Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Deutschlandversicherung goes Europe

Rund 400 Bachelor-Studierende der Lüneburger Leuphana Universität haben in Brüssel ihr Modell für ein neues Gesundheitssystem den niedersächsischen EU-Abgeordneten vorgestellt. Vergangenen Herbst hatten die Projektteilnehmer ihre "Deutschlandversicherung" erarbeitet, die nach Ansicht der Projektteilnehmer auch eine Zukunft in der gesamten EU haben könnte.

Von Ruth Reichstein | 20.06.2012
    Auf den Plätzen, auf denen normalerweise die Ausschussvorsitzenden im Europäischen Parlament sitzen, haben diesmal ein halbes Dutzend Studierende aus Lüneburg Platz genommen. Sie sitzen etwas erhöht auf einem Podium hinter ihren Mikrofonen. Und wie die "echten" Politiker sind sie nervös vor ihrem Auftritt und testen lieber noch einmal die Mikrofone.

    Die meisten Studierenden von der Leuphana Universität sind gerade mal Anfang 20, aber sie haben bereits ein Konzept für ein Gesundheitssystem entwickelt, das ihnen eine Einladung ins Europäische Parlament einbracht hat. Hier sollen sie ihre Ideen vorstellen und zwar den Abgeordneten aus ihrem Bundesland Niedersachsen.

    Anna Larissa Gross gehört zum Projektteam und für sie ist klar, dass ihr Konzept eine Zukunft in der gesamten EU hat:

    "Grundsätzlich ist das daraus entstanden, dass wir Probleme haben, die es in vielen Industrieländern gibt: zurückgehende Geburtenraten und eine viel größere Anzahl an älteren Leuten. Das kann man ja nicht nur in Deutschland beobachten, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern. Deshalb ist das durchaus ein Konzept, an dem sich auch andere europäische Länder orientieren könnten."

    Die Präsentation im Parlament läuft größtenteils auf Englisch. Denn eigentlich sollten auch Vertreter der Europäischen Kommission dabei sein. Die mussten sich aus Zeitgründen aber schon vor dem Beginn der Präsentation wieder verabschieden. Auch das gehört zum Brüsseler Alltag, den die Studierenden nun kennenlernen.

    Geblieben sind immerhin eine Handvoll EU-Abgeordnete. Und die übrigen knapp 400 mitgereisten Kommilitonen hören ebenfalls zu.

    Das Projektteam erklärt die Grundgedanken ihres Konzepts:

    "Es wird für alle die gleiche Versicherung gewährleistet. Wir haben eine Grundversicherung für jeden Bürger aus Deutschland eingerichtet, eine verpflichtende. Und es gibt noch eine private, die allerdings zusätzlich genutzt werden kann, zum Beispiel für Extrabehandlungen wie Schönheitsoperationen."

    Es gibt keine Möglichkeit mehr, sich nur privat zu versichern, erklärt Sarah Oezdogan. Alle müssen in die gemeinsame Grundversicherung einbezahlen. Das kommt an bei den Abgeordneten aus verschiedenen Parteien:

    "An diesem Konzept gefällt mir besonders gut, dass es sehr zukunftsweisend ist, dass es von jungen Menschen entwickelt worden ist. Ich finde, dass die Ansätze sehr gut sind","

    sagt Gesine Meißner von den Liberalen. Für Bernd Lange von der SPD ist vor allem der Solidaritätsgedanke wichtig:

    ""Das Einbeziehen von allen. Ich glaube, es macht heutzutage wenig sind zu selektieren zwischen denen die viel Geld haben und denen, die weniger haben. Ich glaube, es ist richtig zu sagen, wir brauchen ein solidarisches Gesundheitssystem und das ist der Kern dieses Systems."

    Darüber hinaus fordern die Studierenden mehr Transparenz im Gesundheitssystem: Jeder Patient soll eine elektronische Gesundheitsakte bekommen, die für seine Ärzte, aber auch für ihn selbst einsehbar ist. Außerdem sollen Ärzte und Krankenhäuser in Rankings bewertet werden.

    Vier Tage haben die Studierenden im vergangenen Herbst gebraucht, um sich auf dieses System zu einigen. In der realen Politik dauert die Diskussion um die Reform des Gesundheitswesens schon Jahre. Der EU-Abgeordnete Bernd Lange freut sich über die neuen Impulse:

    "Der Vorteil einer Universität ist natürlich, dass da keine mächtigen Interessengruppen, die auch finanzielle Interessen haben, mitgespielt haben. Insofern ist es vielleicht einfacher, so ein Modell zu entwickeln als in der Realität."

    Eine knappe Stunde haben sich die Abgeordneten Zeit genommen für die Studierenden. Eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Konzept ist da kaum möglich. Burkhard Balz, der im Europäischen Parlament im Währungsausschuss sitzt, hätte gerne mehr über die Finanzierung des Systems gewusst. Aber dafür reicht die Zeit nicht mehr.

    Die grüne Abgeordnete Rebecca Harms möchte wissen, wie die Studierenden ihre Vorschläge denn nun weiter voranbringen wollen. Darauf weiß das Projektteam nicht so recht eine Antwort.

    Dennoch gibt es viel Anerkennung von den EU-Abgeordneten. Bernd Lange will sich dafür einsetzen, dass die Ideen der Studierenden weiterhin im Europäischen Parlament diskutiert werden:

    "Wir sind gerade dabei, das neue Gesundheitsaktionsprogramm zu entwickeln. Das letzte hatte ein Volumen von 321 Millionen Euro. Das nächste wird von 2014 bis 2020 laufen. Da werden solche Sachen einfließen. Es ist völlig klar, dass das nicht eins zu eins übernommen wird. Aber als Anregung in diesem Prozess ist es ein Baustein."

    Für die Studierenden jedenfalls war der Besuch in Brüssel erfolgreich, sagt Anna Larissa Gross:

    "Wir sind auch realistisch. Wir wissen, dass die Abgeordneten einen vollgestopften Terminplan haben. Dass vier da waren, sehen wir schon als Erfolg. Wenn es mehr werden beim nächsten Mal, freuen wir uns jedenfalls immer."