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Swantje Lichtenstein zu "Uncreative Writing"
"Goldsmith ist ein großer Trickster"

Es lebe das Plagiat! US-Autor und Literaturdozent Kenneth Goldsmith ermuntert seine Studenten zum Abschreiben. Warum, erläutert er im Buch "Uncreative Writing". Übersetzerin Swantje Lichtenstein findet den Ansatz spannend, weil dies zur Frage führe, was Literatur eigentlich sei, sagte sie im Dlf.

Swantje Lichtenstein im Corsogespräch mit Sigrid Fischer | 07.08.2017
    Der konzeptionelle Poesiekünstler Kenneth Goldsmith beim Colloquium "Die Zukunft der Dichtung" beim 16. Poesiefestival in Berlin.
    Der konzeptionelle Poesiekünstler Kenneth Goldsmith beim Colloquium "Die Zukunft der Dichtung" beim 16. Poesiefestival in Berlin. (imago/Mike Schmidt)
    Sigrid Fischer: Warum soll man der Flut bereits geschriebener Texte eigentlich noch weitere hinzufügen?, fragt der amerikanische Autor und Literaturdozent Kenneth Goldsmith. Und plädiert für das bei seinen Studenten sowieso sehr beliebte Copy-and-paste-Verfahren. Er stiftet sie geradezu an, zum "Uncreative Writing". Er selbst hat auch schon eine Ausgabe der "New York Times" komplett abgeschrieben und zwischen zwei Buchdeckeln veröffentlicht oder auch Verkehrshinweise aus dem Radio transkribiert. Also neue Literatur entsteht bei ihm durch Bearbeitung vorhandenen Textmaterials - nicht nur aus dem Internet.
    Swantje Lichtenstein, Autorin, Künstlerin, Professorin für Text und Ästhetische Praxis an der Hochschule in Düsseldorf, sie hat das Buch "Uncreative Writing" von Goldsmith übersetzt, zusammen mit Hannes Bajohr. Und sie begrüße ich jetzt in Düsseldorf. Guten Tag, Frau Lichtenstein.
    Swantje Lichtenstein: Hallo Frau Fischer.
    Fischer: Ja dieses Buch, das Sie übersetzt haben, ist auf jeden Fall originär, sagt Goldsmith selbst am Ende. Er sagt: "Ich schreibe originelle Gedanken über die Unoriginalität". Aber können Sie denn eigentlich der These etwas abgewinnen, dass er sagt: Literatur ist festgefahren. Das ist alles schon erzählt, es gibt keine Originalität mehr. Und deshalb kann man eigentlich auch nichts neues Eigen-Kreatives mehr schreiben.
    Lichtenstein: Die Literatur ist festgefahren. Das ist ein ganz wichtiges Faktum, was es auch festzuhalten gilt. Die Literatur, vorrangig auch hierzulande, ist tatsächlich an vielen Stellen im 19. Jahrhundert hängen geblieben. Das muss man sagen. Im Gegensatz zu den anderen Künsten - also das heißt: Musik und bildende Kunst, Performance-Kunst - steht die Literatur mit einem Begriff der künstlerischen Produktion da, der eben tatsächlich ein wenig veraltet ist. Das war nicht immer so. Wir wissen ganz genau, dass in den 1960er-Jahren eine ganze Reihe an experimentellen Elementen in der Literatur vorhanden war. Auch schon zur Zeiten des Dada, auch schon vorher. Aber es ist so, dass es da doch eine Rückkehr gab oder gibt, die man feststellen kann in der Literaturproduktion, die tatsächlich festgefahren ist. Die davon ausgeht, dass der Roman des 19. Jahrhunderts das wichtigste Element der Literatur ist. Der aber eben, wenn man die Literaturtheorie und auch die Auseinandersetzung der künstlerischen Diskurse betrachtet, tatsächlich mindestens 50 Jahre - und das hat Brion Gysin 1959 schon gesagt, das zitiert Goldsmith auch im Buch - eben doch sehr hinterherhinkt. Das muss man auf jeden Fall feststellen.
    "Kreativität ist nicht mehr eine Befreiung"
    Fischer: Ja. Das würde zu dem Gedanken aber führen, den Goldsmith ja wirklich ausführt in seinen Uni-Seminaren und sagt: "Ich verbiete meinen Studierenden jeden Hauch von Originalität und Kreativität". Da frage ich mich: Kann man das eigentlich? Weil Kreativität ist dem Menschen ja auch irgendwo zu eigen, also mit dem eigenen Blick auf die Welt, auf die Dinge irgendetwas zu schaffen.
    Lichtenstein: Das Interessante daran, ich glaube, das muss man auch festhalten… da stimme ich Ihnen auch vollkommen zu. Natürlich ist Kreativität etwas, was man auch gar nicht abschaffen möchte. Nur ist es eben auch so - Andreas Reckwitz ist da eine sehr bekannte Person, die vor einigen Jahren schon diesen Druck der Kreativität auch hierzulande in der künstlerischen Produktion, vor allem auch in der soziologischen Dimension, untersucht hat zu diesem Thema - wie schwierig das geworden ist, dass wir eben auch an allen Stellen kreativ sein müssen.
    Das heißt: Kreativität ist nicht mehr eine Befreiung von etwas, von einer Regelhaftigkeit, sondern Kreativität ist auch ein auferlegtes Schicksal sozusagen, wo man an allen Stellen, in allen Bereichen kreativ sein muss. Und das ist ein enormer Druck. Genau an dieser Stelle setzt Goldsmith letztendlich an. Das heißt: Was er macht mit diesem Begriff der "unkreativen" Arbeit, ist tatsächlich natürlich auch - und das beschreibt er ja auch im Buch - natürlich auch dahin zurückzufinden, dass Studierende genau in dem Moment, wo man ihnen die Kreativität verbietet, kreativ werden.
    Wir haben noch länger mit Swantje Lichtenstein gesprochen - hören Sie hier die Langfassung des Corsogesprächs
    Fischer: Das heißt also: Die Helene Hegemanns, die Tom Kummers, die zu Guttenbergs, die ja Textpassagen entweder abgeschrieben oder ganze Interviews erfunden haben, sind dann auch komplett rehabilitiert.
    Lichtenstein: Ich glaube, es sind verschiedene Elemente. Also die Geschichte des Plagiats ist ja sehr lang. Und die war im 18. Jahrhundert mit diesen Ossian-Nachdichtungen, die Macpherson gemacht hat, genauso virulent, wie das auch bei Brecht oder Shakespeare oder bei Ezra Pound oder Joseph Kosuth war. Also es gibt ja sehr viele Beispiele, wo man auch damit gearbeitet hat. Einerseits künstlerisch. Andererseits geht es natürlich auch, wenn es um juristische Debatten geht, eben darum: Was ist geistiges Eigentum? Wem gehört das Werk? etc. Das ist ja auch noch einmal eine andere Debatte. Also ich würde sagen, es gibt natürlich eine juristische Debatte und es gibt eine künstlerische Debatte. Und bei der Frage des Plagiats gehen die ineinander über. Aber es war auch immer ein wichtiger Bestandteil der Literatur zu plagiieren, abzuschreiben, intertextuell zu arbeiten.
    "Es ist auch nicht mehr ganz so einfach"
    Fischer: Werden wir einmal konkret: Er hat zum Beispiel in seinen Seminaren einmal eine Aufgabe gestellt, dass seine Studenten, jeder bei sich zu Hause aus einer Mode-Sendung im Fernsehen alles aufschreiben sollten, was sie da hörten. Jeder für sich. Und nach so einem Editionsprozess, wo dann diverse Sachen wieder verdichtet, gestrichen wurden, wurde dann daraus das folgende Gedicht - hören wir einmal kurz:
    sehr, sehr glücklich
    alle models sind angezogen
    der welt zu zeigen was ich kann
    bereit der welt zu zeigen
    sehrsehr glücklich
    bereit der welt
    das find ich toll
    machs oder lass es
    das find ich toll
    wird richtig lebendig, super
    Ich machs oder lass es
    Fischer: Wo ist die Autoren-Persönlichkeit? Der Ausdruckswille, den ich vielleicht habe? Oder die Idee, die ich dazu habe? Dieser Text ist doch sehr zufällig entstanden oder nicht?
    Lichtenstein: Die Schwierigkeit des Ausdruckswillens, die Ausdruck-Kritik, ist ja auch schon seit zumindest den 1960er-Jahren bei Michel Foucault und Roland Barthes über die Frage, was ist eigentlich ein Autor im 20. Jahrhundert, natürlich diskutiert worden. Und es ist auch nicht mehr ganz so einfach, weil genau diese Frage, was ist ein Autor, was ist der Ausdruck und was ist sozusagen das Ur-Eigene, was sich in einem Text widerspiegelt, ist ja schon sehr - zumindest von der Literaturtheorie und von der Philosophie - ja schon sehr stark hinterfragt worden.
    Und genau diese Aussage, dass der Schöpfer eines Textes oder die Schöpferin eines Textes die völlige Kontrolle, das Wissen und auch den Ausdruck in den Text bringen könnte, ist sehr fraglich geworden. Das muss man einfach feststellen. Wenn man das nicht feststellen kann und eben die Inspiration oder die Idee der Inspiration für klar hält, dann wird es schwierig zu sagen, was der Unterschied ist. Wenn man aber eben genau diese Frage aufwirft - was ist der Leser, was ist der Autor, wie entsteht ein Text? - und ein Text entsteht - und das hat Julia Kristeva auch schon in den 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts gesagt - er entsteht immer auch aus anderen Texten. Und es ist niemals einfach ein ur-eigenes Wort. Das hat ein bisschen mit dem Material der Sprachkunst zu tun, dass die nun einmal Sprache ist. Und dass wir Sprache alltäglich verwenden. Und dass wir nicht in Neologismen, wenn wir jetzt dauernd neue Worte erfinden würden… aber wir benutzen ja immer das selbe Material und variieren es neu.
    "Natürlich weiß er, dass er damit Leute erst einmal aufbringt"
    Fischer: Sie haben das Buch übersetzt, Swantje Lichtenstein. Haben Sie nicht manchmal auch das Gefühl gehabt, da ist schon einige Ironie auch im Spiel bei Kenneth Goldsmith?
    Lichtenstein: Ja! Er ist ein ganz großer Trickster. Also er ist auf jeden Fall jemand, der natürlich auch... also ich glaube, deswegen ist das ja auch lustig letztendlich, wenn man sich auch echauffiert und wenn das natürlich… auch die Dinge, die er behauptet, da weiß er ganz genau, was er tut. Und das ist wahrscheinlich auch einfach eine literarische Tradition. Die Literatur, die Ausgangsbasis der Rhetorik - das Auswendiglernen bestimmter Stilfiguren, von Symbolen und Emblemata - ist ein wichtiger Bestandteil. Und er kennt sich aus! Er ist belesen, er weiß, was er tut. Und das ist sehr viel Rhetorik und es ist sehr viel Ironie. Und natürlich weiß er, dass er damit Leute erst einmal aufbringt.
    Fischer: Da würde ich gerne mit Loriot enden. Dann hatte der wahrscheinlich auch recht, als der nämlich als Literaturkritiker ein Meisterwerk auslobte, das so anfing: "Germersheim ab: 12:16 Uhr, Lustadt an: 12:46 Uhr. Ein Meisterwerk!", sagte er in den 70ern. Hat er auch recht, ne? Vielleicht.
    Cover des Buches "Uncreative Writing" von Kenneth Goldsmith
    Cover des Buches "Uncreative Writing" von Kenneth Goldsmith (Verlag Matthes & Seitz / picture alliance / dpa)
    Lichtenstein:: Ja, ich möchte gar nicht sagen, ob er recht hat. Aber es ist auf jeden Fall auch eine Art, mit Sprache und Literatur umzugehen.
    Fischer: Okay. Also man kann auf jeden Fall sehr kontrovers über dieses Thema sprechen - über Kenneth Goldsmiths Buch und Theorie oder These des "Uncreative Writing", vor Kurzem bei Matthes und Seitz auf Deutsch erschienen. Swantje Lichtenstein hat es ins Deutsche übersetzt. Vielen Dank.
    Lichtenstein: Ganz herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Kenneth Goldsmith: "Uncreative Writing. Sprachmanagement im digitalen Zeitalter."
    Übersetzung: Hannes Bajohr, Swantje Lichtenstein. Matthes & Seitz Verlag, Berlin 2017. 351 Seiten, 30 Euro.