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Deutschland muss in der NATO "sicherheitspolitisch Klarheit schaffen"

Die NATO will die Fähigkeiten ihrer Mitglieder stärker bündeln. Für Deutschland könnte das bedeuten, dass sich die Bundeswehr etwa auf Evakuierungs-Missionen spezialisiere, erklärt Michael Staack von der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr.

Michael Staack im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 23.10.2013
    Tobias Armbrüster: In der NATO rumort es in diesen Wochen. Das liegt unter anderem an einem Reformpapier, das der deutsche Verteidigungsminister Thomas de Maiziére vorgelegt hat. Dieses deutsche Konzept sieht vor, dass die einzelnen NATO-Mitgliedsstaaten ihre unterschiedlichen Fähigkeiten stärker bündeln und dass sich so einzelne Staaten zu einer Art Experten-Team zusammenschließen sollen. Hintergrund für diese Pläne ist die alte Kritik, dass eigentlich jeder in der NATO bislang für sich alleine plant, und das soll sich ändern. Aber nicht alle in der NATO sind glücklich über diese neuen Ideen aus Berlin. Darüber wollen wir sprechen mit dem Verteidigungsexperten Michael Staack, Professor für internationale Beziehungen an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Schönen guten Morgen, Herr Staack.

    Michael Staack: Guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Staack, zunächst mal zu diesem Konzept selbst. Welche besonderen Fähigkeiten könnte die Bundeswehr denn beisteuern?

    Staack: Die Bundeswehr verfügt in verschiedenen Bereichen über sehr gut spezialisierte Fähigkeiten, die der NATO und der Europäischen Union bei Einsätzen nützlich sein könnten. Konkret gedacht in diesem Zusammenhang ist eigentlich an das Evakuieren von Verwundeten, wo die Bundeswehr durch entsprechende Flugzeuge und Ausrüstung und so weiter wirklich einiges beisteuern kann.

    Armbrüster: Ich kann mir jetzt vorstellen, dass bei solchen Themen, bei medizinischer Hilfe oder auch bei Logistik, sicher sehr viele Staaten schnell mit dabei sind bei einer Spezialisierung. Aber wenn wir uns dann zum Beispiel das Kapitel Kampfeinsätze angucken, da werden doch einige Mitgliedsstaaten eher zögerlich sein, das ganze dann lieber den Amerikanern und den Briten überlassen.

    Staack: Das ist sicherlich richtig, wobei Kampfeinsätze und bestimmte Fähigkeiten sich natürlich schwer trennen lassen, denn gerade der Einsatz von medizinischen Fähigkeiten zur Evakuierung von Verwundeten ist natürlich in einem Kampfeinsatz viel wichtiger und viel angebrachter als bei einer eher ruhigen Stabilisierungsmission und insofern darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass ein solches Angebot natürlich auch politische Sprengwirkung hätte. Zurecht weisen Sie aber darauf hin, dass man im Grunde eine politische Einigung über das braucht, was man mit einer Bündelung von Fähigkeiten erreichen will. Die Bündelung von Fähigkeiten ist etwas, was durch die Haushaltszwänge jetzt in den Vordergrund gestellt wird, was auch damit zu tun hat, dass in Europa immer weniger Geld ganz grundsätzlich für die Verteidigung ausgegeben wird. Aber vorgelagert müsste eigentlich eine politische Einigung darüber sein, welche Einsätze man will und ob man dann wirklich auch bereit ist, für diese Einsätze diese Fähigkeiten zur Verfügung zu stellen.

    Armbrüster: Dann lassen Sie uns über die Diskussion rund um dieses Projekt mal kurz reden. Eigentlich macht es ja Sinn, dass man sagt, die Staaten sollen ihre Fähigkeiten, so wie Sie es sagen, stärker bündeln, sie sollen sie spezialisieren, und wir können uns sicher sehr gut vorstellen, dass einzelne NATO-Mitgliedsstaaten sich dann zusammentun und sagen, hier medizinische Hilfe, das wird in den kommenden Jahren unser Spezialthema sein, da investieren wir etwas mehr rein und lassen dafür Gelder links liegen, die wir bislang für andere Projekte ausgegeben haben, beziehungsweise sparen solche Gelder ein. Warum gibt es an so einer Idee zur Spezialisierung, warum gibt es daran Kritik in der NATO?

    Staack: Die Kritik hängt vor allem damit zusammen, dass Deutschland und eine Reihe von anderen Ländern bei vergangenen Einsätzen ja zurecht Gebrauch gemacht haben von ihrem Parlamentsvorbehalt, das heißt über jeden einzelnen Einsatz in nationalen Parlamenten insbesondere auch in Deutschland abgestimmt wird und so auch eine einmal zur Verfügung gestellte Fähigkeit und die entsprechenden Mittel, die dazugehören, im Einzelfall zurückgezogen werden können. Das hat insbesondere bei den Nationen, die eigentlich immer dabei sind, wie den Franzosen, den Briten, den Holländern, Skepsis geweckt, ob denn speziell auch die Deutschen, die diesen Vorschlag unterbreitet haben, dann wirklich zu ihrem Wort stehen würden. Es muss aber darauf hingewiesen werden, dass dieser Parlamentsvorbehalt und die Möglichkeit, Soldaten im Einzelfall dann auch zurückzuziehen, nicht nur ein deutsches Problem ist oder eine deutsche Besonderheit, sondern die Mehrheit der Staaten, insgesamt 18 Staaten, in unterschiedlicher Weise so einen Parlamentsvorbehalt haben, und hier müssten eventuell Änderungen vorgenommen werden.

    Armbrüster: Änderungen zum Beispiel, dass es in Deutschland keinen Parlamentsvorbehalt mehr gibt?

    Staack: Um Gottes willen! Das auf keinen Fall. Ich denke, der Parlamentsvorbehalt ist wirklich etwas, was unbedingt verteidigt werden muss, weil es gibt kaum eine wichtigere Entscheidung als die über Krieg und Frieden und den Einsatz von Soldaten und darüber muss das deutsche Parlament abstimmen, solange es noch kein europäisches Parlament gibt. In der NATO sehe ich überhaupt keine parlamentarische Institution, die den Bundestag dort ersetzen könnte.

    Armbrüster: Herr Staack, lassen Sie uns noch kurz sprechen über ein anderes Problem. Wird mit solchen Plänen nicht wirklich ein Einschnitt gemacht bei der Souveränität der NATO-Mitgliedsstaaten, wenn man diesen Staaten vorschreibt, ihr spezialisiert euch jetzt zum Beispiel auf dieses Thema Logistik?

    Staack: Das ist völlig richtig und genau dort liegt das Problem. Wenn man diesen Schritt gehen will, dann muss man das politisch wirklich in den Nationalstaaten ausführlich diskutieren und muss sich darüber klar sein, was das bedeutet. Es gibt nur noch wenige Bereiche, wo Staaten wirklich souverän sind, und Verteidigungspolitik gehört dazu, nachdem wir die Währung ja auch schon abgegeben haben. Ich habe den Eindruck, als ob in Deutschland der Verteidigungsminister diesen Vorschlag unterbreitet hat, aber noch nicht mal in der Bundesregierung es dazu eine einheitliche Haltung gibt, geschweige denn vom Bundestag, und das ist genau das Problem, das auch die Verbündeten sehen. Das Thema ist in Deutschland überhaupt noch nicht ausdiskutiert.

    Armbrüster: Wie sehen Sie denn die Zukunft für diese Pläne? Verschwindet das in den Schubladen?

    Staack: Es wird weiter geprüft. Es bleibt auf der Tagesordnung. Ich könnte mir vorstellen, dass es im Einzelfall auch verwirklicht wird. Bloß Deutschland muss jetzt ganz konkret auch in den Koalitionsverhandlungen dazu eine Haltung bestimmen, und die deutsche Position, die ist auch nicht unwichtig. Deutschland ist nach wie vor eines der wichtigsten Mitgliedsstaaten der NATO, hat militärisch einiges beizusteuern, und so wie Deutschland sich verhält, so wie Deutschland sich in dieser Frage verhalten wird, da werden sich dann auch viele andere Staaten anschließen. Also wie auch immer: Deutschland muss in dieser Frage sicherheitspolitisch Klarheit schaffen.

    Armbrüster: Herr Staack, zum Schluss noch eine ganz kurze Frage mit Bitte um eine kurze Antwort. Hätte die NATO denn überhaupt eine Zukunft, ohne ihre Fähigkeiten stärker zu bündeln?

    Staack: Die NATO hätte dann eine Zukunft. Sie wäre immer stärker angewiesen auf amerikanische Fähigkeiten, wie das heute schon der Fall ist, und da gibt es eigentlich nur dann zwei Alternativen: Entweder man teilt diese Fähigkeiten, oder man stärkt die Europäische Union.

    Armbrüster: Michael Staack war das, Verteidigungsexperte an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Besten Dank für das Gespräch.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.