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"Deutschland ist überraschend schwach vertreten"

Die Internationale Atomenergie-Behörde berät in Wien über die Verbesserung der Sicherheit von Kernreaktoren und will ihre eigene Rolle stärken. Deutschland wird bei dem Treffen lediglich durch eine Staatssekretärin vertreten. Gemessen daran, was man selbst als Konsequenz aus Fukushima gezogen habe und was die Bundeskanzlerin in Sachen IAEA gesagt habe, sei das recht wenig, sagt Jürgen Döschner.

Jürgen Döschner im Gespräch mit Georg Ehring | 20.06.2011
    Georg Ehring: Die Schockwellen von Fukushima reichen bekanntlich weit über Japan hinaus. Deutschland ist mit seinem Atomausstieg zwar Vorreiter, aber nicht allein. Über Konsequenzen aus der Atomkraft-Katastrophe berät in dieser Woche die Internationale Atomenergie-Agentur in Wien. Es geht vor allem um eine Verbesserung der Sicherheit von Kernreaktoren, aber auch um die Frage, ob sie überhaupt sicher zu betreiben sind. – In Wien verfolgt Jürgen Döschner die Ereignisse. Herr Döschner, wie bewerten denn die internationalen Experten das Krisenmanagement der Japaner?

    Jürgen Döschner: Es gibt bisher noch keine offizielle Stellungnahme der Internationalen Atomenergie-Behörde, die ja eine Expertenkommission nach Fukushima geschickt hat. Aber schon am Wochenende wurde bekannt, dass offenbar in einigen Punkten die Wiener Behörde die Japaner heftig kritisiert: zum einen, dass Maßnahmen, die schon 2002 vorgeschlagen worden sind, nämlich zur Sicherung von Erdbeben und Tsunami gefährdeten Kraftwerken, nicht umgesetzt worden sind, und die zweite Kritik richtet sich gegen die Weigerung oder gegen nur das zaghafte Annehmen von internationaler Hilfe. Das sei auch von der IAEA und von einzelnen Staaten immer wieder angeboten, aber nicht angenommen worden. Yukia Amano, der Generalsekretär der IAEA, hat vorhin zur Eröffnung dieser Sonderkonferenz nicht mehr direkt diese Kritik angesprochen, aber indirekt schon, indem er gefordert hat, dass eine Konsequenz aus diesem Unglück sein sollte, dass in jedem Land die Atomaufsicht nicht nur kompetent, sondern auch unabhängig sein muss-

    Ehring: Redet die Internationale Atomenergie-Agentur denn auch über ihre eigene Rolle bei dieser Katastrophe, oder ist das außen vor, dieses Thema?

    Döschner: Natürlich muss sie auch darüber reden. Zum Beispiel hat Gerald Hennenhöfer, der Leiter der Abteilung Reaktorsicherheit im deutschen Bundesumweltministerium, am Rande der Konferenz gesagt, wir haben alle versagt in Sachen Fukushima, auch die IAEA, und er verwies dabei auf die Diskussionen und die Maßnahmen, die auch im Rahmen dieser Organisation nach dem Unglück von Tschernobyl getroffen worden sind, mit dem Ziel, eine solche Katastrophe in Zukunft zu verhindern, und wie wir gesehen haben: Sie wurde nicht verhindert. Deshalb gibt es durchaus auch kritische Töne, beziehungsweise auch Töne von der Leitung der IAEA, dass man sich vielleicht auch ändern und die Rolle neu definieren müsse. Das geht nicht unbedingt so weit, dass man infrage stellt, das, was zum Beispiel in der Satzung der IAEA steht, dass man nämlich ausdrücklich 1957 zur Förderung der Kernenergie gegründet worden ist, also, wenn man es vereinfacht sagen will, so eine Art Werbeagentur für die Kernenergie ist, so weit will man nicht gehen. Den Antrag von Österreich vor ein paar Jahren zur Änderung der Satzung in diesem Punkt, der wurde damals schon abgelehnt. Ich weiß nicht, ob er auf dieser Konferenz noch mal vorgetragen wird. Aber die IEAE will ihre eigene Rolle stärken. Man will zum Beispiel internationale Kontrollen der Sicherheit bei den Kernkraftwerken, man will nicht die Kontrolle der Sicherheit den einzelnen Nationen überlassen. Amano sagte, diese nationale Kontrolle ist ein erster Schritt, aber dann muss eine unabhängige internationale Kontrolle und geleitet durch die IAEA stattfinden. Ich denke, das wird hier auf dieser Konferenz bis Freitag noch eine wichtige Rolle spielen, nämlich die Stärkung der Internationalen Atomenergie-Behörde. Man hat momentan keine andere internationale Vereinigung, die diese Aufgabe übernehmen könnte, und da muss und da will die IAEA in diese Rolle eintreten.

    Ehring: Kommen wir zu einem einzelnen Land. Deutschland hat besonders radikale Konsequenzen gezogen aus Fukushima. Wie stellt sich denn Deutschland in Wien dar?

    Döschner: Deutschland ist überraschend schwach vertreten, wenn man es von der Delegation her sieht, denn es gab in Deutschland selbst hinter verschlossenen Türen lange Streit, wer denn nun nach Wien fahren sollte, ob es Bundesumweltminister Röttgen sein sollte, oder der Wirtschaftsminister, oder gar der Außenminister, denn das sind ja alles Ministerien, die sich mit Fukushima, mit der Reaktorsicherheit gerade auf internationaler Ebene beschäftigen. Am Ende fährt keiner von den Dreien hier her, sondern es wird lediglich eine Staatssekretärin aus dem Umweltministerium, Frau Heinen-Esser, geschickt, und die kommt überhaupt erst morgen, bleibt nur einen Tag und fährt dann am Mittwoch wieder ab. Also das ist schon gemessen daran, was Deutschland selbst als Konsequenz aus Fukushima gezogen hat, und auch gemessen daran, was die Bundeskanzlerin in Sachen IAEA gesagt hat, recht wenig, denn sie hat gefordert, dass die internationalen Standards für die Sicherheit von Kernkraftwerken eingeführt werden sollen und dass die IAEA bei der Kontrolle eine größere Rolle spielen sollte. Das wäre hier eigentlich die ideale Gelegenheit gewesen, nicht nur den eigenen Kurs, sondern auch die Konsequenzen für die internationale Atomaufsicht zu ziehen, darzustellen. Diese Chance wird nun nicht wahrgenommen.

    Ehring: Internationale Atomexperten beraten über Konsequenzen aus Fukushima. Herzlichen Dank an Jürgen Döschner in Wien.