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Deutschland
Der Antisemitismus der Elite

Es gibt einen intellektuellen Antisemitismus, der nicht mit der Bemerkung "Man wird doch noch Kritik an der Politik des Staates Israel äußern dürfen" abgetan ist. Zwischen berechtigte Kritik mischt sich dabei zuweilen auch dumpfer Judenhass - und das zunehmend bei Intellektuellen, wie ein Symposium an der TU Berlin zeigt.

Von Christiane Habermalz | 20.06.2014
    Mit Gesängen feiern jüdische Geistliche den Einzug der neuen Tora-Rolle in der Synagoge in Halle/Saale. Ein Schriftexperte des Soferinstituts in Jerusalem hat ein Jahr lang eine Rolle Buchstabe für Buchstabe abgeschrieben. Mit dem Schriftstück sollen künftig die Gottesdienste für die rund 600 Gemeindemitglieder abgehalten werden. Die Rolle enthält die fünf Bücher Moses in hebräischer Sprache.
    Zur Normalität des jüdischen Lebens in Deutschland gehört es, dass jemand zumindest das Risiko verbaler Belästigung eingeht, wenn er sich als Jude outet, berichten Rabbiner. (picture alliance / dpa / Foto: Jan Woitas)
    Dumpfer Judenhass - das ist eigentlich ein Phänomen der Unterschichten oder der rechtsextremen Organisationen, wird oft kolportiert. Doch was ist mit Sätzen wie: "Ich bin es leid, dass den Deutschen immer noch der Holocaust vorgehalten wird" oder "Israel führt einen Vernichtungskrieg gegen Palästina"? - Zwischen 30 und 50 Prozent der Deutschen stimmen in Umfragen solchen Sätzen zu - unter ihnen zunehmend Hochgebildete und wohlsituierte Bürger.
    "Die zeichnen sich dadurch aus, dass sie selbst ihren Antisemitismus vehement leugnen. Die sagen, ich bin ein Humanist, und ich schreibe nur, weil ich mich um den Weltfrieden sorge. Und wenn sie dann aber Israel angreifen, sehr massiv angreifen, dann sieht man, dass bewusst oder unbewusst auf ganz extreme judenfeindliche alte Stereotype zurückgreifen."
    Die Linguistin Monika Schwarz-Friesel hat über zehn Jahre hinweg die Zuschriften ausgewertet, die der Zentralrat der Juden in Deutschland und die israelische Botschaft täglich erhalten. Über die Hälfte dieser Schreiben stammen aus der Feder von Professoren, Ärzten, Lehrern. "Die Legitimationsbasis all Ihrer Verbrechen ist wohl die zionistische Idee, ein auserwähltes Volk zu sein", schreibt etwa ein Jura-Professor aus Leipzig, der sich selbst als verantwortungsbewussten Bürger beschreibt. Ein Arzt echauffiert sich aus rein medizinischer Sicht über die "grausame und ekelhafte Tätigkeit der jüdischen Beschneidung, die verantwortlich sei für "die vielen Erkrankungen, die bevorzugt jüdische Menschen befallen". Frei nach dem Motto, das müsse man doch mal sagen dürfen, schließlich sei man doch frei von jedem Antisemitismusverdacht, werden alte antisemitische Argumentationsmuster kolportiert.
    "Weltverschwörungstheorien, die alte Idee, ein auserwähltes Volk zu sein, wird oft reaktiviert, oder ganz, ganz oft finden wir Gleichsetzungen von Juden und Israelis, also das alte Konzept, dass Juden, auch deutsche Juden, doch eigentlich viel besser in Israel aufgehoben seien."
    Antisemitismus kam schon immer aus der gebildeten Mitte
    Antisemitismus unter Intellektuellen - verwundern dürfe das nicht, betont Schwarz-Friesel. Ein Blick in die weit zurückreichende Geschichte der Judenfeindschaft belege, dass Antisemitismus schon immer aus der gebildeten Mitte, von den Schreibpulten der Gelehrten kam. Die moderne Variante finde sich zum Einen in der Neuen Rechten - die sich bewusst distanziere von der NS-Zeit, den Holocaust nicht leugne, aber versuche, seine Bedeutung zu relativieren. Den Juden wird eine "Mitschuld" an der Judenfeindlichkeit gegeben, statt des Begriffs der "Rasse" werde von Ethnonationalität gesprochen. Auf der anderen Seite aber ist der Antisemitismus aber auch verstärkt in der Linken und unter Liberalen verbreitet. Seit den 60er Jahren arbeite sich ein linksgetönter Antisemitismus an Israel ab, erläuterte der Politikwissenschaftler Martin Kloke.
    "Vor 1967 wurden vielfach gerade in linken Kreisen Juden idealisiert, es gab Bühnenstücke, jeder Jude war ein Nathan der Weise, makellos aus den Konzentrationslagern zurückgekehrt und diese Projektion hat sich dann in ihr Gegenteil verkehrt, das ist so ähnlich wie bei enttäuschter Liebe und dann plötzlich schlägt diese Bewunderung in einen ebenso unkritischen Hass und Abneigung über."
    In aktuellen öffentlichen Debatten legten die Wissenschaftler dar, werde nicht der Antisemitismus, sondern der Antisemitismus-Vorwurf skandalisiert. Dabei sei der Vorwurf des Kritik-Tabus längst widerlegt. Kaum ein Land wird in Deutschland heftiger und unverblümter kritisiert als Israel. (*)
    "Wenn ich an Kolumnen von Marion Gräfin Dönhoff denke, aus den späten 40er Jahren, da hat sie mit großer Selbstverständlichkeit Israel kritisiert, und nicht nur das, sie hat Israel auch in die Nähe des NS-Regimes gerückt."
    Verbale Belästigung
    Fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges müsse es doch für Deutsche möglich sein, unverkrampft Kritik an den Juden und Israel äußern zu können, die Zeiten des moralischen Maulkorbs müsse endlich vorbei sein, wird oft argumentiert. Normalität? Rabbiner Daniel Alter, Antisemitismus-Referent der Jüdischen Gemeinde Berlin, wurde vor zwei Jahren auf offener Straße vor den Augen seiner kleinen Tochter schwer verprügelt.
    "Es ist Normalität des jüdischen Lebens in Deutschland, dass wenn sich jemand von uns outet in der Öffentlichkeit, dass er zumindest das Risiko verbaler Belästigung eingeht. Das ist zur Zeit Normalität jüdischen Lebens in der Bundesrepublik Deutschland."
    (*) Anmerkung der Online-Redaktion: Dieser Satz wurde kurz vor der Ausstrahlung aus dem Audio geschnitten. Zu diesem Zeitpunkt war das Manuskript allerdings bereits veröffentlicht. Aus Transparenzgründen haben wir uns entschieden, den Satz im Text zu belassen.