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Die riskanten Zinswetten der Stadt Pforzheim
Bewährungsstrafen für Ex-Oberbürgermeisterin und Ex-Stadtkämmerin

Zwischen 2006 und 2008 legte die Kämmerin der Stadt Pforzheim unter Billigung der damaligen Oberbürgermeisterin Millionenbeträge in riskanten Anlagen an. Ergebnis: Ein Netto-Verlust von über zehn Millionen Euro, der zu Lasten der Stadtkasse geht - und ein Strafverfahren. Am Landgericht Mannheim wurden beide nun zu Bewährungsstrafen verurteilt.

Von Thomas Wagner | 21.11.2017
    Wolfgang Kubicki, Anwalt der früheren Oberbürgermeisterin von Pforzheim, Augenstein (FDP), gibt am 21.11.2017 in Mannheim (Baden-Württemberg) im Verhandlungssaal des Landgerichts nach der Urteilsverkündung Interviews. Es geht um Millionenverluste durch hochspekulative Zinswetten der Stadt Pforzheim.
    Wolfgang Kubicki, Anwalt der früheren Oberbürgermeisterin Augenstein, gibt am 21.11.2017 im Landgericht Mannheim nach der Urteilsverkündung Interviews. (Uwe Anspach/dpa)
    Ein Jahr und acht Monate Haft, allerdings auf Bewährung - wie versteinert sitzt die ehemalige Pforzheimer Oberbürgermeisterin Christel Augenstein, elegant gekleidet mit Hosenanzug und Schal, auf der Anklagebank. Nicht minder regungslos die ehemalige Stadtkämmerin Susanne Weishaar ein paar Stühle weiter: Sie wurde zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt - wegen Untreue - ein Tatvorwurf, den Peter Lindenthal, Vorsitzender Richter an der Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichtes Mannheim, in beiden Fällen als erwiesen ansah.
    Denn es geht um kommunale Gelder der Stadt Pforzheim, die die Kämmerin mit Billigung der Oberbürgermeisterin in so genannte "Derivatgeschäfte" der Deutschen Bank und der Geschäftsbank J.P.Morgan investiert hat. Wesentlich dabei: Die Risiken dieser Derivatgeschäfte seien den beiden Angeklagten sehr wohl bekannt gewesen, so der Vorsitzende Richter - und gab in seiner dreiviertelstündigen mündlichen Urteilsbegründung dazu einige Beispiele: So habe die einstige Stadtkämmerin auf unterschiedliche Zinsentwicklungen im Euro- und im Schweizer-Franken-Raum gesetzt, mal darauf, ob Geschäftsprognosen ausländischer Unternehmen aufgehen oder auch nicht, mal auf die Entwicklung verschiedener Währungen zueinander. Wie aus der Urteilsbegründung bekannt wurde, rutschte die Stadt dabei mit dem investierten Geld ins Minus. Erst fielen 20 Millionen Euro Verluste an, später dann immer mehr. Doch statt den Gemeinderat zu informieren, habe die Stadtkämmerin im Verbund mit der Oberbürgermeisterin weitergemacht - und versucht, die Verluste buchstäblich wettzumachen durch neue Zinswetten, immer im Verbund mit den beiden Banken, die solche Anlageprodukte anboten.
    Um 58 Millionen Euro verzockt
    Dann kam, ab 2008, die Finanzkrise und die bittere Erkenntnis, dass sich die beiden wohl verzockt hatten: 58 Millionen Euro Verluste waren angefallen - ein Betrag, der in langwierigen Verhandlungen auf etwas über zehn Millionen Euro gedrückt werden konnte. Doch die blieben, so der Vorsitzende Richter, "an den Einwohnern der Goldstadt Pforzheim hängen." So manche freiwillige kommunale Aufgabe könne deshalb nicht finanziert werden. Allerdings: Der Strafverteidiger der verurteilten einstigen FDP-Oberbürgermeisterin, nämlich der stellvertretende FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Kubicki, will sich mit dieser Argumentation und dem Urteil nicht abfinden:
    "Ich halte das aus Rechtsgründen nicht bestandsfähig. Wir werden Revision einlegen."
    Dass seine Mandantin bei der Investition städtischer Gelder in hochriskante Derivatgeschäfte beteiligt gewesen sei, will Kubicki gar nicht abstreiten. Doch ob dies mit einer Strafe, zumal mit einer Freiheitsstrafe auf Bewährung, geahndet werden kann, erscheint für Kubicki höchst zweifelhaft:
    "Wenn man das Urteil und die öffentliche Begründung richtig durchdenkt, dann wird es der öffentlichen Hand grundsätzlich nicht gestattet, in Derivate zu investieren. Das würde aber erhebliche Kommunen, die das heute noch machen, und viele Länder, die das heute auch noch machen, in erhebliche Schwierigkeiten bringen. Denn dann muss ja jeder Finanzminister oder jeder Kämmerer, der solche derivate Absicherung von Zinsgeschäften macht, immer damit rechnen, dass er strafrechtlich belangt wird."
    Angebote von Risikoanlagen gezielt an Kommunen
    Immer mal wieder war im Laufe der 18 Verhandlungstage auch über die Rollen der Banken geredet worden, die sich mit Angeboten von Risikoanlagen gezielt an Kommunen gewandt hatten und damit. Allerdings, so Oberstaatsanwalt Uwe Sigrist:
    "Die Kammer hat hier ja deutlich gemacht, das sie keinerlei Anhaltspunkte für eine Täuschung durch die Banken sieht. Wir haben sehr sorgfältig bei uns im Haus den Vorwurf eines Betruges prüfen lassen. Unser Ergebnis war, dass wir keinen Ansatz für einen Betrug sehen. Das hat die Kammer heute auch in ihrer Urteilsbegründung so gesehen."
    Tatsächlich haben die Banken bei ihren Risiko-Geschäften mit der Stadt Pforzheim immer wieder auf die sogenannten "theoretischen Ausfallrisiken" hingewiesen, die erst die Stadtkämmerin, später auch die Oberbürgermeisterin schlicht ignoriert hätten, so die Urteilsbegründung.