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Deutungen, Bilanzen, Konsequenzen

Für die einen markiert die 68er Bewegung den Aufbruch unserer Gesellschaft aus den Nachkriegsverkrustungen. Für andere erscheint die symbolische Zahl 68 eher als Menetekel, schließlich habe die Bewegung wenige Jahre später den linken Terrorismus gespeist. Ende vergangener Woche nun fand an Akademie Tutzing gemeinsam mit der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft eine Tagung statt, die sich den unterschiedlichen Deutungen, Bilanzierungen und Kontroversen rund um die 68er Bewegung nicht nur in Deutschland stellte.

Von Inge Breuer | 21.02.2008
    Es ist mal wieder so weit. Die 68er haben Geburtstag. 40 Jahre ist es her, als APO und SDS die Politik aufmischten, Kommune 1 die freie Liebe praktizierte, der "Muff von 1000 Jahren" aus den Universitäten gefegt wurde. 68 war ein Jahr des Umbruchs und sehr gegensätzlicher Strömungen.

    "Ich halte das bestehende parlamentarische System für unbrauchbar."

    "Das Vorspiel ist besonders wichtig zur Steigerung des Geschlechtsverlangens, und besonders für die Frauen."

    "Die waren ja auch nicht so direkt auf dem Polittrip, die hatten ihren Kommunegedanken, weil das auch eine andere Form von Leben war."

    Allerdings ist 68 auch verdammt lang her.

    "Gerade bei Studenten fällt mir das relativ häufig auf, wenn ich da über 68 erzähle, dass das für manche so weit entfernt ist wie römische Geschichte","

    berichtete Prof. Werner Bührer, Zeithistoriker an der Technischen Universität München.

    ""Die können damit recht wenig anfangen. Vielleicht werden die Kämpfe, die Deutungskämpfe darüber zwischen älteren Generationen ausgetragen, vielleicht werden sich die Jungen nicht so dafür interessieren."

    Um "Deutungskämpfe" ging es auch auf der Tagung in Tutzing. Denn je mehr das Ereignis in die Ferne rückt, desto heftiger beginnen die Diskurse darüber, wie 68 denn nun zu verstehen sei. Dr. Wolfgang Bergem von der Universität Erlangen und Mitveranstalter der Tagung:

    "Ein Kampf in den Feuilletons, in den Bestsellerlisten, auf den Podien der Akademien, in denen um die Deutungshegemonie von 68 gestritten wird, etwa die Frage, der Kampf um die Frage, ob 68 der entscheidende Schub in Richtung Demokratisierung, oder doch der Keim des Terrorismus gelegt worden war."

    In den 80er Jahren hatte die Öffentlichkeit ihren Frieden mit der Revolte gemacht, war geradezu stolz auf die "Fundamentalliberalisierung", so damals Jürgen Habermas, die die Protestbewegung in der Bundesrepublik bewirkt hatte. Auf einmal wollten sogar alle "ein bisschen 68er" gewesen sein, selbst der RCDS, die Studentenvereinigung der CDU. Kritische Töne dagegen waren erst später zu vernehmen, so Zeithistoriker Werner Bührer:

    "Sicherlich wird 89/90 das Ende des Kommunismus eine Rolle gespielt haben, dass da eben neue Tendenz in die politische Öffentlichkeit kam, die auch die Selbstzufriedenheit der 68er so ein bisschen infrage gestellt hat, dass sich ein Überdruss entwickelt hat so wie bei den 68ern gegenüber ihren Vätern, zum Beispiel Stalingrad, zum Beispiel die Schlacht am Tegeler Weg, so ähnlich gesehen wird, die erzählen ihre alten Geschichten."

    Seither ist es eher chic, die 68er verantwortlich zu machen für die Probleme unserer Zeit: für den Werteverfall, den Niedergang der Familie, für unintegrierte Migranten. In der vergangenen Woche erst erschien das Buch des Alt-68ers Götz Aly mit dem provokativen Titel "Unser Kampf". Darin erklärt der Historiker die Studentenbewegung zu einem "Spätausläufer des Totalitarismus". 1968 - der Aufbruch zu mehr Demokratie - oder selbst geprägt von Dogmatismus, Fanatismus und Gewalt? Prof. Michael Greven, Politikwissenschaftler an der Universität Hamburg:

    "Es fällt auf, wenn man die Erinnerungsliteratur durchsucht, dann findet man als ein ganz zentrales Thema die Gewalt. Und das Interessante ist, dass sich die Gewalt sowohl bei denen, die sich positiv auf diesen Mythos 68 beziehen, wie auch bei jenen, die das in kritischer Absicht tun, im Zentrum steht. Und die Art, wie nun entweder verteidigend 68 als Vorläufer einer zivilrechtlichen Bürgerbewegung stilisiert wird wie umgekehrt als Vorbereitung der RAF beschrieben wird, das sind genau diese polemischen gegeneinandergestellten Konstruktionen in der Debatte."

    Wer nun glaubte, auf der Tutzinger Politologen-Tagung wäre die Bedeutung von 68 für die Bundesrepublik ein wenig weiter geklärt worden, der wurde enttäuscht. Man lernte stattdessen, dass das politische Handeln des damaligen Bundeskanzlers Kurt Georg Kiesinger nicht zur demokratisch gewandelten Mentalität der Bevölkerung der späten 60er Jahre passte, dass bildungsreformerische Ansätze auch schon von dem der damals der FDP angehörenden Soziologen Ralf Dahrendorf vertreten wurden, welche Auswirkungen 68 auf die Politikwissenschaft hatte oder dass die 68er - wen wundert es - für die extreme Rechte der politische Feind war. Dr. Fabian Virchow von der Universität Marburg:

    "So wie die extreme Rechte die Reeducation, also die Demokratisierung, abgelehnt hat, hat man diese Entwicklung erst recht abgelehnt, weil man gesagt hat, 68 hat dazu geführt, dass das Gleichheitsprinzip mehr Gewicht bekommen hat, dass die Idee der Elite zurückgedrängt worden ist, man hat gesagt, die Vorstellung von völkischer Gemeinschaft hat an Bedeutung verloren, Individualismus hat sich durchgesetzt, Materialismus, das sind natürlich ganz zentrale Kritikpunkte. .Und als zentralen Akteur macht man die Frankfurter Schule aus."

    Man warf auch einen Blick auf die parallelen Ereignisse in Nachbarstaaten, auf die nahezu bürgerkriegsähnlichen Zustände im Pariser Mai, auf die hier weniger bekannten März-Unruhen in Polen und den Prager Frühling von 1968. Aber wieso eigentlich kam es 1968 zu Protesten in so unterschiedlichen Ländern?, fragte Michael Greven von der Universität Hamburg. Im Ostblock stritt man um Meinungsfreiheit und Pluralismus. Im Westen dagegen hielt man den Pluralismus für eine bürgerlich kapitalistische Ideologie. Und unter welchem Zeichen standen die damaligen Studentenunruhen in Japan, in Mexiko oder auf den Philippinen? Michael Greven warnte vor vorschnellen Vereinheitlichungen der unterschiedlichen Proteste.

    "Erstmal spreche ich von Mexiko und Japan und den Philippinen, um solche Konstruktionen in der Literatur zu problematisieren, die nun unter ganz spezifischen Bezug auf die deutsche Geschichte mit der nationalsozialistischen Herrschaft als Erklärungsfigur arbeiten. Andererseits will ich offen sagen, dass mir die Gleichzeitigkeit dieser Protestereignisse ein Rätsel ist. Ich habe in der Wissenschaft bisher keine überzeugende Erklärung gefunden. Und von daher ist die Frage sehr naheliegend, ob diese Gleichzeitigkeit überhaupt auf gemeinsame Ursachen zurückzuführen ist, ob sie nicht einfach eine kontingente Erscheinung ist."

    Michael Greven wies auch in seinem eigenen Vortrag darauf hin, dass der Topos "die 68er" mehr verdecke als enthülle. "Die 68er" seien in Wirklichkeit ein Sammelsurium von Strömungen gewesen. Nur eine Minderheit übrigens sei in systemoppositionellen Zirkeln tätig geworden. Auch die sogenannte Anti-Notstandsbewegung zum Beispiel habe aus vielen Gruppen bestanden.

    "Es gibt einen Strang vor allem finanziert und unterstützt von der IG Metall, 1960/61, der ist ganz konzentriert auf die Frage eines befürchteten Streikverbots und der Unterminierung der Tarifautonomie. Dann gibt es eine publizistische Bewegung liberaler bürgerlicher Provenienz, die sind besorgt, dass das erreichte Niveau liberaler, verbürgter Verfassungsrechte hier eine Einbruchstelle bekommt. Dann gibt es den SDS, der dann spätestens ab 1966 im Zusammenhang mit den Notstandsgesetzen... Versuch der Wiederherstellung einer neuen faschistischen Herrschaft im Interesse des Kapitals redet."

    1968 sei so unvorhersehbar wie ein Kaventsmann gewesen, meint Michael Greven, der in seiner Freizeit Hochseesegler ist. Das ist eine gigantische, gefährliche Welle - bis vor kurzem hielt man sie gar für Seemannsgarn - die dadurch entsteht, dass sich schnellere und langsamere Wellen zu einer Wasserwand auftürmen. 1968 also, ein unwahrscheinlicher Zufall? Die Rede von "den 68ern" sei jedenfalls ein Mythos, der vor allem dazu diene, heute politisch zu polarisieren.

    "Wobei man betonen muss, die Intention die dabei zum Ausdruck kommt, ist ganz auf die Gegenwart gezielt, es geht um heute, um 2008. Man will Unterstützung oder Verurteilung zustande bringen. Und wir haben das ja bei Joschka Fischer erlebt, das steht in aktuellen Kontexten."

    1968 ist wirklich verdammt lang her, so merkte man besonders auf der Tagung. Das "Ereignis" 68 war dort zum Gegenstand manchmal allzu dröger wissenschaftlicher Vorträge geworden. 1968 wird eben langsam zur Geschichte. Kein Wunder natürlich, sind doch "die 68er" mittlerweile großenteils in Rente gegangen. Und wie es weitergeht - am 50.Geburtstag - das kann man deshalb schon erahnen.

    " Dann wenn die Generation, die selbst noch eigene biografische Erfahrungen gemacht hat, wegstirbt, dass es dann musealisiert wird. Es wird dann von kulturellen Eliten interpretiert, von Geschichtsforschung oder populären Fernsehgeschichtssendungen, wird dabei aber auch weniger lebendig.""