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"Deutschland ist auf dem G-20 nicht der richtige Prügelknabe"

Als "sehr beängstigend" bezeichnet der Grünen-Europaparlamentarier Sven Giegold die Möglichkeit eines Währungskrieges zwischen den USA und China. Der Versuch einzelner Länder, sich durch Abwertungen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, gefährde die Währungsstabilität.

Sven Giegold im Gespräch mit Gerd Breker | 12.11.2010
    Christoph Heinemann: G-20-Gipfel in Seoul. Die Damen und Herren Teilnehmer haben einiges zu besprechen. Es geht um die Handelsbilanzberechnungen, es geht um die Frage, ob Währungen weiterhin als Waffe für die Wirtschaftsförderung eingesetzt werden, Auflagen für Banken, damit sie nicht wieder in schwere See geraten, abgekürzt Basel III.

    Wir machen gleich weiter mit einem Interview mit Sven Giegold, dem Grünen-Europaparlamentarier. Mit ihm hat mein Kollege Gerd Breker gesprochen und ihn gefragt, ob die Europäer und die Deutschen auch weiterhin, nein, genau gesagt die Exportweltmeister weiterhin profitieren werden von den Konjunkturprogrammen anderer Staaten.

    Sven Giegold: Das trifft es nicht so ganz. Innerhalb der Euro-Zone sind die deutschen Exportüberschüsse ein großes Problem, weil unsere Binnennachfrage zu niedrig ist. Weltweit gesehen: die Euro-Zone hat keinen Überschuss, der relevant ist. Dort haben wir ein großes Problem zwischen China und den USA, und das liegt an mangelnden Reformen und mangelndem Durchgreifen in den USA und gleichzeitig einer Unterbewertung der chinesischen Währung. Deutschland ist auf dem G-20 nicht der richtige Prügelknabe.

    Gerd Breker: Eine Eindämmung des Exports oder Begrenzung des Exports, wie es Obama vorschwebte, geht durch die Regierungen ja auch gar nicht, denn dann wären wir ja auch schnell bei einer Planwirtschaft.

    Giegold: Darum geht es auch überhaupt niemandem. Darum geht es auch Obama nicht. Der will auch nicht den Export begrenzen, sondern er möchte, dass ausreichend Binnennachfrage geschaffen wird. Und wenn wir innerhalb der Euro-Zone schauen, das ist auch völlig berechtigt. Wir konsumieren durch einen großen Niedriglohnsektor deutlich zu wenig und wir investieren zu wenig in Bildung und nachhaltige Entwicklung. Dass Deutschland das korrigiert, ist richtig, aber das hat halt wie gesagt mit Obama und der G-20 nichts zu tun, sondern das ist unser Problem innerhalb der Euro-Zone. Auf internationaler Ebene haben wir Wechselkurse, um solche Probleme zu korrigieren.

    Breker: Herr Giegold, ein weiteres Thema in Seoul, das sind die künstlichen Wechselkurse. Sie haben es schon angedeutet: Die USA kritisieren China sicherlich zurecht, aber sie selbst werfen auch Milliarden über Milliarden Dollar auf den Markt. Ist ein Währungskrieg unvermeidbar?

    Giegold: Das alles ist extrem beängstigend, denn eines kann man lernen aus der Wirtschaftsgeschichte: Wenn die verschiedenen Länder versuchen, sich auf dem Währungsmarkt Wettbewerbsvorteile zu verschaffen, dann führt das letztlich in eine Abwärtsspirale. Und China muss seine Wechselkurse weiter korrigieren, die haben damit ja auch angefangen, sie haben ja auch angekündigt, das zu tun. Und Amerika muss umgekehrt ganz klar anfangen, nicht mehr von Schulden zu leben, die von anderen aufgenommen werden, sondern im Grunde seine Balance wiederfinden, und das Problem ist: Innenpolitisch gibt es offensichtlich keine Bereitschaft, auch die entsprechenden Steuern aufzubringen, die nötig sind, um die Budgets auszugleichen und unsinnige Ausgaben wie zum Beispiel diesen unglaublichen Militärhaushalt der USA zu korrigieren.

    Breker: Welche Folgen könnte das für Euro-Land haben?

    Giegold: Die Folge könnte im schlimmsten Falle sein, dass, wenn es eine Abwärtsspirale im Bereich der Währungsstabilität gibt, wir letztlich entweder gezwungen sind, das mitzumachen – damit würden wir unsere eigene Währung eben auch beschädigen -, oder alternativ entsprechend Nachteile beim Export zu befürchten hätten, beides sehr schlechte Varianten. Deshalb bin ich sehr enttäuscht über das Auftreten der Bundesregierung, denn ich hätte mir gewünscht, dass man dort mit einem starken eigenen Vorschlag auftritt, statt im wesentlichen darauf zu gucken, sich gegen falsche Vorwürfe anderer zu verteidigen. Deutschland hat leider nicht die Führung gezeigt, die wir dort eigentlich erwartet hätten, was natürlich eine europäische Führung hätte sein müssen.

    Breker: Und wie hätte so ein Vorschlag aussehen können?

    Giegold: Der hätte zum Beispiel so aussehen können, dass man, ähnlich wie das damals nach der großen Krise gemacht wurde, einen eigenen Vorschlag für ein neues internationales Währungsregime auf den Tisch legt und sagt, dass man einen solchen Vorschlag, wo sich alle Länder an Regeln binden, in die internationale Debatte wirft, denn letztlich wissen auch die Chinesen, wissen auch die Amerikaner, dass sie von stabilen Wechselkursen langfristig profitieren. Dann wäre das zumindest mal in der Welt gewesen als Vorschlag. Vielleicht hätte man nicht sofort eine Mehrheit dafür oder einen Konsens gefunden, aber das wäre eine Form von globalem Leadership gewesen, das wir dringend brauchen.

    Breker: Alle betreiben derzeit eine Politik der großen Geldmengen. Wie groß ist dabei aus Ihrer Sicht die Gefahr von neuen Spekulationsblasen?

    Giegold: Diese Gefahr ist riesig. Wenn Sie sich ansehen, wie niedrig die Zinsniveaus sind, dann wird sich dieses Geld auch wieder neue Wege suchen. Am allerdeutlichsten ist das zu befürchten im Bereich der Rohstoffmärkte. Auch dort haben wir jetzt schon mit großen Preisanstiegen zu tun. Das hat mit dem hohen Konsum in dem Bereich zu tun, den wir dringend reduzieren müssen, gleichzeitig aber eben auch mit der Spekulation. Solange wir diesen exzessiven Anstieg kurzfristiger Geldquellen nicht versiegen lassen, bekommen wir ein Problem. Übrigens ist das auch eine Folge der großen sozialen Ungleichheit in der Verteilung der Einkommen und Vermögen.

    Breker: Die Regulierung der Finanzmärkte scheint offenbar in den Hintergrund gedrängt. Ist das nicht mehr nötig, reicht so ein Beschluss wie Basel III?

    Giegold: Zunächst mal muss man sagen, die Amerikaner haben ja eine ganz ordentliche Reform unter Obama vorgelegt, und wir sind jetzt in Europa inzwischen dabei, da hinterherzukommen. Das dauert länger, weil wir keinen europäischen gemeinsamen Staat haben, aber ich hoffe, dass wir mindestens das amerikanische Niveau erreichen. Dazu muss man sagen: leider hat es im Europäischen Parlament dazu eine Abstimmung gegeben, wo wir daran gescheitert sind, den Bereich der Hedgefonds und Heuschrecken, Private Equity Fonds ordentlich zu regulieren. Das lag vor allem am Einfluss einiger Mitgliedsländer, zuvorderst Großbritannien, Frankreich, aber teilweise auch Deutschland. Wir brauchen dringend mehr öffentlichen Druck, damit diese Finanzmarktregulierung jetzt wirklich kommt.

    Heinemann: Sven Giegold, Europaparlamentarier von Bündnis 90/Die Grünen. Die Fragen stellte mein Kollege Gerd Breker.