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Deutschland und Rebellen in Afrika
Juristische Fragen mit politischer Dimension

Im September 2015 ging am Oberlandesgericht Stuttgart nach vier Jahren der sogenannte Ruanda-Prozess zu Ende. Dabei ging es aber nicht um den Völkermord an den Tutsi 1994, sondern die später folgenden Verbrechen einer ruandischen Rebellengruppe im Osten der Demokratischen Republik Kongo. Deutschland spielte nicht nur bei der juristischen Aufarbeitung eine Rolle.

Von Martin Zähringer | 08.08.2016
    Der mutmaßliche afrikanische Kriegsverbrecher Ignace M. im Gerichtssaal im Oberlandesgericht in Stuttgart.
    Der Hauptangeklagte im sogenannten Ruanda-Prozess muss für 13 Jahre ins Gefängnis. (pa/dpa/Weißbrod)
    Die beiden Männer, die im Oberlandesgericht Stuttgart auf der Anklagebank saßen, hatten vor ihrer Festnahme nach außen hin ein unauffälliges Leben geführt. Ignace Murwanashkaya, ein arbeitsloser Volkswirt, ging in seinem Wohnort Mannheim täglich in die katholische Messe. Straton Musoni lebte mit seiner Familie im schwäbischen Neuffen und galt dort als wohlintegriert. Murwanashkaya hatte politisches Asyl und einen deutschen Pass bekommen, Musoni eine Duldung. Die deutschen Behörden hatten in beiden Fällen entschieden, dass das Leben der Männer in ihrer Heimat Ruanda bedroht sei – wegen ethnischer Verfolgung.
    Doch der Prozess brachte etwas anderes zutage: Tatsächlich nämlich führten die beiden Angeklagten von Deutschland aus die ruandische Miliz FDLR – die sogenannten "Demokratischen Kräfte zur Befreiung Ruandas", die im Osten der Demokratischen Republik Kongo operieren. Bei den Kämpfen gegen Angehörige der Tutsi oder kongolesische und ruandische Regierungstruppen wurden laut Anklage zahlreiche Zivilisten getötet. Das vorliegende Buch ist eine ausführliche Darstellung des Gerichtsverfahrens und der gesamten Vorgeschichte.
    "Ziel dieses Buches ist, das Wirken der FDLR zu beleuchten und ihr Verhältnis zu Deutschland zu hinterfragen. Es geht nicht nur um eine juristische Dimension und die mögliche strafrechtliche Verantwortung einzelner FDLR-Führer vor deutschen Gerichten, sondern auch um eine politische Dimension und die historische Verantwortung Deutschlands."
    Murwanashkaya und Musoni waren Führungsleute der FDLR. Im Jahr 2011 wurden sie wegen Mittäterschaft bei Kriegsverbrechen angeklagt. Der Prozess endete im vergangenen Jahr mit Verurteilungen und langjährigen Haftstrafen wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung, einmal in Tateinheit mit Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen. Entgegen den Einlassungen der Verteidigung, die tödlichen Angriffe seien immer gegen Soldaten erfolgt und Zivilisten nur zufällig getroffen worden, stellte der Richter fest:
    "Unabhängig davon, was die FDLR unter Zusammenarbeit mit dem Feind verstand, waren diese Zivilisten nicht an Kampfhandlungen beteiligt. Die von der FDLR angegriffenen Orte standen unter dem Schutz des humanitären Völkerrechts."
    Um das zu ermitteln, hatte das Gericht ein extrem aufwendiges und mühsames Verfahren betrieben, dessen Möglichkeiten, aber auch Grenzen im Buch erörtert werden. Die Autoren Dominic Johnson, Simone Schlindwein und Bianca Schmolze sehen in Prozess und Urteilen einen Erfolg – zumindest nach juristischen Maßstäben. Ein Manko finden sie an anderer Stelle:
    "Nicht zufrieden dürfte allerdings mit dem Ergebnis sein, wer das Völkerrecht nicht nur als formaljuristisches Mittel zur Normierung neuer Straftatbestände begreift, sondern auch als politisches Instrument, um Straflosigkeit zu überwinden und Gerechtigkeit für Überlebende schwerster Menschheitsverbrechen zu schaffen."
    Verbindungen von Hutu-Eliten zu katholischen Kreisen am Rhein
    Völkerrecht als politisches Instrument: Genau so begreifen dies die Autoren. Wie sie im Vorwort schreiben, sehen sie in diesem Prozess einen Schritt in Richtung Solidarität zum Aufbau einer besseren politischen Zukunft in Afrika. Mit ihrem Buch wollen sie Orientierung geben – auch für künftige, möglicherweise ähnliche Gerichtsverfahren. Es ist, das sei gesagt, keine angenehme Lektüre. Die Schilderungen brutaler Übergriffe und tragischer Ereignisse sind für den Leser schwer erträglich. Anstrengend ist aber auch die Fülle an Fakten, Namen und Daten in diesem Buch, die allerdings notwendig ist, um den Prozess und die Vorgeschichte zu verstehen. Außerdem, das war den Autoren wichtig, nehmen sie die Rolle Deutschlands in den Blick:
    "Dass sich die ruandische Hutu-Miliz in Deutschland 'zu Hause' fühlte, war nicht nur Zufall, sondern hing mit historisch gewachsenen Beziehungen zusammen: Ruanda als deutsche Kolonie, später die enge Verbundenheit zwischen der BRD und der unabhängigen Republik Ruanda."
    Dazu gehören die Verbindungen von Hutu-Eliten zu katholischen Kreisen am Rhein und die Rolle der Bundeswehr bei der Ausbildung der ruandischen Armee FAR: Die FAR war 1994 am Völkermord in Ruanda beteiligt, aus ihr ging am Ende einer mehrfachen Transformation die Hutu-Rebellengruppe FDLR im Kongo hervor. Die deutsche Verantwortung, das ist ein interessantes Ergebnis dieses Buches, kann nicht national isoliert betrachtet werden. Katholische Elitepolitik in Ruanda und pseudowissenschaftliche europäische Rassentheorien hätten Argumente für den ethnischen Konflikt erst geliefert, schreiben die Autoren:
    "Die Überzeugung, Hutu und Tutsi seien unterschiedliche Völker, machte den Völkermord in Ruanda erst denkbar. Wenn Macht biologisch definiert ist, kann die Entmachtung einer Elite nur biologisch gelingen, also durch ihre physische Vernichtung. Wenn die Tutsi nicht einfach eine Minderheit sind, sondern auch noch fremde Eroberer, die Hutu hingegen nicht einfach die Mehrheit, sondern das einzig wahre Staatsvolk, dann ist Demokratie in Ruanda gleichzusetzen mit Herrschaft der Hutu."
    Ein irrwitziges politisches Abenteuer
    Wie die Hutu in Ruanda die Herrschaft erobern wollten, zeigte der Völkermord an den Tutsi im Jahr 1994. Dessen Folge war die militärische Eroberung des Landes durch die Tutsi-Armee und die Flucht hunderttausender Hutu in den Osten des Nachbarlandes Zaire, der heutigen Demokratischen Republik Kongo. Dort wollten die Hutu-Milizen angeblich den Schutz der Flüchtlinge gewährleisten. Bei der FDLR aber geht es - das zeigt dieses Buch unbestreitbar - um ein irrwitziges politisches Abenteuer: Mit systematisch desorientierten Rekruten im Dschungel des Kongo und politischen Anführern im fernen Europa, die ihre oft jugendlichen Anhänger mit einer giftigen Mixtur aus ethnischem Überlegenheitsglauben und katholischer Indoktrination manipulieren. Die Mitglieder der Rebellengruppe FDLR sehen sich selbst als Abacunguzi, also Befreier oder Erlöser Ruandas. Rassismus ist nicht allein ein Wahn der Weißen und religiöser Fundamentalismus keine exklusiv islamische Krankheit unserer Zeit, das bringt diese afrikanische Geschichte auch ans Licht.
    Dominic Johnson / Simone Schlindwein / Bianca Schmolze: "Tatort Kongo - Prozess in Deutschland. Die Verbrechen der ruandischen Miliz FDLR und der Versuch einer juristischen Aufarbeitung", CH. Links Verlag, 503 Seiten, 30 Euro