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Deutschland
Wie es um den Islam hierzulande bestellt ist

Deutschland diskutiert über Burka und Kopftuch, über Integration und Religion - doch wie es um den Islam hierzulande bestellt ist, darüber gibt es nur spärliche Informationen. Diese Lücke versuchen die Bücher der Journalistin Karen Krüger und des Rechtswissenschaftlers Hans Markus Heimann zu füllen.

Von Christiane Florin | 22.08.2016
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    Hans Markus Heimann zeigt in seinem Buch, warum das Grundgesetz dem Kirchturm nicht näher steht als dem Minarett. (picture alliance / dpa / Ronald Wittek)
    Um es gleich vorwegzusagen: Beide Bücher kommen ohne steile Thesen aus. Und das verdient Lob. Denn auf dem Themenquadrat mit den Eckpunkten Religion, Staat, Recht und Politik tummeln sich schon viele Thesenritter. Die rufen: "Mohammed ist ein Verbrecher, die Kirchen sind Räuber, die Scharia verdrängt das Grundgesetz, Religion gehört ganz abgeschafft." Für Behauptungen dieser Art gibt es einen gut sortierten Markt der Kampf-, Streit und Schrei-Schriften.
    Ein Buch wie "Deutschland als multireligiöser Staat" von Hans Markus Heimann aber gibt es noch nicht. Heimann erklärt das deutsche Religionsrecht kompakt, nüchtern, bisweilen dröge, jedenfalls provozierend unaufgeregt. Und auch die "Reise durch das islamische Deutschland" von Karen Krüger riskiert etwas Neues. Die Redakteurin der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" nimmt die Leser mit auf eine echte Erkundungstour und speist sie nicht mit einer Butterfahrt zum Salafisten-Erlebnisbauernhof ab.
    Egal ob Kirchturm oder Minarett
    Hans Markus Heimann lehrt als Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule des Bundes in Brühl, und er hat eine öffentliche Bildungslücke ausgemacht: Alle reden darüber, ob der Islam zum Grundgesetz passt, aber kaum jemand weiß, was das Grundgesetz überhaupt für Religionen zugrunde legt.
    Heimann behauptet: "Über die Funktionsweise der Religions- und Weltanschauungsfreiheit und die weiteren Regelungen des Verhältnisses von Staat und Religion herrscht verbreitet Unklarheit. Den bestehenden grundgesetzlichen Maßstab und seine historischen Voraussetzungen vor Augen zu haben ist aber für die Diskussion der aktuellen Herausforderungen notwendig." Es geht nicht nur ums Mitreden und Mitdiskutieren. Religionsrecht, so der Autor, sichere nicht weniger als den "religiösen Frieden" im Land.
    Der Titel "multireligiöser Staat" klingt nach Multikulti-Klischee. Je weiter die Lektüre fortschreitet, desto irritierender wird diese Titelgebung. Denn der Staat des Grundgesetzes ist weder mono- noch multi- noch sonst wie religiös. Er ist, wie Heimann beharrlich darlegt, religionsneutral. Religionsneutralität heißt: "Der Staat muss ohne weitere Qualifizierung nur entscheiden, ob Religion vorliegt; ob diese Religion in ihren Auffassungen auch recht hat (also "wahr" ist), interessiert ihn nicht. Er darf das Vorgefundene inhaltlich nicht bewerten, sondern soll es um seiner selbst willen schützen."
    Religionsfreiheit nach Artikel vier des Grundgesetzes gilt unabhängig davon, ob eine Glaubensgemeinschaft jahrhundertelang in Deutschland zu Hause ist und welche gesellschaftlichen Leistungen ihr zugeschrieben werden. Durch Heimanns Brille betrachtet, steht der Kirchturm dem Grundgesetz nicht näher als das Minarett. Das Eigene, das Fremde – für den Juristen sind das keine Kategorien.
    Stimme der juristischen Vernunft
    Und mehr noch: "Jede Form der Religionsausübung, so fremd sie uns vorkommen mag, hat sich nicht nach dem Grundgesetz zu richten, solange sie nicht hinter anderen Freiheitsverbürgungen zurücktreten muss. Voraussetzung ist allerdings in dem Fall, dass alle Ungleichheiten freiwillig gewählt werden – schließlich schützt die Religionsfreiheit sogar religiöse Vorstellungen, die die "freiheitlich-demokratische Grundordnung" gänzlich ablehnen. Religionen müssen demnach nicht verfassungstreu sein. Solange sie nicht dazu auffordern, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen, sind sie geschützt.
    Nach derart abstrakten Überlegungen greift Heimann in der zweiten Hälfte des Buches bekannte Streitfälle auf: das Kreuz im Klassenzimmer, den Religionsunterricht, den Schwimmunterricht, das Kopftuch muslimischer Beamtinnen, außerdem Schächten, Beschneidung, Glockengeläut, Muezzinruf, Kirchenasyl, kirchliches Arbeitsrecht, Religionsbeschimpfung.
    Mag die Öffentlichkeit noch so erregt diskutieren, Heimann bleibt gelassen. Das ist die Stärke des Buches und zugleich seine Schwäche. Eine solche Stimme der juristischen Vernunft ist nötig, wenn leichthin ein Stopp für Moscheebauten und ein Einreiseverbot für Muslime gefordert werden. Aber Juristerei ist eben nicht alles. Heimann formuliert keinen einzigen politischen oder kulturellen Gedanken. Das Grundgesetz wird mit den Herausforderungen fertig, sagt er. Und so juristisch-optimistisch kann nur sein, wer den nicht-juristischen Teil der Wirklichkeit ignoriert, die Stimmungen, die Einstellungen und die Polarisierungen.
    Reise durch das islamische Deutschland
    Auch Karen Krüger neigt nicht zur Panik, aber als Journalistin geht sie anders an ihr Thema heran als der Jurist. Krüger ist Reporterin, und damit der Wirklichkeit mehr verpflichtet als der abstrakten Grundrechtsabwägung. Auf ihrer Reise durch das islamische Deutschland sammelt sie Porträts. Krüger hat Prominente wie die Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor getroffen und die Rechtsanwältin Seyran Ates, aber auch einen Bestatter, einen Banker, einen Psychotherapeuten und andere, die bisher in keiner Talkshow gesessen haben.
    Das Eröffnungskapitel ist eines der stärksten des Buches. Es stellt – banal, aber nicht selbstverständlich – den Islam als Religion dar und nicht nur als Problem. Diese Haltung durchzieht die gesamten 350 Seiten. Zwar werden die Porträtierten zu Protagonisten für bestimmte Themen – sei es Kopftuch, Hasspredigt oder NSU, aber Karen Krüger vergisst nie, danach zu fragen, was ihnen der Islam bedeutet. Sie nimmt die Gläubigen ernst und bestaunt sie nicht wie Exoten.
    Auch für Muslime unbekannt
    Krüger hat offenbar ein gutes Gespür für Themen. Sie hat ihre Recherche im Sommer 2015 begonnen, vieles, was damals kaum diskutiert wurde, ist nun hochaktuell geworden: Erdogan, Gülen, die Diskussion um die islamischen Verbände. Manche Passage, etwa die über die Kölner Großmoschee, gerät zu nett. Als Stimme des Verbandes Ditib hat die Autorin – nicht unbedingt repräsentativ – eine Frau ausgewählt. Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, bekommt kein ausführliches Porträt.
    Doch das sind Kleinigkeiten. Insgesamt ist Karin Krüger eine versierte und unterhaltsame Reiseführerin. Das islamische Deutschland dürfte vielen Nicht-Muslimen neu sein. Wer kennt schon die Könige vom Münchner Bahnhofsviertel? Wer hat in der Thesenschlacht um die Emanzipation im Islam schon einmal die Stimme einer muslimischen Frauenärztin gehört? Wer ist bisher je islamischen Pfadfindern begegnet? Man kann sich Reaktionen vorstellen nach dem Muster: "Dieses islamische Deutschland will ich erst gar nicht kennenlernen!"
    Wer aber lieber blickt als blafft, der wird von Krügers Recherchen beeindruckt sein. Und auch Muslime dürften beim Lesen Unbekanntes entdecken. Wobei sich zwischendurch die Frage aufdrängt, wie sinnvoll die Unterscheidung in ein islamisches und nicht-islamisches Terrain überhaupt ist. Wie sagt der Psychotherapeut Ali Kemal Gün in Krügers Buch? "Für mich sind Migranten genauso verrückt wie Deutsche." Am Ende der Entdeckungstour ist klar: Den Islam gibt es nur im Plural, das eine islamische Deutschland gibt es gar nicht.
    Beide Bücher – Heimanns Staat und Krügers Reise - haben Deutschland gerade noch gefehlt.
    Karen Krüger: Eine Reise durch das islamische Deutschland
    Rowohlt, Berlin 2016
    352 Seiten, 19,95 Euro, auch als E-Book

    Hans Markus Heimann: Deutschland als multireligiöser Staat
    Fischer, Frankfurt 2016
    256 Seiten, 22,99 Euro, auch als E-Book