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Deutschland
Extrem schwierige Karrierewege für junge Wissenschaftler

Befristete Verträge, Kurzzeitverträge, vorübergehende Arbeitslosigkeit: Der wissenschaftliche Nachwuchs kann oft nur sehr gebrochene Erwerbsbiografien vorweisen. Für viele sei das ein Grund, lieber ins Ausland zu gehen, sagte die Naturwissenschaftlerin Wiebke Drenckhan. Bei der Übergabe der Petition "Perspektive statt Befristung" im Bildungsministerium war sie auch dabei - 25.000 hatten die Forderung unterzeichnet.

Wiebke Drenckhan im Gespräch mit Markus Dichmann | 17.03.2015
    Lebergewebe auf einem Zylinder des Multi-Organ-Chips
    Viele junge Wissenschaftler setzen auf bessere Angebote aus dem Ausland (imago)
    Markus Dichmann: Hier mal ein Jahr, dort mal ein halbes Jahr, hier dann wieder eine Vertretung bis zum Ende des Jahres, und dann doch wieder der Gang zum Arbeitsamt. Und wenn man Pech hat, kann beziehungsweise muss man sein Leben jahrelang so gestalten. Was ich beschreibe, ist die Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland, der oft sehr gebrochene Erwerbsbiografien vorzuweisen hat. Denn gerade im akademischen Mittelbau, und hier eben arbeiten ja die jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, gerade hier wird gern mit befristeten und Kurzzeitverträgen gearbeitet. Davon die Nase voll haben 25.000 Unterzeichner der Petition "Perspektive statt Befristung", die sich eben genau für das einsetzt, für mehr Planungssicherheit und längere Verträge in der Wissenschaft. Übergeben wurde diese Petition eben gerade in Berlin, im Bundesbildungsministerium, und zwar unter anderem von der Naturwissenschaftlerin Wiebke Drenckhan, die wir vor dem Ministerium am Telefon erreichen. Hallo, Frau Drenckhan!
    Wiebke Drenckhan: Hallo!
    Dichmann: Wie lief die Übergabe gerade jetzt ab im BMBF? Haben Sie das Gefühl, da auf offene Ohren gestoßen zu sein?
    Drenckhan: Also sehr freundlich und sehr offene Ohren, würde ich sagen, von beiden Seiten. Die Diskussion war sehr offen und sehr ehrlich – viel zu kurz natürlich.
    Dichmann: Und das auch, obwohl sich die Bundesministerin Johanna Wanke gar nicht Zeit für Sie genommen hat, würden Sie sagen, denn die ist lieber zur Auftaktsitzung des sogenannten Hightech-Forums gegangen.
    Drenckhan: Es wäre natürlich schön gewesen, die Ministerin auch begrüßen zu können, also auch gerade, weil das einen symbolischen Wert gehabt hätte. Aber ich glaube, gerade, was natürlich die fachliche Diskussion betrifft, waren wir da wirklich mit den kompetenten Partnern zusammen. Ich glaube, insofern für die Diskussion, haben wir uns da mit den kompetenten Ansprechpartnern zusammengefunden.
    Petition soll Regierung auf das Problem aufmerksam machen
    Dichmann: Okay. Gehen wir mal einen Schritt zurück, besprechen wir mal ein paar Basics. Warum brauchen wir diese Petition, was genau wollen Sie damit eigentlich erreichen?
    Drenckhan: Die grundlegende Motivation ist natürlich, wie Sie das schon angesprochen haben, dass die Karrierewege für junge Wissenschaftler in Deutschland extrem schwierig sind und viele Studien das jetzt mittlerweile auch belegen und wir natürlich hoffen, dass wir über diese Petition einmal Diskussionen anregen selbst unter den Betroffenen, und natürlich auch Gehör finden im Bereich der Regierung.
    Dichmann: Sie selbst, Frau Drenckhan, Sie sind ja nach Frankreich ausgewandert, sind dort heute als Wissenschaftlerin berufstätig. War das bei Ihnen eigentlich auch eine direkte Reaktion auf die Situation hierzulande?
    Drenckhan: Ja. Ich bin eigentlich schon relativ lange im Ausland. Ich bin schon am Ende meines Studiums ins Ausland gegangen, nach Neuseeland, hab dann in Irland promoviert und auch noch zwei Jahre Postdoc gemacht, und hab mir dann natürlich, wie eigentlich alle meine Kollegen auch, die Frage gestellt, was für mich danach kommt. Und gerade, wie viele meiner weiblichen Kollegen, habe ich mir so ein bisschen das Alter 30 gesetzt, wo ich mir gesagt hab, wenn ich 30 bin, muss ich ungefähr eine Sichtbarkeit haben darüber, ob ich Möglichkeiten habe, in der Forschung zu bleiben oder nicht.
    Als ich am Ende meines Postdocs in Irland war, mit diesem Limit 30, ist natürlich Deutschland nicht das Wahlland, weil man da eigentlich weiß, dass gerade zwischen 30 und 40 eine Zeit der großen Unsicherheit ist. Und insofern habe ich halt mich dafür entschieden, nach Frankreich zu gehen, habe dort ein Jahr Postdoc gemacht und hab dann erfolgreich mich auf eine feste Stelle bewerben können und bin dann halt geblieben.
    In Frankreich deutlich kürzere Promotionszeiten
    Dichmann: Können Sie das zusammenfassen, was da besser läuft in Frankreich? Was könnten wir von den Franzosen in der Hinsicht für den akademischen Mittelbau lernen?
    Drenckhan: Was deutlich besser läuft und was eben auch in meinem Fall natürlich eingetreten ist, ist, dass die Leute einfach viel, viel früher nach der Promotion fest eingestellt werden in der Forschung. Also einmal, die Promotionen sind kürzer, ich würde auch sagen, schon die Promotionen sind besser definiert in dem Sinne, dass die Doktoranden halt sich wirklich intensiver auf ihre Doktorarbeit konzentrieren können. In den meisten Fachgebieten sind die Promotionen wirklich drei bis vier Jahre und nicht so wie in Deutschland, wo sich das häufig wirklich auf sechs Jahre noch hinaus dehnt. Das heißt, die Leute sind schon einmal jünger am Ende ihrer Promotion. Und dann wird wirklich angestrebt, dass die idealerweise maximal zweijährige Postdoc-Zeit nach der Promotion stattfindet, die ich auch eigentlich als interessant empfinde, weil man sich dann noch mal austesten kann, noch mal mit anderen Forschern zusammenarbeiten kann, noch mal ein bisschen andere Themen austesten kann. Aber eigentlich ist die Politik schon, dass nach zwei, drei Jahren die Entscheidung stattfindet, ob ich ins wissenschaftliche System dauerhaft einsteige als junger Forscher oder nicht.
    "Grundkern der Stabilität fehlt in Deutschland"
    Dichmann: Zum Ende, Frau Drenckhan, ist denn aber nicht die Wissenschaft vielleicht eine Branche, in der Kurzzeitverträge, wie wir es jetzt aus Deutschland kennen, auch Sinn machen, sodass Akademiker sagen wir mal immer konkret projekt- und bezugsgebunden für einen gewissen Zeitraum an einer Sache arbeiten können?
    Drenckhan: Ich glaube, da haben Sie recht und unrecht gleichzeitig. Wissenschaft ist natürlich etwas, was sich viel bewegt, wo Fragestellungen neu aufgeworfen werden, Fragen beantwortet werden und so weiter. Insofern könnte man natürlich oberflächlich den Eindruck gewinnen, da muss auch irgendwie Bewegung in das Finanzierungssystem rein. Aber der große Kern der Wissenschaft, das entwickelt sich auf ganz anderen Zeitskalen, und man muss ein System schaffen, dass sich Wissenschaft wirklich stabil auf diesen viel längeren Zeitskalen entwickeln kann, durch grundlegende Finanzierung, und die man sozusagen über Drittmittelfinanzierung, Projekte und so weiter natürlich anreichert. Aber ich glaube, es ist einfach – ein Grundkern der Stabilität muss halt auch in der Wissenschaft da sein. Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiges Element, und das ist in Deutschland irgendwie verloren gegangen.
    Dichmann: Sagt Wiebke Drenckhan, Unterstützerin der Petition "Perspektive statt Befristung", und wir haben sie vor der Sendung per Telefon vor dem Bundesministerium für Bildung und Forschung erwischt, wo die Petition abgegeben wurde. Die zwischenzeitlich etwas schwankende Tonqualität bitten wir deshalb zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.