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Deutscher Zukunftspreis 2015
Entlastung für Herz und Lunge

Menschen mit Herzproblemen haben es immer dabei: ein kleines Sprüh-Fläschchen mit Nitro-Spray. Bei einem Angina Pectoris-Anfall wird dann gesprüht. Der Effekt: Die Gefäße erweitern sich. Das Herz wird besser durchblutet. Der Anfall geht vorbei. Das Problem: Nitro-Spray wirkt schnell aber nicht lange. Forscher der Universität Gießen und des Bayer-Konzern haben ein Medikament entwickelt, dass ähnlich, aber viel länger wirkt. Für die Neuentwicklung ist das Team für den Deutschen Zukunftspreis nominiert worden.

Von Martin Winkelheide | 01.12.2015
    Ardeschir Ghofrani, Johannes-Peter Stasch und Reiner Frey sind mit ihrem Medikament gegen Lungenhochdruck für den Deutschen Zukunftspreis nominiert
    Ardeschir Ghofrani, Johannes-Peter Stasch und Reiner Frey sind mit ihrem Medikament gegen Lungenhochdruck für den Deutschen Zukunftspreis nominiert (Deutscher Zukunftspreis / Ansger Pudenz)
    "Den normalen Körperblutdruck können wir ja mit einer Blutdruckmanschette am Oberarm messen. Das ist ja auch eine Untersuchung, die mittlerweile fast jeder Erwachsene kennt."
    Schwieriger aber, so der Lungenfacharzt Ardeschir Ghofrani von der Universität Gießen, ist es, den Blutdruck in dem kleinen Kreislauf des Körpers zu messen - zwischen Herz und Lunge. Man braucht dazu spezielle Apparate: ein Doppler-Ultraschall-Gerät, oder der Arzt muss sogar eine Katheter-Untersuchung machen. Lungenhochdruck bleibt daher oft lange unerkannt - es sei denn, es treten Beschwerden auf.
    "Und das ist in den Frühstadien der Erkrankung zunächst einmal eine Leistungseinschränkung - oder andersrum ausgedrückt: eine Luftnot schon bei leichter körperlicher Tätigkeit. Aber in den fortgeschrittenen Stadien der Erkrankung haben diese Patienten bereits Luftnot in Ruhe. Das ist, wie wir alle wissen, eines der quälendsten Symptome, die man überhaupt haben kann."
    Ist der Blutdruck im Lungenkreislauf dauerhaft zu hoch - wird das Herz überlastet. Vor allem die rechte Herzkammer.
    "Dann können Patienten auch am Rechts-Herz-Versagen sterben."
    Herkömmliche blutdrucksenkende Medikamente richten bei Lungenhochdruck wenig aus. Die erste wichtige Erkenntnis bei der Suche nach einem effektiven Wirkstoff: In den Blutgefäßen von Menschen mit Lungenhochdruck wird zu wenig Stickstoffmonoxid gebildet.
    "Stickstoff-Monoxid kennt eigentlich jeder so als Umweltgift."
    Im Körper ist Stickstoff-Monoxid ein wichtiger Nachrichtenstoff. Der Botenstoff löst in den Lungengefäßen eine Signalkaskade aus. Der erste Schritt:
    Stickstoff-Monoxid bindet an ein Enzym. Die sogenannte "lösliche Guanylat-Cyklase". Dieses Enzym sorgt dafür, dass ein weiterer Botenstoff frei gesetzt wird: das cyklische Guanosin-Monophosphat, kurz cGMP.
    "Das cGMP ist der zweite Botenstoff, der dann in der Zielzelle Effekte auslöst."
    "Zum einen erschlafft das die glatten Muskelzellen und entspannt die Lungengefäße, erweitert deren Durchmesser."
    Weite, schlaffe Gefäße fassen mehr Blut - die Folge: Der Druck im Lungenkreislauf sinkt.
    Wie lässt sich der Stickstoff-Monoxid-Mangel bei Menschen mit Lungenhochdruck beheben? Seit beinahe 20 Jahren sucht Ardeschir Ghofrani mit seinen Kollegen an der Universität Gießen nach Lösungen. Und parallel mit ihm: Pharma-Forscher des Bayer-Konzerns in Wuppertal. Sie haben an die 4.000 Wirkstoff-Kandidaten hergestellt und getestet. Grundlage für eine strategische Partnerschaft mit den Universitätsforschern.
    "Was wir nicht können, ist: Medikamente machen."
    "Oder auch dann, selbst wenn man eine grobe Idee hat, wie so ein Wirkstoff aussehen müsste, den dann tatsächlich zu designen. Und das kann die moderne forschende Pharmaindustrie."
    Im Jahr 2000 gelingt die Herstellung eines passgenauen Wirkstoffs. Riociugat, so zeigte sich, erweitert langfristig die Gefäße und hat weitere positive Wirkungen. So hemmt er Entzündungen und Zellwucherungen in den Gefäßen des Lungenkreislaufs. Und die unerwünschten Wirkungen?
    "Die Nebenwirkungen sind für so ein wirksames Medikament eigentlich erstaunlich gutartig."
    In den klinischen Studien wurde bei zehn von 100 Patienten eine leichte Senkung des Blutdrucks im großen Körperkreislauf gemessen. Aber nur wenige dieser Patienten spürten etwas davon.
    "Denen ist zum Beispiel schwindelig geworden."
    Vor einem Jahr ist Riociugat als Medikament zugelassen worden. Mit ihm lassen sich nicht alle - aber doch zwei von vier Formen des Lungenhochdrucks gut behandeln. Es ist der erste Vertreter einer ganz neuen Wirkstoffklasse. In Studien wird zur Zeit erprobt, ob es auch gegen andere, viel häufigere Krankheiten wirkt - etwa gegen Herzschwäche.
    "Aus meinem Herzen würde ich sagen: Natürlich gewinnen wir."
    Schon die Nominierung für den Deutschen Zukunftspreis, sagt Ardeschir Ghofrani, hat einen wichtigen Effekt: Sie macht die Krankheit Lungenhochdruck bekannter. Seine Hoffnung ist, dass Patienten künftig schneller die richtige Diagnose und dann auch Hilfe bekommen.