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Zika-Virus in Brasilien
Neue Hinweise auf neurologische Schäden

Nach wie vor ist nicht wissenschaftlich bewiesen, dass Gehirnschädigungen bei Neugeborenen wirklich durch das Zika-Virus erfolgen. Doch sind in Brasilien inzwischen mehr als 900 Kinder mit Mikrozephalie auf die Welt gekommen, deren Mütter sich während der Schwangerschaft nachweislich mit dem Virus infiziert hatten. Neurologen sind alarmiert.

Von Gudrun Fischer | 07.04.2016
    Ein Baby wird auf Mikrozephalie untersucht. Ursache der Krankheit ist vermutlich das durch Mücken übertragene Zika-Virus
    In Brasilien sind inzwischen mehr als 900 Kinder mit Mikrozephalie auf die Welt gekommen. (imago)
    Die Pathologin Lucia de Noronha arbeitet an der katholischen Universität PUC in Curitiba im Süden Brasiliens. In ihrem Labor sitzen Studenten an mehreren großen Lichtmikroskopen. Daneben steht eine Mitarbeiterin der Pressestelle der Universität und bespricht mit ihr einen Artikel. Lucia de Noronha ist zurzeit eine viel zitierte Forscherin. Ihr pathologisches Labor kooperiert mit dem staatlichen Institut "Oswaldo Cruz", einer der größten epidemiologischen Forschungseinrichtungen Brasiliens mit Sitz in Rio de Janeiro. Von dort bekam Lucia de Noronha sechs Proben zur Untersuchung zugeschickt. Die erste Probe war der Mutterkuchen einer frühen Fehlgeburt.
    "Diese Plazenta war entzündet. Der Fachbegriff dafür ist Plazentitis. Wir waren sehr erstaunt, denn eine Entzündung zu Beginn einer Schwangerschaft ist selten. Ich punktierte die Gewebeprobe genau an der Stelle, an der ich die Entzündung sah. Und die Virologin Claudia Duarte fand genau in diesem Gewebe das Zika-Virus. Sie isolierte seine RNA, seinen genetischen Code. Deswegen kann ich sagen, dass die Entzündung mit dem Virus zusammen hängt."
    Zwar ist das kein Beweis, dass das Virus die Entzündung hervorrief. Aber Lucia Noronha ist sich sicher, dass das Zika-Virus mit den vielen Mikrozephalie-Erkrankungen zu tun hat. Neben der entzündeten Plazenta analysierte sie auch das Gewebe von fünf Föten und Kindern, die kurz vor oder nach der Geburt an Mikrozephalie gestorben sind – und deren Mütter mit ZIKA infiziert waren.
    Gehrinproben zeigten schwere Entzündungen
    "Wir untersuchten die Milz, die Leber, die Lunge und die Nieren. Aber da fanden wir nur leichte Veränderungen. Die Gehirnproben allerdings zeigten schwere Entzündungen. Wir erbrachten damit den ersten Nachweis, dass die Gehirnentzündung der Babys im Zusammenhang mit einer Zika-Infektion ihrer Mütter steht. Dass das Westnil-Fieber solche Gehirnentzündungen bei Föten auslösen kann, ist bereits bekannt. Und das Virus des Westnil-Fiebers ähnelt dem Zika-Virus. Gehirnentzündungen wurden auch schon nach anderen Vorerkrankungen der Mütter beschrieben, etwa mit Toxoplasmose oder dem Zytomegalievirus. Die Gehirnentzündungen, die wir bei den Babys von mit ZIKA infizierten Müttern fanden, sind wirklich schwerwiegend. Fast kein Areal des Gehirns war ausgenommen. Wir sahen Mikroverkalkungen und zerstörte Nervenzellen. Besonders die Gliazellen, die das Nervensystem unterstützen und schützen, sind betroffen."
    In Rio de Janeiro arbeitet die Neuropädiaterin Tania Saad am Institut Fernando Figueira, einer Nebenstelle des Oswaldo Cruz Instituts. Die Kinder- und Geburtsklinik dort ist spezialisiert auf Risikoschwangerschaften. Auch hier ist derzeit reger Betrieb. Tania Saad soll am nächsten Tag in die Hauptstadt Brasília fliegen, um im Gesundheitsministerium über neue Diagnoseleitlinien für Kinder mit Mikrozephalie zu beraten. Die Neuropädiaterin betreut 24 Mütter und deren Kinder, die in den letzten Monaten mit einem zu kleinen Gehirn auf die Welt gekommen sind.
    "Die ersten beiden Kinder kamen Ende November zu uns. Sie waren schon zwanzig und dreißig Tage alt und hatten einen zu kleinen Kopfumfang. Beide waren in ihrer Entwicklung zurückgeblieben. Sie zeigten spastische Lähmungen und Krampfanfälle. Seitdem haben wir uns auf die Betreuung dieser Kinder konzentriert. Sie werden regelmäßig neurologisch untersucht. Wir messen ihre Gehirnströme mithilfe des Elektroenzephalogramms, testen ihr Gehör und ihre Sehkraft. Wir versuchen, die Entwicklung dieser Kinder zu fördern."
    Dafür muss interdisziplinär gearbeitet werden, sagt die Neurologin. Denn die Neugeborenen reagieren reflexhaft auf Reize, lernen aber nicht, ihre Reflexe zu kontrollieren.
    "Wir wissen nicht, wie plastisch die Gehirne dieser Babys sind, also inwieweit die nicht geschädigten Nervenzellen Aufgaben übernehmen können. Wir wissen nicht, ob Medikamente, die Muskeln entspannen, oder niedrige Dosen des Nervengifts Botulin helfen werden, oder ob Massagen und Stimm- und Physiotherapie den Babys guttun."
    Vergleichsstudie im Norden Brasiliens gestartet
    Zwei von den Kindern, die Tania Saad betreut, kamen glücklicherweise ohne Mikrozephalie auf die Welt, obwohl ihre Mütter während der Schwangerschaft nachweislich eine Zika-Infektion hatten. Doch Tania Saad konnte über EEGs nachweisen, dass auch diese Kinder unter Spasmen und Krämpfen litten, besonders in den Schlafphasen, was den Eltern entgangen war. Dass auch Kinder ohne zu kleinen Kopf durch eine Zika-Infektion der Mutter beeinträchtigt sein könnten, ist ein schrecklicher Verdacht.
    "Wir stehen erst am Anfang der Erforschung dieser Krankheit. Deswegen haben wir diese neue Entdeckung noch nicht publiziert. Wir wollen nichts überstürzen. Uns fehlen Daten, um die Mechanismen, also die Essenz dieser Krankheit, zu verstehen. Eigentlich müssten alle Kinder, deren Mütter während der Schwangerschaft eine Zika-Infektion hatten, beobachtet werden."
    Im Nordosten Brasiliens, wo die meisten Fälle von Mikrozephalie aufgetreten sind, wurden dazu jetzt Vergleichsstudien mit hunderten von betroffenen Müttern und Kindern gestartet.