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Deutschlands Entscheidung ist "nicht einfach zu verstehen"

Karl-Heinz Lather, ehemaliger Stabschef im NATO Hauptquartier Europa, befürchtet, dass nach der Enthaltung Deutschlands in der UN-Resolution "so ein Geschmäckle überbleibt". Die Bundestagsentscheidung zum AWACS-Einsatz in Afghanistan könnte diesen Eindruck etwas abfedern.

Karl-Heinz Lather im Gespräch mit Martin Zagatta | 26.03.2011
    Martin Zagatta: Die internationale Militärallianz gegen Libyens Machthaber Gaddafi hat ihre Luftangriffe auch in der Nacht zum Samstag jetzt noch fortgesetzt. Heute Morgen werden schwere Explosionen aus den Vororten von Tripolis gemeldet. Und während Franzosen, Briten und Amerikaner seit einer Woche diese Luftschläge gegen das Gaddafi-Regime führen, streiten die NATO-Staaten über die Rolle des Bündnisses. Jetzt will die NATO, so der Beschluss von gestern Nacht, das Kommando bei der Überwachung des Flugverbots übernehmen. Mögliche Angriffe auf Bodentruppen bleiben aber vorerst Sache der Briten und Franzosen und der französische Präsident Sarkozy hat auch jetzt klar gestellt, eine Führungsrolle der NATO bei dem Militäreinsatz sei weiter infrage gestellt. Was das bedeutet, das wollen wir uns jetzt von Karl-Heinz Lather erläutern lassen, General a.D., also im Ruhestand. Er war bis vor einem halben Jahr als Stabschef im NATO-Hauptquartier Europa tätig. Guten Morgen, Herr Lather!

    Karl-Heinz Lather: Guten Morgen, Herr Zagatta!

    Zagatta: Herr Lather, wie schätzen Sie das ein? Kommt die NATO nicht so richtig in die Gänge, oder wird sie von Briten und Franzosen einfach überrumpelt?

    Lather: Also wenn man es vergleicht mit Entscheidungen über frühere Einsätze, die die NATO getroffen hat, war es dennoch ein relativ schneller Prozess. Wir vergessen im Augenblick in der Diskussion den Vorlauf, in dem die Vereinten Nationen ja lange mit sich gerungen haben, zu einem UN-Sicherheitsratsbeschluss zu kommen. Insgesamt reden wir über eine Woche etwa, die die NATO gebraucht hat. Das ist relativ schnell. Über die Qualität des gefundenen Kompromisses kann man natürlich diskutieren, muss man diskutieren.

    Zagatta: Sie waren für NATO-Operationen zuständig als Stabschef. Was sagen Sie jetzt, wenn Sie da das jetzt organisieren müssten, also dass die NATO da das Flugverbot übernehmen soll und mögliche Angriffe aber dennoch Sachen der Briten und er Franzosen bleiben? Lässt sich das praktisch organisieren oder ist das höchst umständlich?

    Lather: Also faktisch haben wir von außen betrachtet so etwas wie ein doppeltes Mandat oder, wenn man es positiver ausdrücken will, eine Aufgabenteilung. Die NATO selber, die NATO-Kommandokette, die ja von SHAPE, da wo ich war, das ist das Hauptquartier für Operationen, über Neapel, dort ist ein Regionalkommando nach Izimr gehend in der Türkei, dort ist das zuständige Luftwaffenkommando, was jetzt die No-fly-Zone-Operation führt, die sind jetzt verantwortlich, so, wie das Mandat gegeben ist, so, wie der Konsens zu erreichen war zu 28 - so viele Bündnispartner sind es ja - beauftragt, dieses umzusetzen. Es hat begonnen die Übernahme der Verantwortung von der Koalition der Willigen, wie man sagt, der Coalition oft he willing, das waren im Wesentlichen Amerikaner, Briten und Franzosen, und das Mandat der NATO ist begrenzter als das, was die drei geflogen haben. Der Knackpunkt ist, dass die NATO im Augenblick nicht autorisiert ist, sich selbst nicht autorisiert hat, so den Beschluss ausgelegt hat, dass man Bodentruppen nicht aktiv angreift, was ja insbesondere die Franzosen aber auch andere in den letzten Tagen gemacht haben.

    Zagatta: Sie sagen, wenn man das positiv formulieren will, dann kann man das so sehen. Wenn man es negativ formulieren will oder kritisch, dann könnte man ja sagen, so wie das jetzt eingeteilt ist, da schaut die NATO ein bisschen zu, und den Krieg, den richtigen Krieg führen Franzosen, Briten und Amerikaner.

    Lather: Also es bleiben faktisch zwei Elemente der Gesamtoperation in unterschiedlicher Zuständigkeit. Das ist nichts Ungewöhnliches, dass das geschieht, wenn sie ans Horn von Afrika gucken und schauen die Bekämpfung der Piraterie dort an, dann haben auch einzelne Nationen nationale Vorgaben, wo sie bestimmte Dinge nicht tun können, und andere tun es. Also nicht ungewöhnlich im Grundsatz, in der historischen Erfahrung auch, aber schwierig zu verstehen, weil ja immer die Koordination stattfinden muss. Es gibt nur den einen Luftraum, und der eine Luftraum wird von allen genutzt.

    Zagatta: Herr Lather, als Stabschef waren Sie für Operationen der NATO zuständig, hätten da jetzt wahrscheinlich auch ganz schön zu tun, wenn Sie noch im Amt wären. Ihr Nachfolger ist auch ein Deutscher. Ist er noch im Amt, oder muss der, auch weil die Deutschen sich ja da nicht beteiligen, seine Koffer packen?

    Lather: Nein, nein, der ist natürlich dort, wir haben ja die grundsätzliche Regelung, dass die Soldaten, die in Hauptquartieren des Bündnisses tätig sind, auch dann, wenn wir uns national jetzt - also wir Deutschen jetzt, das gilt für andere Nationen ähnlich -, wenn wir uns nicht mit Beiträgen an Operationen beteiligen, wie das jetzt in dieser Geschichte der Fall ist, dann bleiben wir trotzdem in unseren Aufgaben und machen das. Mein Kernbeispiel in meiner Zeit ist immer gewesen der Irak. Die NATO hat eine Mission im Irak, ich habe natürlich alle Planungen gemacht, ich habe die Operationsbefehle im Auftrag des SACEUR unterzeichnet und weiterentwickelt, bin aber nie im Irak gewesen, weil ich das als Deutscher nicht konnte, und wir haben da die Truppen gehabt, die Soldaten gehabt - kleine, nicht besonders wichtige Operation, aber gleiches Prinzip. Also er ist da und hat sicherlich im Augenblick eine Menge zu tun.

    Zagatta: Und damit ist Deutschland ein bisschen auch beteiligt?

    Lather: Ja, nicht nur ein bisschen. Wir haben ja in der Spitze des Hauptquartiers drei Viersterne-Generäle, das ist der SACEUR, ein Amerikaner, sein Stellvertreter, ein Brite, der sich im Wesentlichen um die Force Generation, also ums Bereitstellen der Truppen kümmert und von Deutschland natürlich nichts bekommt im Augenblick, weil der Beschluss so ist. Das heißt, er wird die Flugzeuge, die Mittel, die Schiffe für die Embargo-Operation von anderen Nationen bekommen, das kennen wir ja auch inzwischen, was da in etwa beieinander kommt, und der Chef des Stabes, das ist der dritte Viersterne-General - die drei zusammen verantworten das, was die NATO auf der militärischen Seite dort im Bereich der Allied Command Operations tut.

    Zagatta: Wie viele deutsche Soldaten sind dann insgesamt auf diese Art und Weise zumindest indirekt am Einsatz gegen Gaddafi mit dabei in den NATO-Verbänden, was schätzen Sie da ganz grob?

    Lather: Also in den NATO-Verbänden haben Sie niemanden im Augenblick, weil wir ja alle zurückgezogen haben. In den Hauptquartieren, sowohl in Izmir, gibt es eine Hand voll Deutsche, in Neapel in dem Hauptquartier gibt es Deutsche, auch in der Generalsebene, die dort die Operationen jetzt als laufende Operation führen, und im Hauptquartier, in SHAPE, natürlich auch. Alles in allem - man kann das nicht ganz genau sagen, weil es ja 24 Stunden, sieben Tage die Woche geht -, alles in allem sind die Deutschen mit weit über 1000 Soldaten in der integrierten Struktur der NATO vertreten.

    Zagatta: Und wenn Deutschland sich da jetzt aus den Aktionen, aus diesem Einsatz zurückgezogen hat - wie sehen Sie das? Sie erleben das ja in der Praxis, in der Zusammenarbeit, oder haben das in der Praxis erlebt, in der Zusammenarbeit mit ihren Kollegen aus Frankreich, aus den USA: Beschädigt so ein Vorgehen jetzt das Ansehen der Deutschen im Bündnis, oder ist sowas schnell wieder vergessen?

    Lather: Das ist meine größte Sorge, dass da ein, wie sagen wir hier im Bundesland Baden-Württemberg, dass da so ein Geschmäckle überbleibt, weil wir an dieser Stelle herausgehen. Es war deswegen ganz gut, dass gestern die Bundestagsentscheidung zum AWACS-Einsatz in Afghanistan gefallen ist. Die mag das etwas reduzieren, diesen Eindruck, aber Sie werden natürlich auf den Fluren da und dort gefragt: Was macht ihr Deutschen denn dort eigentlich? Denn: Unsere politisch getroffene Entscheidung ist nicht so einfach zu verstehen.

    Zagatta: Verstehen Sie sie?

    Lather: Ich hätte sie anders getroffen, wenn ich an verantwortlicher Stelle gesessen hätte. Nun ist das leicht zu sagen, wenn man draußen ist und beobachtet. Ich hätte mir gewünscht, dass wir, wenn wir uns nicht militärisch beteiligen wollen, dass wir zustimmen in den Vereinten Nationen und gleichzeitig sehr aktiv vertreten und sagen, was wir denn in der Ergänzung dessen, was militärisch geschieht, tun wollen. Das ist mir etwas schwach ausgefallen in den ersten Momenten.

    Zagatta: Für Ihre Kollegen, die da vor Ort arbeiten, für die Stellung der Bundeswehr überhaupt jetzt im Bündnis - sehen Sie da jetzt mittelfristig, langfristig Schaden?

    Lather: Nein, ich sehe keine direkten Konsequenzen. Wir sind ja neben den Vereinigten Staaten in der NATO der größte Bündnispartner, das vergessen wir immer, wenn wir diskutieren, von daher haben wir eine Menge Einfluss. Aber emotional ist es natürlich so, dass dort, wo gehandelt werden muss - und das sagen ja uns die Franzosen sehr deutlich, auch wenn wir das von hier aus fast als einen Alleingang betrachten, den sie zunächst gemacht haben, das sagen uns aber auch die Briten und die Amerikaner und vielleicht auch noch ein paar andere, die Norweger und Dänen -, dass wir hier unserer Rolle und unserem Anspruch nicht ganz gerecht geworden sind.

    Zagatta: Karl-Heinz Lather, General a.D., General im Ruhestand, der bis vor einem halben Jahr als Stabschef im NATO-Hauptquartier Europa noch tätig war. Herr Lather, ich bedanke mich ganz herzlich für das Gespräch!

    Lather: Vielen Dank, Herr Zagatta!