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Sabbatjahr für Lehrkräfte gestrichen
"Den Lehrerberuf attraktiver machen"

Er könne die Proteste gegen die Streichung des Sabbatjahres für Lehrkräfte in Bayern verstehen, sagte Marcus Eckert vom Institut Lerngesundheit im Dlf und forderte "weniger Zwang, mehr Wertschätzung". Doch um den Lehrermangel zu beheben, sei eine politische Lösung gefragt.

Marcus Eckert im Gespräch mit Regina Brinkmann | 15.01.2020
Eine leere Schultafel und eine Schultasche.
In Bayern soll es für Lehrkräfte aus dem Grund-Mittel und Förderschulbereich erst mal kein Sabbatjahr mehr geben (imago / Ute Grabowsky)
Lehrermangel - wohl kein Thema beschäftigt alle Kultusministerien Deutschlands so sehr wie die fehlenden Lehrkräfte vor allem im Grund-, Haupt- und Mittelschulbereich. Während im Gymnasialbereich die Absolventen teilweise auf Wartelisten stehen, müssen sich die Mittelschulen mit mangelndem Personal behelfen.
Beitrag: Bayerns Grundschullehrkräften wird Sabbatjahr gestrichen

Warum nicht enger zusammenrücken, hat sich jetzt der bayerische Kultusminister Michael Piazolo gedacht. Gleich nach den Weihnachtsferien sorgte er mit gleich mehreren Maßnahmen für massiven Protest:
Grund-, Mittel- und Sonderschulpädagogen müssen ab dem kommendem Schuljahr eine Stunde mehr arbeiten, sie dürfen erst mit 65 Jahren in Rente gehen, ein Jahr später als derzeit. Die Mindestarbeitszeit für Lehrer in Teilzeit wird um drei Stunden auf 23 Stunden an Förder- und 24 Stunden an Volksschulen angehoben. Und die Möglichkeit für eine Auszeit zwischendurch, das beliebte Sabbatical, fällt weg.
Eine Frau steht auf einem Felsen und schaut ins Meer
Sabbatical-Coach: "Frei von äußeren Taktgebern sein" Ein großes Motiv für eine Auszeit vom Job sei der Wunsch zu reisen, sagte Sabbatical-Coach Andrea Oder im Dlf. Man müsse sich dafür zunächst selbst die Erlaubnis geben - und sich dann um die Rahmenbedingungen kümmern.
Regina Brinkmann: In Bayern soll es für Lehrkräfte aus dem Grund-, Mittel- und Förderschulbereich erst mal kein Sabbatjahr mehr geben, haben wir eben in einem Beitrag gehört, und in diesem Beitrag hat eine Pädagogin die Befürchtung geäußert, dass durch den Wegfall dieser Auszeit der Krankenstand in den Lehrerzimmern steigen könnte. Wir haben uns gefragt, wie Lehrkräfte mit oder auch ohne Sabbatjahr im Job gesund bleiben können. Reden wir drüber mit Marcus Eckert, er ist Psychologe, ausgebildeter Lehrer und Leiter des Instituts Lerngesundheit.
Herr Eckert, inwiefern hilft ein Sabbatjahr, damit Lehrkräfte auf Dauer den Belastungen im Schulalltag standhalten können?
Eckert: Zunächst mal muss man tatsächlich sagen, dass das Sabbatjahr sicher nicht zur Erholung beiträgt, also natürlich zur Erholung in dem Punkt, in dem ich das mache, aber nicht nachhaltig, weil das wissen wir alle: Wir können sechs Wochen Ferien haben, also die Lehrer, und danach, nach zwei, drei Wochen fühlt man sich wieder wie im Hamsterrad, also dann ist der Erholungseffekt dahin. Das heißt, das, was häufig angenommen wird, dass die Erholung eine Rolle spielt, eine gesundheitliche Rolle spielt, das ist nicht der Fall. Aber es gibt andere, deutliche Vorteile von einem Sabbatjahr.
Sabbatjahr verringert das Gefühl von Belastung
Brinkmann: Welche zum Beispiel?
Eckert: Zum Beispiel ist es so, dass wir alle … Wenn wir Ressourcen verlieren, erleben wir das als Stress, das heißt, Dinge, die uns zustehen oder von denen wir glauben, dass die uns zustehen und dass wir uns die verdient haben. Wenn die reduziert werden, erleben wir das als Stress und durchaus auch als krankmachenden Stress. Wenn Wertschätzung in einem Job wegfällt, und das ist ja das, was wir im Beitrag gerade gehört haben, wird das auch als krankmachender Stress von vielen erlebt, und das lässt sich also auch durchaus physiologisch zeigen, also im Anstieg von Kortisol, dem Stresshormon und so weiter. Und wenn ich dann gleichzeitig auch noch das Gefühl habe, ich bin im Hamsterrad, ich komme da nicht raus, also ich bin sozusagen in der Falle, ich habe wenig Handlungsoptionen, und mir dann noch was weggenommen wird, dann ist das auch durchaus etwas, was gesundheitlich sich niederschlagen kann. Das wird als Belastung erlebt, nicht nur von Lehrkräften, von Menschen insgesamt. Und insofern ist das Wegnehmen eines Sabbatjahrs oder der Möglichkeit dessen natürlich erst mal, was die Gesundheit angeht, eine bedenkliche Geschichte so, da würde ich erst mal zustimmen.
Brinkmann: Aber, ich höre ein Aber heraus?
Eckert: Und natürlich ist das eine Geschichte: Lehrkräfte fehlen sehr deutlich. Und da muss man auch, wie die Kollegin auch sagte, Zusammenrücken ist kein Problem, da braucht es, glaube ich, schlaue Lösungen, schlaue Lösungen, wie man das machen kann, wie man es kurzfristig überbrücken kann, und es braucht eben aber auch langfristige Pläne.
Kurzfristig mehr arbeiten
Brinkmann: Wie könnten diese langfristigen Pläne denn aussehen, also damit es gar nicht vielleicht erst zu so einer Burn-out-Situation kommt?
Eckert: Ich glaube, wenn klargemacht wird, es gibt ja immer diesen Schweinezyklus, so nennt sich das, bei der Einstellung von Lehrern, es gibt einen Lehrermangel, irgendwann sind zu viele Lehrer da, und dann gehen Lehrer in Arbeitslosigkeit, und wenn die gut in die Schulen geholt werden, das heißt, wenn wir eine Unterrichtsversorgung irgendwann von deutlich über 100 Prozent kriegen, dann glaube ich, dass Lehrkräfte dem auch zustimmen können, dass sie kurzfristig etwas mehr tun, dass sie auch auf Vorteile kurzfristig verzichten mit der wirklich glaubhaften und vertrauenswürdigen Option, dass sie nachher deutlich entlastet werden. Das kann ich mir schon vorstellen. Und dann ist das sicher, bei vielen spielt der Gesundheitsaspekt dann nicht mehr so eine große Rolle, weil das nicht als Zwang erlebt wird und nicht als mangelnde Wertschätzung.
Brinkmann: Aber diese Lösung oder diese Option scheint ja nicht in Sicht zu sein, das haben ja auch die Gesprächspartner in diesem Beitrag so geäußert.
Eckert: Ja, genau.
Brinkmann: Dann muss ich mir ja vielleicht als Lehrkraft selber einen Plan schmieden, wie ich mit dieser Belastungssituation umgehen kann. Haben Sie denn da irgendwelche Tipps für Lehrkräfte, die trotzdem fit bleiben wollen im Job?
Eckert: Also da gibt es natürlich Möglichkeiten und das machen wir auch, wir gehen auch in Schulen, machen zum Beispiel Gesundheitsfortbildungen. Wir wissen, dass kleine Auszeiten zwischendurch, also am Tag zwischendurch, so Mini-Urlaube, ich gehe spazieren, ich tue was für mich, jetzt sorge ich für mich, für die Gesundheit von Lehrkräften, nicht nur von Lehrkräften, von allen Menschen, ziemlich maßgeblich sind und sind besser als der Drei-Wochen-Urlaub. Das wissen wir auch, das ist wissenschaftlich gut fundiert. Und dann gibt es noch verschiedene Maßnahmen, die man sonst tun kann, wie man mit dem Stress umgeht, und das ist ziemlich gut. Aber all das entbehrt keiner politischen Lösung, die muss es geben.
Lehrer sind Mangelware
Brinkmann: Und auch die zwölf Wochen Ferien, die ja auch immer gerne ketzerisch vielleicht von dem einen oder anderen ins Feld gerückt werden, wenn es darum geht, na ja, da nimmt sich der Lehrer ein Sabbatjahr, der hat ja eigentlich schon zwölf Wochen Ferien, wenn wir jetzt mal auf diese zwölf Wochen schauen: Wie könnte man die vielleicht auch sinnvoller nutzen?
Eckert: Das sind ja hochpolitisch brisante Themen. Es müssen keine zwölf Wochen Ferien im Jahr sein, um den Erholungseffekt herzustellen. Und ich glaube, wichtig bei all den Sachen ist, dass man überlegt: Wie genau nutzen wir das? Ich sehe nur das Problem, wenn wir sagen, wir machen noch mehr Unterricht, also in den zwölf Wochen, wir machen nur noch sechs Wochen Ferien, dann haben wir noch mehr Zeit, in denen wir Lehrer einsetzen müssen, die ohnehin schon Mangelware sind. Das, glaube ich, ist das Hauptproblem dabei, wenn wir darüber nachdenken.
Brinkmann: Nein, die Diskussion geht ja jetzt auch nicht darum, dass wir den Lehrern Ferien wegnehmen, sondern vielleicht auch zu sagen, okay, es gibt jetzt kein Sabbatjahr mehr, wie kann ich diese zwölf Wochen, die ich dann aber immerhin auch schon habe, auch besser und anders für mich nutzen?
Eckert: Ich glaube tatsächlich, dass der Erholungseffekt gar nicht das Problem ist, sondern das ist immer eine Frage, wie setze ich das Sabbatjahr. Wenn ich das nicht weggeben möchte als Arbeitgeber, wie kann ich damit klug umgehen, um den Lehrern nicht das Gefühl zu geben, mir wird etwas genommen? Und dann kann man ja auch sagen, Sabbatjahre können länger geplant werden. Man kann überlegen, wie kann ich den Job attraktiver machen? Ich glaube, das ist wirklich eine der zentralen Fragen, die wir beantworten müssen als Gesellschaft. Wie kriege ich Nachwuchs in diesen Job und wie kann ich diesen Job so attraktiv machen, dass auch Lehrerinnen und Lehrer ihren Kindern sagen können, das ist ein guter Job, den kann ich nur empfehlen, studiere das auch, und nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, sondern auch andere Leute ihren Kindern das empfehlen können? Ganz häufig höre ich das von Menschen, die sagen, ja, ich würde meinen Kindern nie empfehlen, Lehrer zu werden. Ich glaube, das ist eine ganz wichtige Geschichte und da braucht es einen breiten Konsens, da braucht es auch eine breite Überlegung und da müssen Lehrerinnen und Lehrer mit einbezogen werden. Wie können wir den Job attraktiver machen?
Mehr praktische Erfahrungen im Studium
Brinkmann: Wann sollten denn aus Ihrer Sicht Lehrer diese Überforderung oder diese Überlastung, die sie spüren, auch vielleicht zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, ob sie überhaupt richtig in diesem Job sind? Also ein ganz anderer Fokus, nicht so nach dem Motto, die Situation ist schlecht, das haben wir schon rausgestellt, denke ich, aber es ist ja auch nicht jede Persönlichkeit für diesen Job geeignet.
Eckert: Genau. Also das, glaube ich, macht Sinn, dass man das frühzeitig rausfindet, am besten noch, bevor ich das Studium starte, also längerfristig in Schule gehen, bevor ich ein Lehramtsstudium starte, das wäre erst mal schon mal das Beste, zum Beispiel im Sinne des Bundesfreiwilligendienstes oder so. Das heißt, ist das überhaupt was für mich oder stelle ich mir Schule anders vor, als es tatsächlich ist? Das wäre sozusagen das Allererste, was man machen könnte. Man könnte strukturell im Studium schon die Praktika ganz, ganz viel früher machen, das machen die Schweizer zum Beispiel, bevor ich starte mit dem Studium, muss ich in Schule gehen, muss länger in Schule arbeiten, oder Schule und Uni enger verknüpfen, das wären alles Möglichkeiten, dass die Lehrer sehr früh merken: Ist das mein Job oder kann ich noch umschwenken? Weil wenn ich erst das Examen oder den Masterabschluss in der Tasche habe, habe ich nicht mehr so unendlich viele Möglichkeiten. Und je früher ich das weiß, desto besser ist es.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.