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Deutschland und die Türkei
"Politiker sollten aufhören, diese Spielchen zu spielen"

Die schwierigen diplomatischen Beziehungen mit der Türkei sind in Deutschland Wahlkampfthema - und der deutsche Wahlkampf wird in der Türkei aufmerksam verfolgt. Hohe Regierungsbeamte sehen die Türkei als Spielball europäischer Innenpolitik, Unternehmer kritisieren, dass Politiker auf beiden Seiten mit ihrer Rhetorik von ernsthaften Problemen ablenken wollen.

Von Daniel Heinrich | 11.09.2017
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf dem G20-Gipfel in Hamburg.
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan auf dem G20-Gipfel in Hamburg. (AFP / Odd ANDERSEN)
    Es wird geschweißt. Es wird gehämmert. Es wird geschraubt in der Werkshalle von Toyota in Sakarya, rund 130 Kilometer östlich von Istanbul. Im Schichtbetrieb testen, reinigen Arbeiter die einzelnen Autoteile. Am Ende setzen sie sie zu fertigen Fahrzeugen zusammen. Fast im Minutentakt rollen frisch lackierte Autos vom Band.
    Necdet Sentürk ist der Vizepräsident von Toyota in Europa. Der sympathische, zurückhaltende Ingenieur ist stolz. Auf seine Arbeit. Auf Toyota. Und auf das Werk.
    "Wir haben sehr attraktive Produkte, die auf dem Markt sehr gut ankommen, vor allem in Deutschland und in Europa. Für uns nimmt Europa, nimmt Deutschland eine ganz zentrale Rolle ein, es ist nicht irgendeine Weltregion. Natürlich liefern wir unsere Produkte nicht nur in europäische Länder, wir liefern auch nach Russland, nach Nordafrika. Aber Europa ist und bleibt der Kern unseres Geschäfts."
    Gute Verbindungen nach Europa, nach Deutschland sind für die exportorientierte Automobilbranche in der Türkei existenziell. Der Erfolg des Industriezweigs, in dem landesweit über eine halbe Millionen Menschen arbeiten und in dem pro Jahr 24 Milliarden Euro umgesetzt werden, ist von immenser Bedeutung für die gesamte Volkswirtschaft
    Regierungsberaterin: "Wir haben kein Interesse, diese Partnerschaft aufzukündigen"
    Diese Zahlen hat auch Hatice Karahan parat. Die Ökonomieprofessorin ist in Wirtschaftsfragen die Chefberaterin des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Auch ihr liegen die Beziehungen zu Europa am Herzen, in Richtung deutsche Hauptstadt hat sie einen Wunsch:
    "Europa ist unser größter Handelspartner und wir haben keinerlei Interesse daran, diese Partnerschaft aufzukündigen. Auf der anderen Seite glaube ich, dass auch Europa kaum ein Interesse daran haben kann, die Türkei als Handelspartner zu verlieren. Gerade im Verhältnis zu Deutschland baue ich darauf, dass sich Berlin auch weiterhin rational verhält. Ich hoffe wirklich inständig, dass sich die angespannten Beziehungen nach den Wahlen in Deutschland wieder normalisieren."
    Die Beziehungen zu Deutschland. Die Wahlen. Die Spannungen. Selbst, wenn es um wirtschaftliche Themen gehen soll: Auch in der Türkei scheint es dieser Tage kaum möglich, den politischen Auseinandersetzungen auszuweichen. Zu viel Glas ist zerbrochen worden, zu tief scheinen die Narben der jüngsten diplomatischen Scharmützel zwischen Berlin und Ankara.
    Stellvertretender Ministerpräsident: "Türkei wird zum Spielball europäischer Innenpolitik"
    Ein moderner Konferenzraum im Amtssitz des Ministerpräsidenten in Ankara. Mehmet Simsek sitzt am Kopfende des Tisches. Vor ihm: Tee und Kekse. Hinter ihm: Die Türkische Flagge und ein Porträt des Staatsgründers Kemal Atatürk. Simsek ist stellvertretender Ministerpräsident, Finanzminister, Glatzkopf und Charmeur in Personalunion. Er hat kurdische Wurzeln, er hat in England studiert. Er gilt westlichen Medien gegenüber als aufgeschlossen:
    "Ich habe das Gefühl, dass die Türkei gerade in Wahlkampfzeiten zu einem Spielball europäischer Innenpolitik wird. Schauen Sie sich die TV-Debatte zwischen Angela Merkel und Martin Schulz an. Wie viel Zeit alleine in dieser Debatte darauf verwendet wurde über die Türkei zu reden. Ich werde den Eindruck nicht los: Der Umgang mit der Türkei wird zum wichtigsten Thema dieser Wahl gemacht. Das nutzt den Beziehungen zwischen den beiden Ländern kein bisschen. Es hilft überhaupt nicht."
    Einem, dem die konstanten politischen Wortgefechte gehörig auf den Geist gehen, ist Adil Konukoglu.
    Unternehmer: Politiker wollen mit ihrer Rhetorik von ernsthaften Problemen ablenken
    Konukoglu steht in einer seiner zahlreichen Werkshallen in Gaziantep, einer prosperierenden Industriestadt im Süden der Türkei unweit der syrischen Grenze. Weder die Hitze der Werkshalle, in der schwere Baumaschinen, eine Mischung aus Bagger und Traktoren zusammengeschweißt werden, in der es kracht und brummt, noch die Nähe zum Konfliktherd in Syrien stören den 57-jährigen Unternehmer. Sein Gemüt erhitzt sich erst, als die Sprache auf die Politik zu sprechen kommt:
    "Ich finde, die Politiker sollten einfach aufhören, diese Spielchen zu spielen. Sie sollten sich darauf konzentrieren, was sie für ihre Bürger tun können. Sie sollten damit aufhören, Ressentiments und Vorurteile in anderen Ländern zu schüren. Eines will ich klarstellen. Damit meine ich alle Politiker, egal aus welchem Land sie kommen. Ich mache da keinen Unterschied. Türkische Politiker, amerikanische Politiker, französische Politiker, deutsche Politiker. Sie alle sollten sich ausschließlich um das Wohlergehen ihrer Bürger kümmern."
    Adil Konukoglu ist auch Präsident der Industrie- und Handelskammer von Gaziantep. Sein Name, seine Familie sind in der gesamten Region eine Säule der Macht. Baumaschinen, Immobilien, in seinem Firmengeflecht arbeiten über 13.000 Menschen, nach Deutschland gibt es enge Beziehungen. Er kann sich die Freiheit nehmen offen auszusprechen was er denkt.
    "Ich frage mich inzwischen wirklich, ob Politiker die Rhetorik so verschärfen, um von eigentlichen, ernsthaften Problemen abzulenken, für die sie den Bürgern keine Lösung anbieten können. Wissen Sie, wir haben immer noch ein sehr gutes Verhältnis mit unseren Handelspartnern, auch in Deutschland. Mit einigen von ihnen sind die Beziehungen freundschaftlich, fast familiär. Was da auf politischer Ebene abläuft. Ich kann das überhaupt nicht nachvollziehen."
    Über 900 Kilometer von Gaziantep entfernt, im Westen des Landes, im Toyota-Werk in Sakarya, dreht sich auch das Gespräch mit Necdet Sentürk immer wieder um die politischen Debatten. Im Gegensatz zu den klaren Worten Konukoglus ist der Ingenieur allerdings viel zu vorsichtig um an der Politik direkte Kritik zu üben.
    "Sie verstehen sicherlich, dass wir die politischen Entwicklungen nicht kommentieren möchten. Die momentanen politischen Spannungen haben auf unser Geschäft keinen Einfluss. Das Geschäftsklima ist für uns gut, die Behörden unterstützen uns. Wir sind weltweit eines der leistungsstärksten Werke von Toyota. Dass das so bleibt: Nur darauf wollen wir uns auch in Zukunft konzentrieren."
    Die Reportage entstand im Rahmen einer Journalistenreise der Standortagentur ISPAT.