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Deutschland als Auswandererland
"Das muss man stark relativieren"

Immer mehr Hochqualifizierte wandern aus Deutschland aus - das besagt eine aktuelle OECD-Studie. Hauptgrund sei, dass die Menschen internationale Erfahrungen sammeln wollen, sagte Wido Geis vom IDW im DLF. Auf der anderen Seite kämen aber auch gut ausgebildete Personen nach Deutschland.

Wido Geis im Gespräch mit Benedikt Schulz | 02.06.2015
    Studenten im Hörsaal
    1,4 Millionen der im Ausland lebenden Deutschen haben Abitur und/oder eine Berufsausbildung, so eine OECD-Studie. (picture alliance / dpa / Fredrik von Erichsen)
    Benedikt Schulz: Deutschland ist ein Auswanderungsland. Immer mehr sagen "Tschüss, macht's gut", und suchen ihr Glück überall, nur eben nicht hierzulande. Deutschland steht wirtschaftlich eigentlich ja bestens da, und trotzdem gehen die, die die besten Chancen haben, ihr Glück auch hier zu finden, denn ein großer Teil von ihnen ist gut oder sogar hochqualifiziert, sagt eine aktuelle Studie der OECD. Mal konkret: 1,4 Millionen der im Ausland lebenden Deutschen haben Abitur und/oder eine Berufsausbildung. 1,2 Millionen haben ein abgeschlossenes Studium, und die Tendenz ist steigend. Das alles sagt die Studie der OECD, sie sagt aber wenig über die Gründe. Und über die wollen wir reden mit Wido Geis, Fachmann für Migration beim Institut der Deutschen Wirtschaft. Ich grüße Sie!
    Wido Geis: Herzlich willkommen!
    "Für die Karriere ist es notwendig, zwei, drei Jahre in einem anderen Land gelebt zu haben"
    Schulz: Ja, warum haben denn die gut ausgebildeten Deutschen keine Lust, in Deutschland zu bleiben?
    Geis: Man muss das erst mal, glaube ich, ein bisschen gerade rücken. Wir haben gut ausgebildete Deutsche, die das Land verlassen, aber gleichzeitig auch gut ausgebildete Personen aus dem Ausland, die hierher kommen. Man darf das nicht ohne Gegenbuchung sehen. Warum verlassen Deutsche das Land? Da gibt es verschiedene Gründe. Ein Hauptgrund ist, dass es immer wichtiger wird, gerade im hochqualifizierten Segment, internationale Erfahrung zu sammeln. Mal im englischsprachigen Ausland gelebt zu haben, um Englisch zu lernen. In großen Unternehmen ist es häufig so, für die Karriere ist es notwendig, zwei, drei Jahre in einem anderen Land gelebt zu haben. Und natürlich kommt es dann vor, dass Personen in die USA gehen, eigentlich nur zwei, drei Jahre bleiben wollen, aber dann kleben bleiben. Und was wir die letzten Jahre sehen, ist, dass wir eindeutig mehr Zuwanderer haben als Auswanderer, und dass die Zuwanderer eben auch gut qualifiziert sind. Also, dieses "Deutschland verliert hier extrem Fachkräfte" würde ich sehr stark relativieren wollen.
    Schulz: Sie haben natürlich recht: Es gibt eine Nettozuwanderung, das heißt, es kommen mehr Zuwanderer als Menschen das Land verlassen, aber heißt das nicht auf der anderen Seite, dass wir sozusagen den Braindrain, also den Wegzug der besten Köpfe in wirtschaftlich schwächere Staaten verlagern?
    Geis: Wie gesagt, ganz viel ist hier einfach die Mobilität, dass heute in Deutschland, in Italien, in Großbritannien auch, inzwischen auch in den USA immer wichtiger wird, dass man eine Zeit seines Lebens im Ausland gelebt hat, dort Sprachkenntnisse erworben hat, dort für die Firma tätig war, die häufig multinational ist. Natürlich gibt es einige Länder, aus denen im Moment mehr zu uns kommen. Nun sehen wir es immer noch, dass Deutsche netto in die Schweiz abwandern, aber diesen starken Braindrain würde ich hier nicht sehen. Und das Bild, Deutschland gibt seine guten Kräfte in die eine Richtung ab und holt sich dafür andere, das ist so meiner Ansicht nach auch nicht ganz zutreffend.
    Schulz: Wir sprechen natürlich auch über Rückkehrer, das heißt Menschen, die wieder nach Deutschland zurückkommen. Die gibt es. Aber die sind zumeist nicht die Hochqualifizierten. Woran liegt das?
    Geis: Der eine Punkt ist, dass natürlich Hochqualifizierte in anderen Ländern aufgrund besserer Sprachkenntnisse bessere Chancen haben. Ein zweiter Punkt ist natürlich, dass viele, die zurückkehren, schon länger im Ausland leben, und in Deutschland gibt es einfach in den letzten Jahren, Stichwort Akademisierung, viel mehr Hochqualifizierte.
    "Wir können etwas über das Thema Willkommenskultur lernen"
    Schulz: Können wir denn von solchen Ländern wir den USA oder auch der Schweiz, können wir etwas über das Thema Willkommenskultur lernen? Ist ja auch in Deutschland ein großes Thema.
    Geis: Wir können etwas über das Thema Willkommenskultur lernen, ich würde aber nicht die USA und die Schweiz da als Vorbilder sehen, sondern eher Kanada. Also auf jeden Fall, dass wir in den Behörden ganz anders mit Zuwanderern, insgesamt mit Fachkräften umgehen müssen, die als Ressource sehen, denen sofort das passende Informationsmaterial zur Verfügung stellen, dass diese Anlaufstellen eben auch für ausländische Fachkräfte sich spezialisiert haben und nicht nur diese Fragen, die im Bereich humanitärer Zuwanderung da sind, die natürlich auch sehr, sehr wichtig sind. Aber dass wir eben auch die geeigneten Anlaufstellen für Fachkräfte hier haben.
    Schulz: Aber das sind natürlich alles jetzt behördliche oder institutionelle Faktoren, aber was ist denn mit den Unternehmen, den Arbeitgebern selbst? Was können die denn noch tun, um mehr Willkommenskultur im Land zu etablieren?
    Geis: Grundsätzlich sehen wir da auch in den Unternehmen in den letzten paar Jahren einen Wandel, dass Unternehmen immer stärker im Ausland rekrutieren, was ein bisschen kompliziert ist. Aber ein Unternehmen kann sich natürlich noch viel bewusster vom demografischen Wandel dafür entscheiden, im Ausland zu rekrutieren. Ein Unternehmen kann einem neuen Mitarbeiter aus dem Ausland einen Paten zur Verfügung stellen, der den auch bei einigen privaten Gängen. Und der zweite Punkt ist einfach auch, noch stärker das Thema Besonderheiten im kulturellen Umgang Unternehmen leben und da seine Mitarbeiter auch für zu sensibilisieren, dass dieser Zuwanderer jetzt nicht irgendjemand den Arbeitsplatz wegnimmt, sondern dadurch, dass er da ist, sogar Arbeitsplätze sichert.
    Schulz: Einschätzungen von Wido Geis, beim Institut der Deutschen Wirtschaft zuständig für das Thema Migration. Herzlichen Dank!
    Geis: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.