anderen wachsenden Aufgaben hinzugekommen ist, und die werden wir allein nicht bewerkstelligen können.
    Heinemann: Können die Kommunen gleichzeitig zu diesen Aufgaben, die Sie geschildert haben, für bezahlbaren Wohnraum und für zusätzliche Kita-Plätze sorgen?
    Lewe: Sie müssen es tun. Wir erleben zwar auf der einen Seite einen gigantischen Investitionsstau, immerhin von 126 Milliarden Euro, die die deutschen Städte betreffen. Wir fordern deshalb auch eine entsprechende Unterstützung von Investitionszuwendungen. Das betrifft auch Schulen, das betrifft aber auch Verkehrsinfrastrukturmaßnahmen, aber es betrifft vor allen Dingen eben auch die Rettung der Idee der europäischen Stadt.
    Was ist die europäische Stadt? Die europäische Stadt ist im Kern immer eine Stadt, die sich durch ihre Vielfalt auszeichnet, eine Stadt, die sich auch durch eine recht hohe unterschiedliche Diversität von Bewohnern auszeichnet. Sie zeichnet sich durch Identifikationsräume aus. Und diese europäische Stadt, die eben allen gehört, den gut Verdienenden, den weniger gut Verdienenden. Sie muss einen Ort für alle bilden, und dafür ist es eben erforderlich, dass auch eine entsprechende Infrastruktur zur Verfügung gestellt wird.
    "Wir brauchen bezahlbaren Wohnraum für alle"
    Heinemann: Diese Stadt zeichnet sich auch durch die Civitas aus, die Bürgerschaft. Wie erklären Sie den Bürgerinnen und Bürgern, dass für die Integration zwei Milliarden jährlich zur Verfügung stehen, für kaputte Schulen, Straßen, für Schwimmbäder aber nicht?
    Lewe: Die Herausforderung besteht erst mal darin, dass man die unmittelbar neuen Aufgaben wahrnimmt, und diese Aufgabe, die wir hatten, insbesondere durch die vielen Geflüchteten aus dem Nahen und Mittleren Osten, war eine, die in ihrer Heftigkeit schon viele damals bewegt hat.
    Und die Priorisierung, unmittelbar dort Hilfe zu leisten, musste natürlich vorgenommen werden. Aber ich bin immer dagegen, dass man die Maßnahmen, die Kommunen treffen, immer nur differenziert betrachtet werden im Hinblick auf bestimmte Bevölkerungsgruppen. Man kann das eine ohne das andere nicht denken.
    Natürlich haben auch Maßnahmen in Tageseinrichtungen für Kinder oder sportliche Infrastruktur einen integrierenden Aspekt, deshalb darf man die Dinge nicht trennen, sondern wenn wir vernünftige Integrationspolitik leisten wollen, dann müssen wir erst recht die Tageseinrichtungen für Kinder verbessern. Dann müssen wir erst recht die Schulen und die Grundschulen verbessern, müssen auch Ganztagesangebote dort schaffen, müssen insgesamt eine soziale Infrastruktur herstellen, mit der es auch gelingt, den geflüchteten Menschen hier ein Stück zu geben, aber wir müssen das auch deshalb tun, damit wir denen, die hier schon länger leben, das Vertrauen, wonach sie doch teilweise dringend suchen, nicht zerstören, sondern im Gegenteil mit aufbauen. Deshalb bin ich auch zutiefst davon überzeugt, dass es nicht Sinn macht, nur über Flüchtlingsunterkünfte zu sprechen.
    Es muss um das Thema gehen, Wohnen für alle, wirklich für alle. Denn diejenigen, die demnächst nicht mehr als Flüchtlinge anerkannt werden, werden ohnehin auf den Wohnungsmarkt übergehen. Deshalb brauchen wir eben auch bezahlbaren Wohnraum für alle.
    Heinemann: Die Rückführung abgelehnter Asylbewerber verläuft sehr langsam. Mit welchen Folgen für die Kommunen?
    Lewe: Ja, das ist in der Tat eine Herausforderung, auch eine finanzielle Herausforderung. Zum einen gibt es eine ganze Reihe von Initiativen, die sich auch mit humanitären Fragestellungen auseinandersetzen, zum anderen muss man eben auch deutlich machen, dass Rückführung natürlich aufgrund eines rechtsstaatlichen Prinzips erfolgen muss, auch nach einem entsprechenden rechtsstaatlichen Verfahren. Diejenigen, die noch nicht zurückgeführt werden, sind natürlich in einer besonderen Situation. Einmal menschlich in einer besonderen Situation – es ist aus deren Perspektive auch ein nicht zumutbarer Schwebezustand. Auf der anderen Seite ist eben auch, hier sind die Kommunen auch überfordert, allein mit dieser Aufgabe fertig zu werden.
    Heinemann: Markus Lewe, CDU, Oberbürgermeister der Stadt Münster und ab dem 1. Januar Präsident des Deutschen Städtetages. Danke schön für das Gespräch, viel Erfolg im neuen Amt und auf Wiederhören!
    Lewe: Herzlichen Dank, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.