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Deutschlands Europa-Baustellen

In den vergangenen zwölf Monaten hat die deutsche Regierung in Brüssel vieles blockiert, was die deutschen Wähler aufregen könnte. In der EU müssen nach der Bundestagswahl zahlreiche Themen abgearbeitet werden. Eine der Hauptbaustellen: die Bankenaufsicht.

Von Alois Berger | 23.09.2013
    Der Ausgang der deutschen Wahlen war gestern Abend in fast allen Ländern der Europäischen Union die Topmeldung des Tages. Vor allem im Süden Europas hatten viele auf einen Wechsel gehofft. Unter einem sozialdemokratischen Kanzler, so die hochgesteckten Erwartungen, würde vieles einfacher werden. Ohne den eisernen Griff von Angela Merkel würde Brüssel seine Sparvorgaben lockern, vielleicht sogar ein europäisches Konjunkturprogramm auflegen, um die Wirtschaft wieder anzukurbeln.

    Ganz anders im politischen Brüssel. In der EU-Kommission, im Ministerrat, im Europäischen Parlament hat man aus vielen nationalen Wahlen gelernt, dass Regierungswechsel kaum etwas ändern. Denn in Europa vertreten linke wie rechte Regierungen vor allem die Interessen ihrer Länder, und die bleiben auch nach Wahlen die gleichen. Wenn es um die Politik in Europa geht, meint die französische Liberale Sylvie Goulard, dann haben alle deutschen Politiker dasselbe Programm:

    "Geldwertstabilität, Bedarf an Strukturreformen bei den anderen Ländern, auch ein kleines bisschen: Am deutschen Wesen soll die Welt genesen. Das ist überall der Fall, links, rechts, liberal, grün."

    Trotzdem ist in Brüssel so etwas wie Erleichterung zu spüren - Erleichterung, dass der Wahlkampf in Deutschland endlich vorbei ist, dass das größte, wirtschaftlich stärkste und in der Krise immer wichtiger gewordene Mitgliedsland endlich wieder handlungsfähig ist. Denn seit vielen Monaten wurde in Brüssel kein Thema mehr angefasst, das der deutschen Regierung zu heiß war. Das ging bis zu Fragen, wie groß die Warnhinweise auf Zigarettenschachteln sein müssen, oder welche Abgaswerte die Autoindustrie künftig einhalten soll. Alles aufgeschoben, die schwarz-gelbe Regierung wollte sich nicht festlegen, um die Wähler nicht zu erschrecken.

    Höchste Zeit, die Dinge endlich anzupacken, meint der österreichische Abgeordnete und Chef der Sozialdemokraten im Europaparlament, Hannes Swoboda:

    "Für mich sind es vor allem drei Elemente, das eine ist die Frage der Wirtschaftspolitik, insbesondere der Bankenaufsicht. Zweitens die soziale Dimension Europas, die hängen geblieben ist, und drittens natürlich wirklich eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik."

    Vor allem in der Finanzpolitik drängen die Probleme. Was soll beispielsweise mit maroden Banken in Spanien, Griechenland oder Irland passieren, wer entscheidet über die Schließung und wer übernimmt die Kosten? Das alles müsste rasch beschlossen werden. Doch der deutsche Wahlkampf hat die Entscheidungen nicht nur aufgeschoben, er hat auch vieles verändert. Noch vor einem Jahr waren sich die Regierungschefs einig, dass die Bankengesetze so scharf wie möglich sein müssen und dass Brüssel mehr Kompetenzen bekommen soll, um künftigen Krisen vorzubeugen.

    Doch das ist lange her. Inzwischen haben sich die Märkte beruhigt und der Eifer der meisten Regierungen hat deutlich nachgelassen. Niemand gibt gerne Kompetenzen nach Brüssel ab. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel will von scharfen europäischen Bankengesetzen nicht mehr viel wissen, und noch weniger von einer strafferen Führungsstruktur in der Eurozone. Wird schon nichts mehr passieren, so die Hoffnung der Regierungschefin. Eine riskante Einschätzung, meint der Finanzmarktexperte der Grünen
    im Europaparlament, Sven Giegold.

    "Der europäische Gesetzgebungszug, sowohl bei der Regulierung der Finanzmärkte als auch bei der Zukunft der Eurozone ist zum Opfer des deutschen Wahlkampfs geworden. Und das hat die Bundesregierung zugelassen."