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Diabetes vor der Entstehung erkennen

Typ2-Diabetes ist mittlerweile zur Volkskrankheit geworden, bis zu acht Millionen Menschen sind hierzulande betroffen. Forscher aus Tübingen wollen nun den Typ2-Diabetes diagnostizieren und behandeln, bevor er überhaupt entsteht.

Von Jochen Steiner | 30.07.2013
    Der Einfluss der Familiengeschichte auf den Typ2-Diabetes ist groß: Wenn Vater oder Mutter erkranken, trifft es später wahrscheinlich auch die Kinder. Weltweit haben Forscher deshalb vor etwa zehn Jahren damit begonnen, im Erbgut nach Genen zu suchen, die den Typ2-Diabetes auslösen könnten.

    "Es sind bis heute über 70, 80 Genvarianten beschrieben, die mit dem Typ2-Diabetes assoziieren. Die enttäuschende Seite bei dieser Forschung war die, dass der individuelle Einfluss dieser Genvarianten auf die zukünftige Entstehung eines Typ2-Diabetes offensichtlich sehr gering ist. Wenn man Mittelwerte ansetzt, dann erklären diese Genvarianten weniger als zehn Prozent des tatsächlichen Diabetes-Risikos."

    Professor Hans-Ulrich Häring forscht an der Universität Tübingen zu den Ursachen des Typ2-Diabetes. Anhand der Gene lässt sich also nicht voraussagen, ob eine Person erkranken wird oder nicht. Mit einer Ausnahme: wer die Genvariante TCF7L2 besitzt, in Südwestdeutschland etwa jeder Zehnte, der kann nicht mit einer stärkeren Insulinausschüttung gegensteuern, wenn sich der Blutzuckerspiegel erhöht. Das zumindest legen erste Studienergebnisse aus Tübingen nahe. Härings Ziel ist es, erste Anzeichen einer Diabetes-Erkrankung festzustellen, also die Prädiabetiker ausfindig zu machen und ihnen so frühzeitig zu helfen, dass die Krankheit später oder bestenfalls gar nicht ausbricht.

    Deshalb haben er und sein Team vor 15 Jahren damit begonnen, Probanden zu rekrutieren: familiär vorbelastete Menschen, stark übergewichte oder Frauen, die während der Schwangerschaft einen Schwangerschaftsdiabetes hatten. All diese Personen könnten einen Prädiabetes entwickeln.

    "Der Prädiabetes ist, wenn er weit fortgeschritten ist, kurz bevor er sich vollends in einen Typ2-Diabetes umwandelt, mit klinischen Methoden zu diagnostizieren, Glukosebelastungstests, aber unser Ziel ist es ja bereits davor, das Risiko beschreiben zu können. Und da haben eben moderne Ganzkörper-Kernspinmethoden sehr viel geholfen. Man hat mit diesen Methoden gelernt, wie sieht die Fettverteilung im Körper aus."

    Etwa 500 übergewichtige Probanden wurden auf diese Weise untersucht. Die Tübinger Mediziner haben dabei herausgefunden, ...

    "… dass ca. 30 Prozent der Übergewichtigen eine sehr günstige Fettverteilung haben: Sie speichern Fett hauptsächlich im Unterhautfettgewebe, nicht in den inneren Organen. Und diese Untergruppe der Übergewichtigen scheint kein erhöhtes Risiko zu haben in Zukunft einen Typ2-Diabetes zu entwickeln."

    Noch sei allerdings unklar, so Häring, ob dieser Zustand über die Jahre stabil bleibt. Andererseits gebe es die Übergewichtigen, die sehr wenig Fett im Unterhautfettgewebe speichern, dafür aber viel in der Bauchhöhle, eine eher ungünstige Konstellation, und bei denen oft noch die Fettleber hinzukommt. Bei einem Teil der Übergewichtigen wirke sich die Fettleber wohl nicht negativ auf den Stoffwechsel aus. Aber beim anderen Teil schon, und zwar folgendermaßen:

    Die Mediziner um Häring gehen davon aus, dass bestimmte Signalstoffe aus der Fettleber mit anderen Organen kommunizieren, etwa mit den Blutgefäßen, was letztendlich zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen führen könnte. Auch einen Einfluss auf die Insulin-produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse halten die Wissenschaftler für möglich. Am Ende könnte es dadurch zu einer Insulinresistenz und zum Typ2-Diabetes kommen. Bei dieser zweiten Gruppe hilft es offenbar auch nicht, wenn sie den Lebensstil ändern, sich mehr bewegen und weniger Fett essen, um Gewicht zu verlieren. Die Fettleber könnte die Hauptursache sein. Bleibt die Frage:

    "Wie soll man die am besten behandeln? Wenn Lebensstilintervention nicht wirkt, soll man sie medikamentös behandeln, um den Diabetes zu verhüten? Das ist in Deutschland noch nicht akzeptiert. Aber im Zweifelsfall wird es darauf hinauslaufen."