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"Deutschland hat eine relativ wichtige Vorbildfunktion"

Die "Sustainable Development Goals", die ab 2015 weltweit umgesetzt werden sollen, wollen Wohlstand mit schonendem Ressourcenverbrauch erreichen, sagt Dirk Messner, Direktor des Instituts für Entwicklungspolitik. Viele Entwicklungsländer befürchten aber, dass sich die Ziele auf ihre Wirtschaftsentwicklung auswirken könnten, ergänzt Messner.

Dirk Messner im Gespräch mit Jule Reimer | 21.03.2013
    Jule Reimer: Mag die Bundesregierung derzeit nach innen nicht die glücklichste Vorstellung in Sachen Energiewende abgeben, die Welt blickt dennoch mit Hochspannung nach Deutschland, ob denn eine Abkehr von Atomkraft und Kohle und Öl mittelfristig in einem der reichsten Industriestaaten machbar wäre. Die deutsche Energiewende könnte nämlich Pfade aufweisen, um die sogenannten Sustainable Development Goals umzusetzen. Übersetzt heißt das nachhaltige Entwicklungsziele, und ihre ab 2015 geplante Einführung gilt neben der Aufwertung des UN-Umweltprogramms UNEP als eines der wichtigsten Ergebnisse der großen UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung Rio plus 20 vergangenen Juni in Brasilien. - Ich bin jetzt mit Dirk Messner verbunden, Direktor des Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn, eine Denkfabrik. Wir hatten ja bereits die sogenannten Millennium Development Goals, Herr Messner, zur Armutsbekämpfung in den Entwicklungsländern, die bis 2015 umgesetzt werden sollten. Erklären Sie uns doch bitte mal ganz kurz den Unterschied zwischen diesen MDGs, also Millenniums-Entwicklungszielen, und den SDGs, den Sustainable Development Goals, den Nachhaltigkeitszielen?

    Dirk Messner: Ja. Bei den MDGs, da geht es um die Armutsbekämpfung in den ärmsten Ländern dieser Welt, um die eine Milliarde Menschen, die unter dem Existenzminimum leben, und darauf waren die alten globalen Entwicklungsziele ausgerichtet, die bis 2015 gelten. Bei den Nachhaltigkeitszielen, den sogenannten Sustainable Development Goals, geht es darum, dass alle Länder Wohlfahrtsmuster entwickeln, Produktionsmuster entwickeln, Konsummuster entwickeln, die sich abkoppeln lassen vom Ressourcenverbrauch und vom Energieverbrauch, sodass wir innerhalb der Grenzen des Erdsystems zukünftig neun Milliarden Menschen auf einem angemessenen Wohlfahrtsniveau weiterentwickeln können.

    Reimer: Es gibt aber weltweit viel Skepsis gegenüber diesen Nachhaltigkeitszielen, die eben für Entwicklungsländer und Industriestaaten gelten. Warum?

    Messner: Viele Entwicklungsländer, aber auch Industrieländer fürchten, wenn man Umweltverträglichkeit in die wirtschaftliche Entwicklung hineinschreibt und die Grenzen der Umwelt akzeptiert, dass das Wachstum bremsen könnte, also Armutsbekämpfung reduzieren könnte, dass die Zahl der Armen dann langsamer reduziert werden könnte und dass in den Industrieländern Wachstum schwieriger zu organisieren wäre und teurer würde. Deswegen gibt es Skepsis gegenüber den Nachhaltigkeitszielen.

    Reimer: Sie beraten ja auch die chinesische Regierung. Wie steht die denn zu diesen Zielen?

    Messner: In China hat sich die Diskussion in den letzten drei, vier Jahren ziemlich radikal verändert, weil man in China deutlich sieht, wenn man jetzt nicht die Umweltproblematik mit einbezieht in die Entwicklungsplanung und wenn man die Nachhaltigkeitsziele nicht wirklich ernst nimmt, dann wird in Wirklichkeit die gesamte menschliche Entwicklung untergraben.

    In China haben wir es mit umfassenden Wasserproblemen zu tun, das Land degradiert, die Flüsse sind verschmutzt, die Treibhausgasemissionen steigen enorm. China ist ein Land, das sehr anfällig ist für Umweltstörungen, und deswegen geht dort die Diskussion stark in die Richtung, wie man grüne Entwicklung mit Wirtschaftswachstum verbinden kann. Im chinesischen Kontext nennt man das ökologische Zivilisation, wie könnte die aussehen.

    Reimer: Gilt das auch für andere Schwellenländer, denn die haben ja auch, genauso wie die Industriestaaten, eine Vorbildfunktion?

    Messner: Ja, das gilt auch für Mexiko und Brasilien. Auch dort sind die Diskussionen mittlerweile vorangekommen. Eigentlich haben wir in allen Ländern jetzt intensive Debatten darüber, wie man Armutsbekämpfung, wirtschaftliche Entwicklung und Nachhaltigkeit miteinander verbinden kann, denn die Naturwissenschaftler, die zeigen uns ja ganz deutlich und das kommt auch bei den politischen Entscheidungsträgern und Wirtschaftsführern langsam an, dass wir mit den sieben Milliarden Menschen, die wir im Augenblick sind, neun Milliarden Menschen, die wir in 2050 sind, einen Wirtschaftsstil entwickeln müssen in den nächsten zwei, drei Dekaden, der sich abkoppelt vom Ressourcen- und Umweltverbrauch. Wenn uns das nicht gelingt, dann destabilisieren wir das Erdsystem und wir destabilisieren viele Ökosysteme, die Meere, die Wälder, landwirtschaftliche Flächen, und das sind die Grundlagen menschlicher Zivilisation.

    Reimer: Gleichzeitig hören wir aber immer aus diesen Ländern, da werden Atomkraftwerke gebaut, da werden gerade in Indien und China viele Kohlekraftwerke gebaut. Wie ist da der Blick auf Deutschland, skeptisch?

    Messner: Deutschland spielt hier eine ganz wichtige Rolle, weil in Deutschland haben wir, übrigens ähnlich wie noch eine ganze Reihe anderer Länder, ein sehr ambitioniertes Programm ja entwickelt, den Energiesektor vollständig auf erneuerbare Energien umzustellen. Ähnliche Programme gibt es in Dänemark, in Marokko, in Tunesien. In China gibt es Teilbereiche, wo solche erneuerbaren Energiesysteme aufgebaut werden sollen. Viele Länder schauen auf Deutschland, um zu gucken, ob das geht. Und wenn wir in Deutschland zeigen könnten, dass das technisch machbar ist und finanzierbar ist, dann hätte das einen großen Demonstrationseffekt und man kann sicher sein, dass sehr viele Länder sich dann in diese Richtung entwickeln würden. Deutschland hat da also eine relativ wichtige Vorbildfunktion.

    Reimer: Es gab in den letzten beiden Tagen hoch besetzte Panels in Berlin - unter anderem war Ex-Bundespräsident Horst Köhler dabei - als auch in New York zu der Frage, wie man diese Nachhaltigkeitsziele jetzt auch wirklich in die Praxis einfließen lassen kann. Wo liegen da die Probleme?

    Messner: Ja wir hatten in Berlin jetzt eine Diskussion mit Altbundespräsident Köhler und mit Jeffrey Sachs, einem der einflussreichsten Entwicklungsökonomen weltweit, und wir arbeiten hart daran, wie wir diese Armutsbekämpfungsziele und die Nachhaltigkeitsziele integrieren können. Das ist eine komplexe Materie, weil es geht auf der einen Seite um wirtschaftliche Entwicklungsfragen, um Bildung, um Gesundheit, um wirtschaftliche makroökonomische Politiken, es geht aber auch um die Frage, wie man die großen globalen Gemeinschaftsgüter stabilisieren kann, also das Klima, die Meere, landwirtschaftliche Flächen. Und wir müssen auf der einen Seite ein anspruchsvolles Programm entwickeln, das weltweit Sinn macht, und auf der anderen Seite dann Prioritäten setzen und die fünf, sechs wichtigsten Felder herausarbeiten, in denen internationale Kooperation uns dann voranbringen sollte.

    Reimer: Nachhaltige Entwicklungsziele für alle Staaten dieser Welt sollen ab 2015 umgesetzt werden. Danke für das Gespräch an Dirk Messner, den Direktor des Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn.

    Messner: Bitte sehr.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.