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Deutschland im Geheimen

Seit bekannt ist, dass sich 1923 der spätere Widerstandskämpfer Claus Graf Schenck von Stauffenberg als Bewunderer und Gefolgsmann des Dichters Stefan George bekannte, erhält der George-Kreis neue Aufmerksamkeit. Der Autor scharte in den Jahren 1910 bis 1930 eine verschworene Gemeinde um sich, war antimodern und elitär. Eine Ausstellung im Marbacher Literaturmuseum der Moderne zeigt Skulpturen aus dem George-Kreis.

Von Christian Gampert | 12.03.2008
    Es ist ein surrealer Anblick, der den Besucher des Literaturmuseums erwartet: in einem abgedunkelten Raum stehen auf einem etwa 30 Quadratmeter großen Tisch über 190 Köpfe. Gipsköpfe, Holzköpfe, Köpfe aus Ton und Stein, bei einigen schaut noch die Verdrahtung aus dem Hals, einige sind von Bränden oder Vandalismus beschädigt, manche haben die Kuratoren auch liebevoll schlafen gelegt. In der Masse aber machen sie den Eindruck einer Armee, eine Art Soldatenfriedhof, Kämpfer für eine bessere Welt, für einen Dichterstaat. Und in der Masse haben sie auch etwas Erhaben-Lächerliches - denn die meisten dieser Portraitbüsten zeigen den Meister selber, Stefan George. "Filtzlibutzli" hieß eines seiner hölzernen Ebenbilder, gefertigt von Ludwig Thormaehlen, und allein dieser Kosename zeigt, dass hier auf einem fragwürdigen Kunstniveau Selbststilisierung betrieben wurde. Dieses eher amateurhafte künstlerische Level, das sich - jenseits der Form-Anstrengungen der Moderne - am Klassizismus orientierte, tritt in der Vervielfältigung der Hauptfigur schonungslos zutage; die Bildnisse, die die George-Jünger zeigen, sind nicht viel besser.

    Trotzdem wird hier nicht ein skurriler Künstler-Kreis zum Abschuss freigegeben; er wird vielmehr in seiner Ambivalenz gezeigt. Denn jenseits aller Sektenbildung und homoerotisch geprägter Hierarchie ist der George-Kreis ja von einem Anspruch beseelt: den neuen, geistigen Menschen will er finden; nicht nur schöne, sondern auch sehr gebildete junge Männer haben ihm angehört, und die seltsam anmutende Verirrung, dass da ein ambitionierter Künstler-Zirkel mit hohem intellektuellem Output (die schrieben ja Bücher über Cäsar, Dante, Goethe, Napoleon) sich auf künstlerisch armseligem Niveau abbilden ließ, ist erklärungsbedürftig. Ausstellungskurator Ulrich Raulff hat da eine Idee:

    - "Unsere These ist ja hier, dass George sich gelegentlich als Plastiker begriffen hat und gesagt hat, wenn er nicht Dichter geworden wäre, hätte er Bildhauer oder Architekt werden können. Er hatte ein vollkommen plastisches Verhältnis zu seinem Material, zur Sprache."

    Dieses Interesse an der Plastik beginnt um 1910 herum, als George sich von den anderen Künsten abwendet:

    - "Und meine Vermutung ist, das steht in engstem Zusammenhang mit der bei ihm, aber auch dem ganzen Kreis stark einsetzenden Platon-Lektüre."

    Der platonische, der geistige griechische Staat des Stefan George manifestierte sich unter anderem in diesen Plastiken, die - ganz klassisch - schöne Jünglinge idealisierten und den "wahren Moment". Die Schöpfer dieser Werke waren Autodidakten: Ludwig Thormaehlen, Alexander Zschokke, Frank Mehnert, der sich später den Nazis andiente. Und die Portraitbüsten sollten keineswegs im Museum landen; sie dienten vielmehr der Selbstvergewisserung des George-Kreises.

    - O-Ton Raulff: "Ich würde sagen: der Kunstwert ist nicht der ausschlaggebende dieser Produkte. Die werden stärker als Inkarnation eines Ideals oder bestimmter Wertevorstellungen gesehen denn als autonome Kunstwerke der Moderne."

    Wer die Ehre hatte, zur Plastik zu gerinnen, der war aufgenommen in den Kreis: das "Plasten" war ein Initiationsritual, die Skulptur selber war Vorbild und Ansporn, auch für den Dargestellten selber. Kein anderer Dichterkreis hat je solche Selbstbeweihräucherung betrieben. Von Selbstzucht und Stilisierung künden auch die zahlreichen Fotos, die unter anderem den Georgianer Claus von Stauffenberg als begnadeten Poseur zeigen. Stauffenberg stand dem nazoiden Klaus Mehnert noch 1939 Modell für ein überlebensgroßes Pionier-Standbild.

    Von heute aus muten all diese Plastiken seltsam geschmacklos an. Ulrich Raulff aber will zeigen, dass auch große Geister bisweilen zu fragwürdigen Hilfsmitteln greifen - Stefan Georges deutsch-hellenischer Dichterstaat jedenfalls überlebte nur als Versteinerung.